Skip to main content
Ad
Einsamkeit im Ausland
© peshkova - AdobeStock

Buchtipp: On the Move – Ein psychologischer Wegbegleiter für das Leben und Arbeiten im Ausland

Mit der Globalisierung wächst auch die Zahl der Menschen, die ihr Leben oder Phasen ihres Lebens im Ausland verbringen. Die Anlässe sind vielfältig und reichen vom Sprachkurs in England, einem Auslandssemester in Neuseeland über einen Friedenseinsatz im Sudan oder eine Geschäftsgründung in Vietnam bis hin zum Altersruhesitz auf Mallorca. Unabhängig von den Beweggründen ist ein Auslandsaufenthalt stets eine Herausforderung, die immer mehr Menschen meistern wollen oder müssen.

Aber wie lassen sich die Besonderheiten eines Lebens weit weg von zu Hause gut bewältigen? Wie gelingt es, trotz räumlicher Entfernung wichtige emotionale Bindungen zu erhalten? Wie lassen sich Einsamkeitsgefühle überwinden und neue soziale Kontakte aufbauen? Und wie wird man den Erwartungen und Wünschen der mitgereisten Familie gerecht? Psychologin Dr. Agnes Justen-Horsten informiert in ihrem Ratgeber über Risiken und Chancen eines Auslandsaufenthalts, bietet Hilfe bei der Entscheidungsfindung und bei aufkommenden Zweifeln und gibt wertvolle Tipps für schwierige Situationen und Krisen unterwegs.

Ein Auszug aus dem Buch zeigt einen konkreten Fall:

Fremd und einsam im Land der Träume?

Bea interessiert sich schon lange für die Länder Südostasiens. In den letzten Jahren ist sie oft im Urlaub dorthin gereist, nach Kambodscha, Vietnam und Thailand. Zuletzt mit Ihrem Freund Florian. Gerade hat sie von der Firma, für die sie arbeitet, ein Jobangebot in deren Büro in Bangkok bekommen. Sie ist begeistert von der Chance, hat aber auch Zweifel:

„Ich bin schon seit mehr als zwei Jahren mit Florian zusammen. Wir haben uns in der Endphase unseres Studiums kennengelernt. Er hat einen super Job gefunden, ist gerade in der Probezeit und kann nicht mitkommen. Es sieht so aus, als sei seine Arbeit ihm wichtiger als ich. Das gleiche sagt er über mich. Aber wäre es nicht auch total verrückt, diese Chance sausen zu lassen? Wegen ihm auf etwas für mich so Wichtiges zu verzichten, tut der Beziehung doch auch nicht gut. Sollen wir uns auf das Experiment einer Fernbeziehung einlassen oder uns lieber gleich trennen? Mein Alltag wird sich ohne ihn komplett verändern. Mit der Vorstellung einer Fernbeziehung kann ich besser leben, aber hält unsere Beziehung das aus?“

Sie ahnt, dass in der Fremde einsam zu sein, das ist, wovor sie am meisten Angst hat. Allein, ohne Freunde, ohne Familie in einer großen unübersichtlichen Stadt, in der die meisten eine Sprache sprechen, die sie nicht kennt, sehnsüchtig auf Nachrichten von Florian wartend, ängstlich besorgt, dass das Band zwischen Ihnen abreißen könnte.

„Eigentlich ist es mir noch nie schwergefallen, andere Menschen kennenzulernen. Ich habe viele Freundschaften, die über Jahre gewachsen sind. Aber da in Bangkok ist niemand, der auf mich wartet. Im Urlaub ist das anders, da freut man sich über kurze Gespräche hier und da. Aber ich werde ja meinen Alltag in dieser Stadt verbringen und brauche Freunde. Wie soll ich das bloß hinkriegen, wenn ich jetzt schon traurig bin, wenn ich an den Abschied denke.“

Dass Einsamkeit so ziemlich das Unerträglichste ist, was Menschen erleben können, zeigt die Tatsache, dass die schlimmsten Strafen für Verbrechen die der Isolation sind: Ächtung, Verbannung, Gefängnis und Einzelhaft. John Cacioppo und William H. Patrick beschreiben in ihrem sehr lesenswerten Buch Einsamkeit. Woher Sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entkommt (2011) chronische Einsamkeit als »sozialen Schmerz« – Schmerz auch deswegen, weil nach ihren Untersuchungen Einsamkeit auch Verursacher vieler körperlicher Beschwerden ist. Er und sein Forscherteam fanden heraus, dass hoher Blutdruck, Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum sich im Zusammenhang mit sozialer Isolation entwickeln können. Hält Einsamkeit länger an, entsteht dadurch auch Unsicherheit und zunehmende Ängstlichkeit bis hin zur Angst vor Ablehnung. Sicher trifft das häufiger auf ältere Menschen zu und dann, wenn das Alleinsein zum Dauerzustand geworden ist und weniger auf aktive, junge Leute, zu denen Bea zählt. Und dennoch sagt Bea:

„Ich glaube, es wird schwer für mich Freunde zu finden. Ich wünsche mir Menschen, mit denen mich viel verbindet und an denen mir viel liegt. Ob ich die unter Expats finde? Expats sind wie Zugvögel, landen für kurze Etappen, aber sobald sich die nächste günstige Gelegenheit zum Aufbruch findet, sind sie auch schon wieder weg. Sicher haben sie schon so viele Menschen kommen und gehen gesehen, dass ich nicht erwarten kann, dass es wirklich ein nachhaltiges persönliches Interesse an mir geben wird. Und bei denen, die Partner oder Partnerinnen oder Familie mitgebracht haben, erwarte ich es erst recht nicht.“

Bea wird die Stelle in Bangkok trotz der Ungewissheit, was aus ihrer Beziehung zu Florian wird und ob sie neue Freunde finden kann, annehmen. Sie will sich diese Chance nicht nehmen lassen und die zwiespältigen Gefühle beim Abschied überwinden.

Was kann man ihr raten? Was kann Sie tun, um anhaltende Gefühle von Einsamkeit im Ausland nicht erleben zu müssen?

Für ein kleines emotionales Hochgefühl von Begegnung die Aufmerksamkeit, die sie selbst gern hätte, auf jemand anderen richten. Zum Beispiel dem Zeitungsverkäufer ein Kompliment wegen seines netten Lächelns machen; die freundliche Person, die sie jetzt schon zum fünften Mal in ihrer Straße trifft, zu fragen, ob sie auch in dieser Gegend wohnt und weiß, wo es eine gut funktionierende Autowerkstatt gibt. Wenn sie auf diese Art initiativ wird, wird sie gesehen und in Zukunft leichter erkannt. Aber sie sollte sich über diesen Schritt freuen, ohne zu große Erwartungen zu haben.

Sie könnte Ihrer Nachbarin die Zeitung in den dritten Stock mitnehmen und sich bei der Gelegenheit vorstellen. Oder die alte Dame im Erdgeschoss fragen, ob sie ihr etwas aus dem Supermarkt mitbringen kann. Bitte ohne es mit dem Altruismus zu übertreiben, denn das Gefühl ausgenutzt zu werden, führt eher zu mehr als zu weniger Rückzug.

Nach Menschen Ausschau zu halten, die ähnliche Interessen haben, macht Sinn. Bea spielt Tennis. Der lokale Mitarbeiter im Büro auch. Auch wenn dieser Mann ihrer Einschätzung nach viel zu draufgängerisch ist, könnten sich über ihn neue tennisspielende Kontakte ergeben. Ihr Anspruch sollte nicht gleich sein, Freunde fürs Leben zu finden, sondern sich in (hoffentlich angenehme) Gesellschaft zu begeben.

Sie sollte sich so viel wie möglich draußen bewegen und sich einer Lauf-, Tennis-, Golf-, Schwimm-, Gymnastik-, Yoga-, Boule-, Stadtspaziergängergruppe etc. anschließen. Bewegung aktiviert, sie sieht andere und wird gesehen. Nicht alles auf eine Karte setzen, sondern Verschiedenes ausprobieren.

Gut für ihre Psychohygiene und hilfreich gegen den Rückzug und die emotionale Verkapselung ist alles, was Gefühle wachrüttelt und ihr beim Ausleben dieser hilft. Das geht mit anderen Menschen zusammen besser, aber auch – und manchmal einfacher – allein, wie Musikhören und Musikmachen, Singen, Tanzen, Lieblingsfilme- oder -serien schauen – Aktivitäten, die sie anrühren, bei denen sie lachen und weinen kann.

Es fühlt sich immer gut an, sich etwas getraut zu haben. Warum schreibt sie nicht einfach einmal jemandem, von dem sie lange nichts mehr gehört hat und nicht weiß warum?

Manchmal hilft sich auch diese Frage zu stellen: Was müsste ich tun, um mich noch mieser und einsamer zu fühlen? Die Absurdität der Vorstellung, etwas zu tun, was den eigenen Zustand verschlimmert, schafft Distanz zu den gewohnten Grübelschleifen und lässt so den Widerstand gegen die eigene Festgefahrenheit wachsen. So können auch neue Perspektiven entstehen.

Hier noch drei Dinge, die sie nicht tun sollte:

  1. Sich mit Leuten, denen scheinbar alles so leichtfällt, zu vergleichen.
  2. Sich selbst wegen der negativen Gedanken, die sie hat, nicht zu mögen.
  3. Schuldige im Außen für ihr Unglück zu suchen. Es geht nicht um das Glück oder Unglück eines anderen, sondern um ihr eigenes. Und dafür ist nun mal nur sie selbst zuständig.

 

Buchinformationen:

Ratgeber Einsamkeit im AuslandAgnes Justen-Horsten

On the Move – Ein psychologischer Wegbegleiter für das Leben und Arbeiten im Ausland

    160 Seiten · Gebunden· 22,90 Euro (D) · 23,60 Euro (A)

ISBN 978-3-8379-3124-2 ·

ISBN E-Book 978-3-8379-7824-7

Psychosozial-Verlag, Buchreihe: verstehen lernen 

 

Über die Autorin:

Dr. Agnes Justen-Horsten ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Beraterin. Sie ist ausgebildet in systemischer, verhaltenstherapeutischer und Traumatherapie und unter anderem als Dozentin und Supervisorin tätig.

Aufgrund eigener beruflicher Auslandserfahrungen behandelt und berät sie vor allem Menschen, die berufsbedingt ins Ausland ziehen und dadurch in Krisen geraten. Mit Helmut Paschen hat sie 2011 OnThe-Move.online gegründet, ein Beratungsangebot für Deutschsprachige im Ausland.

Kontakt: justen-horsten@onthemove.online