Streit um Gutscheinlösung: Verbraucherrechte in der Corona-Krise
Mit einer Gutscheinlösung versucht die Flugreise-Branche, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern. EU-Recht und Verbraucherschutz stehen dem zurzeit entgegen.
Der gesamte touristische Reiseverkehr ist zum Erliegen gekommen, machte auch Norbert Fiebig, Präsident des Verbands Deutsche Reisewirtschaft (DRV), im Interview mit Expat News klar. Die Idee hinter der rettenden Gutscheinlösung ist simpel: Wer für später eine Gutschrift annimmt, statt sich die Kosten erstatten zu lassen, belässt so Kapital bei den Betrieben. Dadurch soll nach der Corona-Krise die Erholung der Branche leichter von der Hand gehen. Allerdings befinden sich oft nicht nur die Fluggesellschaften, sondern auch die Verbraucher selbst in einer finanziellen Notsituation. Sie können es sich dann vielleicht nicht leisten, sich solidarisch mit der Flugbranche zu zeigen, indem sie einen Gutschein statt einer direkten Geldzahlung annehmen.
Gutscheinlösung und Verbraucherrecht
Grundsätzlich gibt die EU-Fluggastrechte-Verordnung dem Verbraucher das Anrecht auf Kostenerstattung: Wer einen Flug gebucht hat und nicht reisen kann, weil der Flug gestrichen wird, hat demnach die Wahl zwischen einer Umbuchung und der Erstattung des Ticketpreises. Es spielt keine Rolle, ob es sich bei der Annullierung um einen Flug für den nächsten Tag oder den nächsten Monat handelt. Die Europäische Kommission stellt hier Informationen zu den Fluggastrechten (speziell im Corona-Fall) zur Verfügung.
Verantwortlich für die Erstattung ist die jeweilige Fluggesellschaft oder der Reisevermittler. Zum Beispiel das Reisebüro oder der Online-Vermittler, bei dem das Ticket gekauft wurde. Die Fluggesellschaft kann Reisenden selbstverständlich einen Gutschein anbieten, jedoch müssen Passagiere diesen nicht akzeptieren und können auf einer Auszahlung bestehen – die dann binnen einer Woche erfolgen soll.
Die Bundesregierung plädiert für umfassende Gutscheinlösung und befindet sich deswegen seit Wochen in Verhandlungen mit der EU. Ziel ist es, das Annehmen von Gutscheinen zumindest vorübergehend zur Pflicht zu machen. Die EU-Kommission hat bisher Schreiben von insgesamt sieben Mitgliedstaaten erhalten, die sie auffordern, die europäische Gesetzgebung zu den Passagierrechten zu ändern – doch Brüssel bleibt bei der bisherigen Regelung, Fluggästen die Entscheidung freizustellen. Trotzdem zeigt sich im Deutschlandfunk-Interview der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, zuversichtlich, eine europarechtskonforme Gutscheinlösung zu finden.
Gegenwind von Verbraucherschützern
Verbraucherschützer unterstreichen, dass eine Gutscheinlösung, die inzwischen viele Unternehmen auch in anderen Branchen anbieten, auf Freiwilligkeit basieren müsse. Denn wenngleich der massenweise Verzicht auf Kostenerstattung die Flugbranche entlasten würde, stünden viele Reisende durch die Corona-Krise selbst vor finanziellen Engpässen und seien darauf angewiesen, sich das Geld erstatten zu lassen, statt einen Gutschein anzunehmen.
Und auch das Portal Flightright, das sich für Fluggastrechte stark macht, äußert klare Kritik an der Gutscheinlösung. “Die Regelungen sind klar: Wer keine Leistung bekommt, muss auch nicht zahlen. Wenn Airlines versuchen, Kunden mit Gutscheinen abzuspeisen, verstoßen sie damit eindeutig gegen geltendes Recht”. Das erläutert Oskar de Felice, Rechtsexperte bei Flightright.
Außerdem können Gutscheine oft nur in einem bestimmten Zeitfenster eingelöst werden. Hinzu kommt, dass Kunden bei der Gutscheinlösung das Insolvenzrisiko der Airline tragen: Wenn sie pleitegeht, nütze der Gutschein nichts mehr, erläutert Flightright in einer Pressemitteilung.
„Die Fluggastrechte dürfen nicht einfach so ‚weggeschenkt‘ werden. Das wäre ein schlechter Tag für Verbraucher“, so Flightright-Gründer Philipp Kadelbach. Das Portal hat einen Online-Assistenten eingerichtet, der Passagieren bei der Erstattung ihrer Kosten helfen soll.
De facto werde EU-Recht ignoriert
Viele Fluggesellschaften ignorierten die Wahlfreiheit bei Erstattungen und benachteiligten Passagiere damit in unfairer Weise finanziell, bemängelt Flightright. So habe beispielsweise Lufthansa die Möglichkeit zur Erstattung auf der Website deaktiviert und mehrfach öffentlich verkündet, nur noch Gutscheine anzubieten.
Kritik übt auch der Verband Internet Reisebetrieb (VIR) in einer Stellungnahme. „Nur wenige Airlines gestatten derzeit noch einen Refund auf normalem Wege“, erläutert VIR-Vorstand Michael Buller. Die Erklärung, dass Systeme überlastet gewesen seien, lässt er nicht gelten. „Dies ist eine völlig an den Haaren herbeigezogene Argumentation.“
Der VIR-Vorstand fordert die Airlines dazu auf, ihre Systeme umgehend wieder hochzufahren und dem Vertrieb verfügbar zu machen. Andernfalls, so fürchtet der Verband, gerieten etwa Reiseagenturen und Ticket-Vertreiber unverdient in die Kritik. „Die Vertriebspartner geraten zum aktuellen Zeitpunkt völlig zu Unrecht in die Rolle der Buhmänner“, so der Verbandschef. „Es ist eine große Enttäuschung für die gesamte Branche, dass genau jene, die unmittelbar große Hilfen erhalten haben, sich derart verhalten.“