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situative Aufmerksamkeit
© Ramona Heim - AdobeStock

Warum situative Aufmerksamkeit so wichtig für die persönliche Reisesicherheit ist

Ob auf Geschäftsreise, im Urlaub oder unterwegs im Krisengebiet: Sicherheit bei Auslandsreisen ist für jeden Menschen machbar. Alles, was es braucht, um die persönliche Sicherheit schnell zu erhöhen, sind einige Werkzeuge. Drei der wichtigsten Sicherheits-Tools stellt Experte Florian Peil vor.

In dem Agenten-Thriller „Die Bourne-Identität“ gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur Jason Bourne (gespielt von Matt Damon) ein Restaurant betritt. Sein erster Blick gilt den Ausgängen. Ein zweiter langer Blick in das Lokal genügt, um festzustellen, dass eine der Kellnerinnen Linkshänderin ist und der Barkeeper ein erfahrener Kampfsportler. Außerdem kann er die Nummernschilder der sechs Autos wiedergeben, die vor dem Restaurant auf dem Parkplatz stehen.

Da Bourne unter Gedächtnisverlust leidet, kann er sich nicht erklären, wieso er seine Umgebung derart präzise beobachten und einzuschätzen vermag. Seine Begleiterin (gespielt von Franka Potente) tut seine Beobachtungen als unbedeutend ab, sie selber sieht nur einen Barkeeper und eine Kellnerin. Das Besondere an Bourne ist die Art und Weise, wie er seine Umgebung wahrnimmt. Er beobachtet genau, ist offen für neue Informationen und damit fähig, auf der Grundlage seiner Beobachtung präzise Einschätzungen über diese Umgebung abzugeben. Bourne kann seine Umgebung lesen.

Die Luft lesen können

Der Begriff „situative Aufmerksamkeit“ (Englisch: situational awareness) fällt in dem Film nicht. Aber genau darum geht es in dieser Szene. Bourne verfügt über eine exzellente situative Aufmerksamkeit, seine Begleiterin hingegen nicht. Bourne sieht mehr. Denn situative Aufmerksamkeit ist nichts anderes als die bewusste und präzise Wahrnehmung der eigenen Umgebung. Awareness ist unser Gefahrenradar. Es ist unser Frühwarnsystem, das uns auf mögliche Bedrohungen in der eigenen Umgebung hinweisen kann, zum Beispiel kriminelle Angriffe oder Entführungen.

Diese situative Aufmerksamkeit bedeutet, die eigene Umgebung zu sondieren, um mögliche Bedrohungen frühzeitig zu erkennen. Wer Awareness praktiziert, weiß zu jedem Zeitpunkt, was in der eigenen Umgebung vorgeht. Awareness ist das wichtigste und wertvollste Werkzeug für die persönliche Sicherheit auf Reisen und im Alltag.

Im Japanischen gibt es für diese Fähigkeit einen eigenen Ausdruck: „die Luft lesen“. Der Begriff bezeichnet die Fähigkeit, (soziale) Situationen ohne Erklärungen erfassen zu können. Im Unterschied zu den individualistischen Kulturen der westlichen Länder denken die Menschen in Japan kollektiver, vereinfacht ausgedrückt. Dazu gehört es, Situationen und das Verhalten von Mitmenschen ohne ausdrückliche Erklärungen zu verstehen. Wer die Luft lesen kann, verfügt über soziale Intelligenz – und reist sicherer.

Wie Awareness Sie vor kriminellen Angriffen und Gewalttaten schützen kann

Konsequent im Alltag eingesetzt, erhöht Awareness die eigene Sicherheit gleich doppelt. Zum einen hilft sie uns, mögliche Bedrohungen wie kriminelle Angriffe, Gewalttaten oder auch soziale Unruhen frühzeitig zu identifizieren. Je früher wir eine potentielle Bedrohung erkennen, desto mehr Zeit haben wir, um noch rechtzeitig die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um uns aus der Gefahrenzone zu bewegen.

Zum anderen hat situative Aufmerksamkeit in vielen Fällen eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Angreifer. Denn jede feindliche Handlung erfordert beim Täter eine gewisse Vorbereitung. Dabei gilt die Faustregel: Je komplexer die geplante Tat, desto länger die Vorbereitungszeit aufseiten der Angreifer.

situative Aufmerksamkeit

Wer unaufmerksam ist und sich in der Öffentlichkeit mit seinem Smartphone beschäftigt, kann schnell Opfer von Taschendieben werden. (Foto: asiandelight)

Bei Taschendieben zum Beispiel ist diese Vorbereitungszeit in der Regel eher kurz, weil die geplante Tat nicht sehr komplex ist. Taschendiebe sind wie Krokodile: Sie haben ein Revier, und dort lauern sie auf geeignete Opfer und einen günstigen Zeitpunkt für ihren Angriff. Dafür muss ein Taschendieb also zunächst ein lohnendes Opfer identifizieren, um sich diesem sodann möglichst unbemerkt zu nähern. Hier kommt die situative Aufmerksamkeit ins Spiel. Wer aufmerksam und wachen Blickes unterwegs ist, wird vermutlich gar nicht erst auf dem Radar das Taschendiebs auftauchen. Sobald ein potenzieller Angreifer feststellt, dass sie ihn bereits frühzeitig wahrgenommen und ihm dies durch einen direkten Blickkontakt mitgeteilt haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich dieser Angreifer ein anderes und „weicheres“ Ziel sucht, also eine Person ohne Awareness, der er sich unbemerkt nähern kann. Allein durch Ihre situative Aufmerksamkeit sind Sie zu einem „härteren Ziel“ geworden und haben den Angreifer abgeschreckt.

Wie funktioniert Awareness nun in der Praxis? Bewusst beobachten und die eigene Umgebung lesen zu können ist keine übernatürliche Fähigkeit, sondern kann trainiert werden. Bei der Anwendung hilft ein seit Jahrzehnten bewährtes System: der Cooper Color Code.

Die vier Stufen von Awareness: der Cooper Color Code

Jeff Cooper war ein US-amerikanischer Schießausbilder, der ein System entwickelte, um die eigene Handlungsfähigkeit in Situationen zu erhöhen, in denen die eigene Sicherheit gefährdet ist: der Cooper Color Code. Dieses System hat sich auch jenseits von Militär und Sicherheitsbehörden als sehr nützlich erwiesen. Ich setze den Code seit Jahren in meinen Sicherheitstrainings ein, um die Teilnehmer mit dem Werkzeug Awareness vertraut zu machen.

situative Aufmerksamkeit

Coopers System basiert auf einem Farbcode mit den Farben Weiß, Gelb, Orange und Rot. Jede Farbe steht für einen bestimmten Grad an Awareness. Wir alle bewegen uns grundsätzlich in einer dieser vier Stufen situativer Aufmerksamkeit. Weiß steht dabei für den geringsten Grad an Awareness, Rot für den höchsten.

In Stufe Weiß sind wir entspannt und unaufmerksam und schenken unserer Umgebung keine oder nur wenig Beachtung. Weiß ist die Farbe der Routine, der Betriebsblindheit und des Alltagstrotts – und des „Herumdaddelns“ auf dem Smartphone. Auf dieser Stufe sind nicht in der Lage, potenzielle Gefahren wahrzunehmen, geschweige denn, angemessen darauf zu reagieren. Auf Weiß folgt die nächsthöhere Stufe Gelb. In Stufe Gelb sind wir entspannt, nehmen aber unsere Umgebung aufmerksam und bewusst wahr. In Gelb haben Sie Ihren Gefahrenradar eingeschaltet. Sie wissen, wo Sie sind und welche Menschen sich um Sie herum befinden. Und genau darum geht es: Wann immer Sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, sollten Sie in Stufe Gelb sein, also Ihren Gefahrenradar aktiviert haben – so wie Jason Bourne in der oben beschriebenen Filmszene. Im Alltag bedeutet das: Packen Sie Ihr Smartphone weg, nehmen Sie die Kopfhörer aus den Ohren, legen Sie in der U-Bahn das Buch weg. Nehmen Sie Ihre Umgebung bewusst und mit allen Sinnen wahr. Die meisten Menschen gewinnen schnell Gefallen an dieser neuen Aufmerksamkeit, da Sie Dinge entdecken, die Ihnen vorher nie aufgefallen sind.

In Stufe Orange wechseln Sie, sobald Sie eine potenzielle Bedrohung in Ihrem Umfeld identifiziert haben. Vielleicht sagt Ihnen Ihre Intuition, dass etwas nicht stimmt. Ihre situative Aufmerksamkeit hat sich jetzt erhöht und ist auf die mögliche Gefahrenquelle fokussiert. In Stufe Orange nimmt Ihre körperliche Anspannung zu und der Herzschlag erhöht sich. Vielleicht bekommen Sie feuchte Hände und einen trockenen Mund. Das sind typische Stress-Reaktionen und Zeichen dafür, dass der Körper sich auf Aktion vorbereitet.

In Orange fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit so lange auf die mögliche Bedrohung, bis sich die Situation entweder entschärft oder sich die potenzielle Gefahrenquelle als harmlos herausstellt. Dann schalten Sie wieder auf Gelb herunter. Oder aber Sie realisieren, dass tatsächlich eine Bedrohung besteht und Sie handeln müssen. Dann wechseln Sie in Stufe Rot. Rot bedeutet Ernstfall. In dieser Stufe haben Sie eine konkrete und gegen Sie gerichtete Bedrohung identifiziert. Vielleicht haben Sie eine oder mehrere Personen entdeckt, die sich Ihnen nähern und sie offenkundig einkreisen wollen. Rot heißt: Aktion erforderlich. Ihr Herzschlag hat sich nun nochmals erhöht, Adrenalin wird ausgeschüttet, Ihre Sinne sind maximal geschärft. Ihr Körper ist bereit für eine der beiden archaischen Reaktionen bei Gefahr: kämpfen oder fliehen. Dieser Zustand währt so lange, bis keine Gefährdung mehr existiert und Sie sich an einem sicheren Ort befinden. Dann schaltet der Körper nach einer Weile wieder herunter, bis er nach und nach wieder Stufe Weiß erreicht, den Zustand der Erholung.

Den Farbcode in der Praxis einsetzen

Der Farbcode hilft, die eigene Wahrnehmung gezielt zu steuern. Während des Tages können wir mehrfach zwischen den vier Stufen wechseln. Die meiste Zeit verbringen wir in den Stufen Weiß und Gelb, deutlich seltener in Orange und nur in Ausnahmefällen sind wir in Stufe Rot. Die meisten Menschen befinden sich die überwiegende Zeit des Tages mental in Stufe Weiß, auch außerhalb der eigenen vier Wände oder anderer geschützter Räume. Das bedeutet jedoch, dass sie kein Auge für ihre jeweilige Umgebung haben. Dieses Verhalten hat zwei gravierende Nachteile für die eigene Sicherheit: Erstens sind wir in Stufe Weiß nicht in der Lage, potenzielle Bedrohungen frühzeitig zu identifizieren. Zweitens sind wir ohne situative Aufmerksamkeit im Bedrohungsfall unfähig, adäquat zu reagieren, uns also so zu verhalten, dass wir die Situation möglichst unbeschadet überstehen. Denn in einer Gefahrensituation müssen wir aus diesem mentalen Zustand erst aufwachen. Wir können nicht direkt von Weiß zu Rot wechseln, sondern brauchen dafür ein paar Sekunden der Orientierung und Anpassung an die Situation. Und das dauert in Bedrohungssituationen erfahrungsgemäß meist zu lange.

Fazit: Warum Awareness so wichtig für die persönliche Reisesicherheit ist

Situative Aufmerksamkeit erhöht Ihre persönliche Sicherheit auf Reisen und im Alltag. Zum einen erkennen Sie potenzielle Bedrohungen früher, zum anderen kann Awareness eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Angreifer haben. Um Ihre persönliche Reisesicherheit effektiv zu erhöhen, reicht es bereits, wenn Sie die folgenden drei Tipps anwenden:

  1. Mit dem Cooper Color Code können Sie Ihre situative Aufmerksamkeit gezielt steuern.
  2. Schalten Sie Ihr Gefahrenradar bewusst an, sobald Sie unterwegs sind (Stufe Gelb).
  3. Smartphones sind Awareness-Killer. Lassen Sie unterwegs Ihr Smartphone in der Tasche und nutzen es so wenig wie möglich.

Gute Reise!