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Entsendung ins Ausland mit fatalen Ungenauigkeiten

Personalverantwortliche vergessen bei der Gestaltung des Entsendeprozesses häufig, dass es die Krankenkassen sind, die über das Vorliegen von Entsendekriterien entscheiden und damit festlegen, ob eine Ausstrahlung vorliegt oder nicht. Welche Konsequenzen dies haben kann, verdeutlicht ein aktuelles Praxisbeispiel.

Hermann Schuster muss um einen beträchtlichen Teil seiner Rente bangen. Bis zu seinem wohlverdienten Ruhestand hatte er für ein weltweit renommiertes deutsches Unternehmen gearbeitet. Die letzten elf Jahre davon in Venezuela. Als er Anfang 2011 nach Deutschland zurückkehrt und seine Rente beantragt, erlebt er jedoch eine böse Überraschung: Für diese elf Jahre während seiner Auslandsentsendung hat er grundsätzlich keinen Anspruch auf Rentenleistung – obwohl sein Arbeitgeber und er regelmäßig Beiträge an den zuständigen Rententräger abgeführt haben. Dass Schuster nun um sein Ruhestandssalär kämpfen muss, ist auch – aber nicht allein – seinem entsendenden Unternehmen anzulasten. Schuld trägt auch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Was war passiert?

Was viele Unternehmen nicht wissen: Selbst wenn objektiv alle Entsendekriterien (siehe Abbildung) erfüllt sind, entscheidet über das Vorliegen einer Entsendung einzig und allein die jeweilige prüfende Stelle. Bei Hermann Schuster war es seine Krankenkasse (siehe Abbildung „Prüfende Stellen bei Entsendungen“). Ende 1999 beantragte seine Firma bei der Kasse für Schusters Entsendung nach Venezuela für den Zeitraum von fünf Jahren (1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2005) die Prüfung der Ausstrahlung nach Paragraf 4 SGB IV. Der Expatriate wollte weiter in die deutsche Renten- und Arbeitslosenversicherung einzahlen, um keine Versorgungslücken entstehen zu lassen. Lediglich seine Krankenversicherung sollte für die Dauer des Auslandsaufenthalts ruhen (Anwartschaftsversicherung), denn Schusters Arbeitgeber schloss eine private Auslandskrankenversicherung mit Weltgeltung für ihn ab. Damit war das Unternehmen grundsätzlich seiner Meldepflicht bei Auslandsaufenthalten nachgekommen.

Auch die Prüfstellen machen Fehler

Allerdings: Es hatte keine umfassenden Informationen über den Auslandseinsatzes seines Arbeitnehmers an den Krankenversicherungsträger weitergegeben. So unterschlug das Unternehmen auch die entscheidende Information, dass sein Mitarbeiter mit einem lokalen Arbeitsvertrag in Venezuela beschäftigt sein und von der südamerikanischen Niederlassung sein Gehalt beziehen würde. Allein dieser Tatbestand macht die Ausstrahlung nach Paragraf 4 SGB IV unmöglich. Denn: Venezuela ist ein so genannter Nichtabkommensstaat, mit dem Deutschland kein Sozialversicherungsabkommen über soziale Sicherheit geschlossen hat (die entsprechende Länderübersicht kann unter www.dvka.de abgerufen werden). Damit wäre Schuster zunächst rein theoretisch in Venezuela sozialversicherungspflichtig gewesen („Territorialprinzip“). Lediglich wenn die drei entscheidenden Ausstrahlungskriterien (siehe Abb.) erfüllt worden wären – und dazu gehört, dass ein inländisches Beschäftigungsverhältnis fortbestehen muss – hätte Hermann Schuster in der deutschen Sozialversicherung verbleiben dürfen. Dies war jedoch nicht der Fall.

Doch nicht nur das entsendende Unternehmen hat Fehler gemacht, sondern auch Schusters Krankenkasse. Der Sachbearbeiter hatte den Antrag auf Ausstrahlung der Sozialversicherungspflicht unzureichend geprüft und eine Entsendebestätigung an das Unternehmen geschickt. Was zusätzlich verwundert: Als Schusters Arbeitgeber 2006 dessen lokalen Arbeitsvertrag um weitere vier Jahre fortführt und bei der Kasse eine Verlängerung der Entsendung unter Ausstrahlung beantragt, bestätigt der Prüfer diese erneut. Erst als der zurückgekehrte Expatriate 2011 seine Rentenzahlung beantragt, prüft ein anderer Sachbearbeiter des Krankenversicherungsträgers den Fall und legt deutlich mehr Akribie an den Tag. Das Ergebnis:

Schuster hätte im Rahmen eines in Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses entsandt werden müssen. Dabei hätte es sich um eine Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn (Paragraf 7 SGB IV) handeln müssen, die im Inland (fort-)besteht. Das bedeutet, dass Schuster organisatorisch in den Betrieb in Deutschland eingegliedert hätte bleiben muss. Außerdem hätte er dem Weisungsrecht seines bisherigen Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Arbeit – unter Umständen in einer durch den Auslandseinsatz bedingten gelockerten Form – unterstehen müssen. Hätte – viele Konjunktive, die Hermann Schuster aber nichts mehr nützen.

Für den Arbeitgeber heißt es im neuen Schreiben der Krankenkasse nun: „Wesentliches Indiz für das Vorliegen eines in Deutschland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses ist, gegen wen der arbeitsrechtliche Entgeltanspruch besteht. Für das Vorliegen des Indizes spricht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt des im Ausland Beschäftigten – weiterhin – in der Entgeltabrechnung wie für seine Beschäftigten im Inland ausweist.

Das Unternehmen hätte all die Jahre keine Beiträge für Renten- und Arbeitslosenversicherung an das deutsche Sozialversicherungssystem abführen dürfen.

Fehlerhafte Entsendungen keine Einzelfälle

Nach der 17-jährigen Erfahrung der auf Entsendeberatung und Auslandsversicherungen spezialisierten BDAE GRUPPE ist Hermann Schusters fehlerhafte Entsendung bei weitem kein Einzelfall. Schätzungsweise noch rund jeder vierte Auslandseinsatz ist falsch geregelt – mit fatalen Folgen für Entsandte und entsendende Unternehmen (siehe auch Beitrag „Lost in France“ im Personalwirtschaft-Extra Auslandsentsendung 05/2011). Arbeitgeber müssen ihrer Fürsorgepflicht für Mitarbeiter nachkommen; derartige Defizite bei Personaltransfers ins Ausland stellen eine Verletzung dieser Pflicht dar. Geschädigte Arbeitnehmer können ihre Firma in Regress nehmen und Schadensersatz fordern. Wie aber können Personalverantwortliche vorsorgen, damit es gar nicht erst dazu kommt? Regel Nummer Eins: Sie sollten den prüfenden Stellen, also je nach Status des Mitarbeiter der zuständigen Krankenkasse, dem Rentenversicherungsträger oder der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen, genau auf die Finger schauen. Die folgenden fünf Empfehlungen zeigen, worauf zu achten ist:

 

  1. Auch wenn objektiv eine Entsendung vorliegt, muss diese grundsätzlich formell bei der zuständigen Prüfstelle beantragt werden. Personalverantwortliche sollten kein vorgefertigtes Antragsformular verwenden, da jeder Entsendefall ein individuell zu prüfender Einzelfall ist. Entscheidende Angaben sind etwa:
    • Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts mit präzisem Datum
    • Infos zum Arbeitsvertrag (lokal oder beim deutschen Arbeitgeber)
    • Angaben zur Payroll (in Deutschland oder Ausland oder gesplittet?)
    • Hinweise zur Weisungsbefugnis (deutsches oder ausländisches Unternehmen?)
    • Infos zur Familie des Expats (kommen Partner und Kinder mit oder bleiben diese in Deutschland?)
  1. Die Personalabteilung sollte den Mitarbeiter zwingend einbeziehen, jede Angabe mit diesem abstimmen und dessen Telefonnummer und E-Mail-Adresse im Antrag vermerken. Der Ansprechpartner der Kasse und dessen Kontaktdaten sollten ebenfalls genannt werden. Auf diese Weise verhindern Personaler, dass unterschiedliche Angaben bei der Prüfstelle ankommen.
  2. Die Befristung des Auslandsaufenthaltes sollte zwingend immer angegeben werden. Ist noch nicht klar, wie lange der Auslandseinsatz andauert, sollte besser ein längerer Zeitraum als ein zu kurzer angegeben werden. Personalverantwortliche sollten keinesfalls Proforma-Anträge mit Einjahresbefristung ausfüllen.
  3. Die Bestätigung der Krankenkasse sollte kritisch geprüft werden und detaillierte sowie verbindliche Informationen enthalten. Da lediglich der Arbeiteber über den Bescheid zur Entsendung informiert wird, sollte die Personalabteilung unbedingt eine Kopie an den zu entsendenden Mitarbeiter weitergeben, damit dieser die Richtigkeit der Angaben überprüfen kann. Wie ein verbindlicher Entsendebescheid aussehen sollte, verdeutlicht Abbildung 1 oben.
  4. Personalabteilungen sind verpflichtet, jegliche Änderungen des Entsendevorhabens (zum Beispiel eine Verlängerung) an die jeweilige Prüfstelle zu melden und den entsandten Mitarbeiter davon zu unterrichten.

HR-Abteilungen, die diese Empfehlungen beachten, verringern ihr Haftungsrisiko bei fehlerhaften Entsendungen erheblich und kommen ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den entsandten Mitarbeitern vorbildlich nach.

Hermann Schuster ist auf seinen Ex-Arbeitgeber derzeit nicht besonders gut zu sprechen und hat einen Anwalt zurate gezogen. Derzeit ist unklar, wie hoch beziehungsweise wie niedrig seine monatliche Rente aufgrund der Lücke sein wird. Hinzu kommt, dass er im Zweifel die fälschlicherweise gezahlten Beiträge in die Rentenversicherung nicht einmal erstattet bekommt. Denn der Erstattungsanspruch verjährt bereits vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet wurden

Kriterien für Ausstrahlung der Sozialversicherungspflicht nach SGB IV:

  1. Der Arbeitnehmer muss sich auf Weisung seines Arbeitgebers ins Ausland begeben, um dort für diesen eine Tätigkeit auszuüben.
  2. Das inländische Beschäftigungsverhältnis muss fortbestehen. Dafür gilt folgende Definition:
    • Die Verantwortung für den Arbeitnehmer liegt beim entsendenden Unternehmen.
    • Der Arbeitsvertrag bleibt in vollem Umfang mit diesem Unternehmen bestehen.
    • Das Unternehmen kann den Arbeitnehmer entlassen sowie die Art und Weise seiner Tätigkeit bestimmen.
    • Die Arbeit im Gastland wird auf Rechnung des entsendenden Unternehmens ausgeführt.
  3. Die Entsendung muss im Voraus zeitlich befristet sein. Dafür gibt es anders als bei der Entsendung in EU/ EWR-Staaten keine vorgegebene maximale Frist.

 

Der Autor:

Omer Dotou hat 12 Jahre als Sozialversicherungsexperte für Entsendungen bei einer gesetzlichen Krankenkasse gearbeitet und ist Leiter der Auslandsberatungsstelle und Internationale Mitarbeiterentsendungen bei der BDAE GRUPPE, odotou@bdae.de

 Foto: © Wilm Ihlenfeld – Fotolia.com