Praxisfall Auslandsentsendung: Chaos in Kenia
Eine Auslandsentsendung birgt zahlreiche Risiken – sowohl für den entsandten Mitarbeiter als auch für das entsendende Unternehmen. Das Problem: Viele der mit dem Auslandseinsatz einhergehenden Stolpersteine sind vorab schwer zu identifizieren und kommt es zum Scheitern einer Entsendung, so ist auch der Schaden kaum zu beziffern. Es gilt also, zumindest die kalkulierbaren Risikofaktoren so gut es geht einzudämmen.
Welche Konsequenzen es hat, wenn Unternehmen sich nicht hinreichend mit den gängigen Hürden auseinandersetzen, zeigt ein Fall eines deutschen Straßenbauunternehmens, den der BDAE vor weniger als zwei Jahren betreut hat.
Alles begann mit einem aufgeregten Anruf eines Personalverantwortlichen des Straßenbauunternehmens. Von der Krankenkasse der Frau des Bauleiters Holger K. in Kenia hatte er eine Krankenhausrechnung über rund 5.000 Euro zugeschickt bekommen. In einem beigefügten Schreiben wurde das Unternehmen aufgefordert, die Kosten über eine Behandlung aufgrund einer Lebensmittelvergiftung, die Holger Ks. Frau und deren gemeinsame sechsjährige Tochter in Kenia erlitten hatten, zu zahlen. Der Personaler war regelrecht empört über diese Anweisung der Krankenkasse und sollte nun in Erfahrung bringen, ob es eine rechtliche Verpflichtung seitens des Unternehmens gab, die Rechnung für Frau und Kind von Bauleiter Holger K. zu zahlen. Immerhin waren die Beiden lediglich zu Besuch gewesen und hatten K. nicht bei der Entsendung begleitet. Nach einer Prüfung des Falls, der im Folgenden noch eine dramatische Wendung nehmen sollte, war klar, dass die Antwort auf die Anfrage „ja“ lautete.
Unternehmen muss Rechnung für Angehörige begleichen
Um zu verstehen warum, bedarf es einer Erläuterung des gesamten Auslandsprojektes von Holger K.. Dieser wurde drei Jahre zuvor von seinem Unternehmen für einen Großauftrag – der Ausbau eines Straßennetzes in Kenia – in den ostafrikanischen Staat geschickt. Es war nicht leicht gewesen, ihn für diese Aufgabe zu gewinnen. Kenia gilt unter deutschen Expats nicht gerade als attraktives Entsendeziel. Hinzu kam, dass Holger Ks. Frau sich weigerte, mit der kleinen Tochter nach Kenia zu ziehen – zu fremd und unsicher erschien ihr das Land. Weil Ks. Know-how für die Erfüllung des Projektes unabdingbar war, zahlte das Unternehmen neben einer satten Hardship-Allowance (also einer Zulage für Lände mit erschwerten Lebensbedingungen) auch mindestens sechs Flüge ins Heimatland, damit die Familie sich mindestens alle zwei Monate sehen konnte.
Ein extern engagierter Steuerberater riet dem Unternehmen damals, Holger K.s Gehalt an die kenianische Tochtergesellschaft weiterzubelasten. Weil Frau K. zusammen mit dem Kind bei ihrem Mann familienversichert war, führte die Personalabteilung weiterhin Beiträge ins deutsche Sozialsystem ab – ein folgenschwerer Fehler, wie sich später herausstellte. Für Holger K. wurde zusätzliche eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen, die für Arzt- und Krankenhauskosten in Kenia aufkommen sollte.
Schwerer Unfall des Expats
Kurz vor der Fertigstellung des Straßenbauprojektes und nach etwas über drei Jahren in Kenia geschah etwas, dass alles auf den Kopf stellte. Wie so oft, fuhr Holger K. mit seinem Motorrad ins Büro der Niederlassung seiner Firma. Auf dem Weg dorthin übersah er jedoch einen Fußgänger, der die Straße überquerte. Im letzten Moment versuchte er noch das Lenkrad herumzureißen, doch das Fahrzeug streifte den Passanten. Beide Verkehrsopfer kamen ins Krankenhaus – eine Privatklinik. Holger K. erlitt eine schwere Rückenmarksverletzung, der kenianische Fußgänger kam mit einem komplizierten Beinbruch davon.
Grafik: BDAE Gruppe
Als K.s Frau davon erfuhr, warf sie alle Vorbehalte gegenüber Kenia über Bord und reiste mit ihrer Tochter in das Land, um ihrem schwer verletzten Mann beizustehen. Bereits unmittelbar nach der Ankunft zogen sich beide besagte Lebensmittelvergiftung zu. Frau K. informierte die Familienkrankenkasse, die zunächst mit Fragebögen reagierte. Was der Grund ihres Aufenthaltes in Kenia sei, war eine der ersten Fragen. Wahrheitsgemäß berichtete Frau K. von der Entsendung und den aktuellen Umständen. Für den Krankenversicherungsträger war somit klar: Holger K. befand sich auf Weisung seines Arbeitgebers in Kenia, um dort für diesen eine Tätigkeit zu verrichten. Folglich musste das Unternehmen auch für die Gesundheitskosten von dessen Familie aufkommen. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine gesetzliche Auflage an den Arbeitgeber, die sich im Fünften Sozialgesetzbuch wiederfindet (siehe Infokasten).
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SGB V Paragraf 17 Nummer 1
„Mitglieder, die im Ausland beschäftigt sind und während dieser Beschäftigung erkranken oder bei denen Leistungen bei Schwangerschaft oder Mutterschaft erforderlich sind, erhalten die ihnen nach diesem Kapitel zustehenden Leistungen von ihrem Arbeitgeber. Satz 1 gilt entsprechend für die nach § 10 versicherten Familienangehörigen, soweit sie das Mitglied für die Zeit dieser Beschäftigung begleiten oder besuchen.“
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Damit erstreckt sich die Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers auch auf die Angehörigen eines Expats und Personaler sollten besonders Obacht geben, wenn entsandte Mitarbeiter mit Kind und Kegel ins Ausland gehen.
Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Personalabteilung von Holger K. wusste, dass seine Frau und Tochter ihn besuchen kommen würden. Seine Frau war zudem auch nicht verpflichtet, den Arbeitgeber über derartige Besuche zu informieren. Die Pflichten aus SGB V §17 bestehen für den Arbeitgeber unabhängig davon. Überdies hatte Frau K. keine Reisekrankenversicherung abgeschlossen, dafür fand die ungeplante Reise zu überstürzt statt. Hätte eine Reisekrankenversicherung ausgereicht, um den Schaden direkt mit dem Krankenhaus zu begleichen? Antwort: Auch die Reisekrankenversicherung würde die Kosten nicht direkt übernehmen, sondern erst dann leisten, wenn der Arbeitgeber mit der Krankenkasse von Frau K. abgerechnet hätte. Und selbst dann hätte sie zunächst geklärt, welchen Anteil sie zu erstatten verpflichtet ist. Ein Restkostenrisiko für das Unternehmen wäre geblieben.
Bei der Prüfung von Frau K.s Rechnung erfuhr die Krankenkasse nämlich, dass Ihr Ehemann seit Jahren im Ausland beschäftigt ist, dies aber nicht pflichtgemäß vom Arbeitgeber gemeldet worden war. Damit der Versicherungsträger weiterhin auch für Kosten von den Angehörigen deutscher Mitglieder im Ausland aufkommt, muss für den Verbleib der Familie in der deutschen Krankenversicherung eine Entsendung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vorliegen. Dies ist nur dann der Fall, wenn ein Mitarbeiter im Rahmen eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses für einen in Deutschland ansässigen Arbeitgeber im Ausland einer Tätigkeit nachgeht. Bei Holger K. wurden die Gehaltskosten an die kenianische Tochtergesellschaft weiterbelastet. Diese Tatsache schließt eine Ausstrahlung nach deutschem Recht aus. Folglich galt er nicht als „ entsandt.
Schadensersatzklage gegen deutschen Mitarbeiter
Die Krankenhausrechnung von Holger K.s Familie entpuppte sich jedoch als geringstes Problem für die Firma. In der Zwischenzeit hatte das kenianische Unfallopfer einen Anwalt engagiert, der nun neben dessen Behandlungskosten auch Schadensersatz beim gebeutelten Unfallverursacher einklagte. Das Problem: Holger K. hatte zwar eine Haftpflicht- und auch eine Rechtsschutzversicherung, jedoch galten beide Policen nur für Schadenfälle innerhalb der Europäischen Union (EU). Da das Straßenbauunternehmen aus Expertensicht seinen Mitarbeiter nicht umfassend genug über seine versicherungsrechtliche Situation aufgeklärt hatte und damit seine Fürsorgepflicht (siehe Infokasten) verletzte, musste es für Holger K. einen Anwalt vor Ort stellen und für die Rechtsvertretungskosten aufkommen.
Doch es kam alles noch schlimmer. Weil in Kenia für Ihren Mann keine adäquate Versorgung gewährleistet werden konnte, wollte Frau K. den Rücktransport nach Deutschland veranlassen. Die Kosten dafür würde der Auslandsversicherer übernehmen. Das Problem war nur, dass Holger K. aufgrund des fatalen Unfalls in einen Rechtsstreik verwickelt war und die kenianische Staatsanwaltschaft noch immer gegen ihn ermittelte. Die Folge: Er durfte nicht ohne Weiteres ausreisen. Erst nach Zahlung einer Kaution in Höhe von 30.000 Euro, die der beauftragte Anwalt vor Ort aushandelte, durfte der Bauleiter endlich das Land verlassen und sich in einem deutschen Krankenhaus weiter behandeln lassen. Getoppt wurde diese Summe noch von Rechtsberatungskosten in Höhe von rund 20.000 Euro sowie von den Behandlungskosten und der Schadensersatzsumme des geschädigten Kenianers in Höhe von insgesamt 40.000 Euro.
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Definition Fürsorgepflicht
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verpflichtet laut §618 Arbeitgeber dazu, „Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leib und Leben geschützt ist…“
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Holger K. traf es allerdings noch härter, denn er würde für immer querschnittsgelähmt bleiben. Seine physische und psychische Gesundheit waren von da an derartig beeinträchtigt, dass er als erwerbsunfähig eingestuft wurde. Für sein Unternehmen war diese Erkenntnis die nächste Hiobsbotschaft, denn der geschundene Mitarbeiter hatte theoretisch keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Grund: Die Sozialversicherungsbeiträge für Herrn K. waren zu Unrecht eingezahlt worden, weil keine Entsendung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne vorlag. Somit strahlten die deutschen Rechtsvorschriften für die soziale Sicherheit nicht auf das Beschäftigungsverhältnis in Kenia aus. Noch immer stehen Holger K.s Arbeitgeber und der Rentenversicherungsträger miteinander in Verhandlung.
Vom Standpunkt des Arbeitgebers aus, sei der Träger verpflichtet, die Erwerbsminderungsrente zu zahlen, da die Beiträge im erforderlichen Zeitraum, also an mindestens drei aufeinanderfolgenden Jahren innerhalb der letzten fünf Jahre entrichtet worden sind. Nach Ansicht der Rentenversicherung wiegt das Versäumnis des Arbeitgebers jedoch so schwer, dass es verpflichtet sei, Holger K. eine Schadensersatzsumme auszuzahlen, welche in etwa der Erwerbsunfähigkeitsrente gleichkommt. Das Ergebnis der Auseinandersetzung steht noch aus und dürfte wohl für ähnlich gelagerte Fälle richtungweisend sein.
Konkreter Schaden von rund 100.000 Euro
Für das Straßenbauunternehmen erweist sich das Auslandsprojekt unter der einstigen Führung ihres Bauleiters als ein großes Desaster, dessen Folgen noch weit reichen werden. Neben den rein bezifferbaren monetären Kosten von insgesamt 95.000 Euro (siehe Tabelle), kommen weitere Verluste hinzu, die in Zahlen schwer zu benennen sind. So stand der Ausbau des Straßennetzes zwar kurz vor der Vollendung, war aber noch nicht abgeschlossen. Neben den Fachkenntnissen, die Holger K. mitbrachte, hatte er über die Jahre wertvolle Kontakte zu wichtigen Behörden und Entscheidungsträgern in Kenia geknüpft, denen es zu verdanken war, dass das Projekt überhaupt so zügig voranschreiten konnte. Zwar war mittlerweile ein Ersatz für den Spezialisten gefunden worden, aber dieser musste sich zum einen noch in das Bauvorhaben einarbeiten und sich zum anderen vor Ort erst einmal das nötige Standing erarbeiten.
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Kosten des Unfalls von Holger K.:
- Behandlungskosten kenianisches Unfallopfer: 6.000 Euro
- Schadensersatzzahlung an Unfallopfer: 34.000 Euro
- Kaution für Holger K: 30.000 Euro
- Rechtsberatung: 20.000 Euro
- Gesundheitskosten Angehörige: 5.000 Euro
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Hinzu kamen Ausgaben, die bereits für Holger K. getätigt worden waren – darunter Umzugskosten, ein Sicherheitstraining, ein Sprachkurs sowie eine neue Wohnung. In den Wochen, bevor der neue Bauleiter anfangen konnte, herrschte zudem Chaos auf der Baustelle, die Bauarbeiter waren verunsichert und teilweise wütend. Den bisher guten Geschäftsbeziehungen zur kenianischen Regierung tat dieser Vorfall nicht gut. Unter Umständen wird das Unternehmen wichtige Marktanteile verlieren.
Zumindest die Zahlungen an das kenianische Unfallopfer sowie die Kosten im Zuge des Rechtsstreits wären vermeidbar gewesen, wenn das Straßenbauunternehmen den Mitarbeiter entsprechend privat abgesichert hätte. Auch der Konflikt mit dem Rentenversicherungsträger und die damit verbundenen Rechtsberatungskosten hätten vermieden werden können, wenn sich die Personalabteilung fundierter mit dem Auslandseinsatz von Holger K. auseinandergesetzt hätte.
Der Fall sprach sich überdies schnell im Unternehmen herum und trug dazu bei, dass sich die Verhandlungen mit künftigen Expats als zäh gestalteten. Neben der Finanzierung von privaten Versicherungen durch den Arbeitgeber verlangten Fachkräfte, die für Auslandsprojekte ausgewählt worden waren, satte Zulagen. Aufgrund des Debakels mit Holger K. waren dessen Kollegen für mögliche Probleme sensibilisiert und empfanden sich in der stärkeren Verhandlungsposition. Um sich für die Zukunft abzusichern und weitere Haftungsfallen zu meiden, gestaltet der Straßenbaukonzern seine Entsendungen künftig nur noch mit spezialisierten externen Beratern.
Quelle: BDAE Gruppe