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Grad des Friedens weltweit im Rückgang – Covid-19 verstärkt den Negativtrend

Zum neunten Mal in den letzten zwölf Jahren hat sich weltweit das Niveau des  Friedens verschlechtert. Auch das Coronavirus hat messbar zu Destabilisierung der Gesellschaften beigetragen. Gleichzeitig geht die Gefahr durch Terrorismus zurück.

Das ermittelte das Institute for Economics & Peace im Rahmen des jährlichen Global Peace Index (GPI). Dessen 15. Ausgabe wurde nun veröffentlicht. Die komplette Studie steht hier zum Download zur Verfügung.

Zum wiederholten Male sinkt global die Friedfertigkeit
© Institute for Economics & Peace

Insgesamt verbesserten sich 87 Länder hinsichtlich ihres Friedens-Niveaus, während sich 73 Länder verschlechterten. Island bleibt das friedlichste Land der Welt, eine Position, die es seit 2008 halten konnte. Es teilt sich die Spitze des Index mit Neuseeland, Dänemark, Portugal und Slowenien.

Afghanistan bleibt im vierten Jahr in Folge das am wenigsten friedliche Land der Welt, gefolgt von Jemen, Syrien, Südsudan und Irak. Acht der zehn Länder an der Spitze des GPI befinden sich in Europa. Dies ist der größte Anteil an europäischen Ländern in der Top-10-Liste in der Geschichte des Index.

Die Region mit dem geringsten Friedens-Grad der Welt sind nach wie vor der Nahe Osten und Nordafrika (MENA). Gleichzeitig zeichnete sich hier die größte Verbesserung ab. Der Irak verzeichnete nach der Ukraine die zweitgrößte Verbesserung weltweit. Burkina Faso erlebte die größte Verschlechterung von allen Ländern der Welt und fiel um 13 Plätze zurück.

 
© Institute for Economics & Peace

Eine Gegenüberstellung macht deutlich, dass Verbesserungen der Friedlichkeit gradueller vonstattengehen als Verschlechterungen. Da ein Großteil der Welt auf ein Ende der Corona-Krise hinarbeitet, wird es wichtig sein, auf die zunehmenden zivilen Unruhen und politischen Instabilitäten zu reagieren.

Covid-19 wirkt sich auf den Grad des Friedens aus

Im Jahr 2020 hatte die Covid-19-Pandemie einen spürbaren Einfluss auf die Gewalt. Dabei verbesserten sich einige Indikatoren wie gewalttätige Konflikte, während sich andere Indikatoren, etwa gewalttätige Demonstrationen, deutlich verschlechterten. Die Zahl der Länder, deren Situation sich verschlechterte, war viermal so hoch wie die der Länder, deren Situation sich verbesserte.

Auch die politische Instabilität nahm zu, wobei sich die Situation doppelt so häufig verschlechterte wie verbesserte. Weltweit gab es Proteste gegen pandemiebezogene Maßnahmen. Das IEP verzeichnete über 5.000 Ereignisse. Indien, Chile, Italien, Frankreich, Deutschland und Südafrika waren besonders von den Demonstrationen betroffen.

„Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie werden weitere Unsicherheiten schaffen, insbesondere für Länder, die bereits vor der Pandemie Probleme hatten.“

Thomas Morgan, Senior Research Fellow beim IEP, konstatiert, dass der Anstieg von Demonstrationen und Protesten so nicht zu antizipieren gewesen sei. Auf Nachfrage durch Expat-News hält er fest: „Das Ausmaß des Anstiegs gewalttätiger Demonstrationen war überraschend. In der Anfangsphase der Covid-19-Pandemie ging die Zahl der Demonstrationen zurück, ebenso die zwischenmenschliche Gewalt (Tötungsdelikte und Gewaltverbrechen). Der Rückgang der Protestaktivität hielt jedoch nicht an, und eine Welle ziviler Unruhen (von denen einige, aber definitiv nicht alle mit der Pandemie zusammenhingen) schwappte über den Globus.“ Trotzdessen sei ein Anstieg an zivilen Unruhen auch vor der Pandemie zu erwarten gewesen.

Anmerkung der Redaktion: Die Interview-Antworten von Thomas Morgan sind von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt worden.

Demonstrationen haben durch Corona eindeutig zugenommen

Die größte regionale Verschlechterung des Friedens-Niveaus trat in Nordamerika auf, bedingt durch die Zunahme von politischer Instabilität, Tötungsdelikten und gewalttätigen Demonstrationen. Ereignisse wie die Stürmung des Kapitols und weit verbreitete Proteste in den USA zur Unterstützung der „Black Lives Matter“-Bewegung erhöhten den Wert für zivile Unruhen, die politische Instabilität und die Intensität der internen Konflikte im Jahr 2020.

„Obwohl das Niveau von Konflikten und Terrorismus im Jahr 2020 insgesamt gesunken ist, haben politische Instabilität und gewalttätige Demonstrationen zugenommen.“

Steve Killelea, Gründer und Vorsitzender des IEP, sagte: „Die Covid-19 Pandemie hat die Verschiebungen bezüglich des globalen Friedens beschleunigt. Obwohl das Niveau von Konflikten und Terrorismus im Jahr 2020 insgesamt gesunken ist, haben politische Instabilität und gewalttätige Demonstrationen zugenommen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie werden weitere Unsicherheiten schaffen, insbesondere für Länder, die bereits vor der Pandemie Probleme hatten.“

Als ein Großteil der Welt in den Lockdown ging, stieg das Gesamtniveau der politischen und zivilen Unruhen. Zwischen Januar 2020 und April 2021 wurden über 5.000 pandemiebedingte gewaltsame Ereignisse registriert, und 25 Länder verschlechterten sich im Indikator Gewaltsame Demonstrationen – im Vergleich zu nur acht, die sich verbesserten. Der Wert für gewalttätige Demonstrationen ist nun der höchste seit Bestehen des Index, wobei die größten Verschlechterungen in Weißrussland, Myanmar, Russland, den Vereinigten Staaten und der Kirgisischen Republik auftraten.

Militarisierung verzeichnete die größte Entwicklung bei der aktuellen Studie über das Friedens-Niveau weltweit
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Hohes Niveau des Friedens als Garant für Post-Corona-Stabilität?

Während der Pandemie hatten Länder mit einem höheren Friedensniveau eine widerstandsfähigere Wirtschaft. Länder mit hohem Friedensgrad („High Peace“) verzeichneten einen Rückgang der geleisteten Arbeitsstunden von weniger als 7 Prozent, während Länder mit niedrigem Friedensgrad laut dem Business & Peace Report 2021 des IEP bis zu 23 Prozent verzeichneten. Die Tschechische Republik, Estland, Deutschland, Irland, Litauen, die Niederlande, Norwegen, Singapur, Slowenien und die Schweiz sind am besten für eine Erholung nach Covid-19 aufgestellt, konstatiert die Studie.

High Peace sind die Einstellungen, Institutionen und Strukturen, die friedliche Gesellschaften schaffen und erhalten, auf dem Feld der Internationalen Beziehungen bekannt als Positiver Frieden („Positive Peace“). 

„Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie sind noch nicht absehbar“

In der letztjährigen Fassung der Studie wurde vermutet, dass Staaten mit hohem Friedensgrad flexibler auf die Pandemie reagieren könnten als diejenigen mit nur geringem Friedensgrad. Doch die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei, und die Annahme muss sich erst noch bewahrheiten. Werden in der Rückschau Staaten, die auf positiven Frieden und aktive Friedfertigkeit setzen, besser dastehen als Staaten, die lediglich auf negativen Frieden (das heißt die Abwesenheit von Krieg oder bewaffnetem Konflikt) setzen? „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um dies zu beurteilen“, wendet Morgan ein. „Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie sind noch nicht absehbar, insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen und die wirtschaftliche Erholung. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Länder mit einem höheren Maß positiven Friedens am besten in der Lage sind, die Herausforderungen im Zusammenhang mit Impfungen, der Aufhebung von Reisebeschränkungen und der wirtschaftlichen Erholung zu bewältigen.“

Friedens-Niveau 2021: Die Schere zwischen Top- und Flop-Ländern geht immer weiter auseinander
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Militarisierung und Terrorismus

Die globale Militarisierung hat in den letzten zwei Jahren zugenommen, da mehr Länder ihre Militärausgaben und die Personalstärke ihrer Streitkräfte erhöht haben. Dies ist eine Umkehrung des Trends des vorangegangenen Jahrzehnts, in dem sich 105 Länder verbessert hatten, während sich 57 verschlechterten.

Die Zahl der Todesopfer durch Terrorismus ist dagegen weiterhin rückläufig. Die Gesamtzahl der Todesopfer durch Terrorismus ist in den letzten sechs Jahren kontinuierlich gesunken. Vorläufige Daten für 2020 deuten darauf hin, dass weniger als 10.000 Todesfälle durch Terrorismus verursacht wurden.

Gegenüber Expat-News verdeutlicht Thomas Morgan, dass mit dem Rückgang des Terrorismus auch weitere Konfliktindikatoren zurückgingen. „Die Zahl der Konflikttoten, die Intensität interner Konflikte und die Gesamtzahl der Konflikte sind in den letzten zwei Jahren gesunken. Allerdings haben die zivilen Unruhen zugenommen. Dies ist zwar nicht unbedingt eine Form von gewaltsamen Konflikten [im engeren Sinne, die Redaktion], aber oft ein Vorläufer für zukünftige gewaltsame Konflikte.“

Obwohl die Gesamtzahl der konfliktbedingten Todesfälle seit 2014 rückläufig ist, hat die Zahl der Konflikte weltweit seit 2010 um 88 Prozent zugenommen. Neue Konflikte entstehen jedoch in der Sahelzone und am Horn von Afrika, wobei Afrika südlich der Sahara im GPI 2021 über 65 Prozent der gesamten gewaltsamen Konflikte zählt. Vorläufige Daten deuten darauf hin, dass sich dieser Trend wahrscheinlich fortsetzen wird.

Nichtsdestotrotz mahnt Morgan, die Gefahr des Terrorismus und bewaffneter Konflikte nicht zu vernachlässigen oder zu unterschätzen. Expat-News fragte, welches Konfliktfeld durch Coronapolitik möglicherweise aus dem Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit geraten sei. Morgans Antwort: „Der Aufstieg des Terrorismus in Afrika südlich der Sahara. Während der Terrorismus in Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika zurückgegangen ist, werden immer mehr ISIS-Ableger in Afrika südlich der Sahara aktiv. Dies hat sich größtenteils auf die Sahel-Region konzentriert, aber die angeschlossenen Gruppen waren bis nach Mosambik aktiv.“

Gewalt und Sicherheit

Gewalt ist nach wie vor ein drängendes Problem für viele Menschen weltweit. In fast einem Drittel der Länder gilt Gewalt als größtes Risiko für die tägliche Sicherheit. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Afghanistan, Brasilien, Südafrika, Mexiko und der Dominikanischen Republik gab Gewalt als größtes Risiko für die eigene Sicherheit an.

Trotzdem haben sich einige Gewaltindikatoren seit Einführung des Index deutlich verbessert. Die Wahrnehmung von Kriminalität hat sich gar in 86 Ländern verbessert. In 84 Ländern fühlen sich die Menschen sicherer, wenn sie alleine unterwegs sind.

Thomas Morgan konstatiert: „Gewalt ist eine sehr reale und bedeutende Bedrohung für viele Menschen auf der Welt. Über 60 Prozent der Menschen weltweit haben Angst davor, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Doch trotz der hohen Angst vor Gewalt haben die meisten Menschen das Gefühl, dass die Welt sicherer wird. Fast 75 Prozent der Menschen weltweit halten die Welt für genauso sicher oder sicherer als vor fünf Jahren.“

Über den Global Peace Index (GPI)

Der GPI-Bericht wird vom internationalen Think-Tank Institute for Economics & Peace (IEP) erstellt und stellt die bisher umfassendste datengestützte Analyse zum Thema Frieden und Friedfertigkeit, seinem wirtschaftlichen Wert, Trends und der Entwicklung friedlicher Gesellschaften dar. Der Bericht deckt 99,7 Prozent der Weltbevölkerung ab und verwendet 23 qualitative und quantitative Indikatoren aus hoch angesehenen Quellen, um den Index zu erstellen. Diese Indikatoren sind in drei Schlüsselbereiche gruppiert: Anhaltende Konflikte, Sicherheit und Militarisierung.