„Unternehmen sollten Angst der Geschäftsreisenden vor Terroranschlägen ernst nehmen“
Erneut ist Europa von Terroranschlägen betroffen. Expat News befragte Benjamin Beutekamp, Berufsoffizier der Bundeswehr und Inhaber von Human Resource Protection, zu dem aktuellen Anschlag auf den internationalen Flughafen in Istanbul.
Expat News: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema Sicherheit von Expats und Geschäftsreisenden und werben regelmäßig für ein gut durchdachtes Sicherheitskonzept. Was ging Ihnen bei der Nachricht über die Terroranschläge am Istanbuler Flughafen vorgestern durch den Kopf?
Beutekamp: Als ich die Schlagzeilen über den Anschlag am Flughafen Istanbul las, dachte ich „Oh nein, nicht schon wieder!“ Dass ich damit nicht alleine bin, ist mir bewusst. Ich bin seit fast 20 Jahren Soldat und mit den Themen Tod und Verwundung vertraut. Für mich ganz persönlich, der ausgebildet wurde um Beteiligten von Ereignissen mit potenziellen Traumatisierungsfaktoren vor Ort psychologische Hilfe zu leisten, ziehen die Anschläge noch ganz andere Fragen nach sich.
Expat News: Welche sind das?
Beutekamp: Was wird aus den vielen Menschen, die Augen- oder Ohrenzeugen wurden? Den Ersthelfern oder den Geschäftsreisenden, die mitten drin oder in der Nähe waren und nach dieser Tragödie wieder ihrer gewohnten Arbeit nachgehen? Was wird aus denjenigen, die ihre Emotionen nicht zuordnen können? Wer erkennt deren Wunden, die oft wenig Beachtung finden, bevor sie dann, im schlimmsten Fall chronisch, die Betroffenen wieder und wieder heimsuchen? Wer kümmert sich um diese Menschen in einer Zeit, in der das Zeigen von Schwächen nicht opportun erscheint?
Mein Appell speziell an alle Personalverantwortlichen, die Geschäftsreisen veranlassen, ist dafür zu sorgen, dass im Unternehmen eine offene Gesprächskultur herrscht, in der Reisende über ihre Ängste vor weiteren Anschlägen sprechen können oder ihre Erfahrungen mitteilen. Als Angehöriger einer Männerdomäne weiß ich nur zu gut um die Verschlossenheit gerade männlicher Mitarbeiter. Lassen Sie als Verantwortliche für Ihre Mitarbeiter in dieser Zeit niemanden mit seinen Gefühlen alleine und nehmen Sie Sorgen ernst!
„Verantwortliche sollten mit Mitarbeitern über Gefühle sprechen“
Expat News: Wie können Unternehmen eine offenere Gesprächskultur in punkto Sorgen der reisenden Mitarbeiter schaffen?
Beutekamp: Das geht nur langfristig und bedarf einer aktiven und nachhaltigen Rolle von Vorgesetzten. Um Ihre Frage einmal plastisch zu beantworten, hier ein Beispiel: Erst kürzlich habe ich eine Sicherheitsschulung in einem Unternehmen durchgeführt, das in Istanbul eine Wohnung gemietet hat, um ihre Geschäftsreisenden wochenweise dort unterzubringen. Ich habe dem Geschäftsführer nun geraten, sich mit allen Beteiligten zusammenzusetzen, also mit den Reisenden und den für das Travelmanagement Verantwortlichen und zu erklären, dass es für das, was dort zum wiederholten Mal passiert ist, wenig Worte gibt, aber dass er den Drang verspüre über Gefühle zu sprechen.
Um eine solche Gesprächsrunde zu moderieren, empfehle ich, zwei Fragen auf ein FlipChart-Papier zu schreiben:
- Was hat mich am meisten bewegt als ich von der Nachricht erfahren habe?
- Was wünsche ich mir von meinem Arbeitgeber als Vorbereitung auf meine nächste Geschäftsreise?
Man kann beide Fragen zur gleichen Zeit aufschreiben und behandeln oder man wartet mit der zweiten Frage noch. Wichtig ist, dass der Vorgesetzte beginnt und dass niemand zum Reden gezwungen wird. Das schenkt Vertrauen. Im Ergebnis sollten sich alle Teilnehmer über ein internes Notfallkonzept Gedanken machen.
Unabhängig von zukünftigen sicherheitsrelevanten Entwicklungen empfehle ich die Bildung einer offenen Gesprächskultur durch weitere ähnlich gelagerte kurze Gesprächsrunden zu fördern. Das kann man machen, indem man sich mittags eine Pizza kommen lässt und diese dann gemeinsam isst und sich dabei austauscht.
„Es hilft den Mitarbeitern, sich verstanden und ernstgenommen zu fühlen“
Expat News: Wie können Unternehmen Ihre im Ausland reisenden Mitarbeitern Ängste vor Terroranschlägen nehmen?
Beutekamp: Zunächst ist das Hauptproblem, dass man das Gefühl „Sicherheit“ – also „sich sicher fühlen“ – nicht greifen kann. Umgekehrt heißt dies auch, dass jeder Mensch Bedrohungen anders empfindet. Reisenden ist bewusst, dass man sich auf Anschläge kaum vorbereiten kann. Was aber unserer Erfahrung nach hilft, sind Konzepte in der Vorbereitung, Sicherheitsrichtlinien für die Reisezeit und eine Evaluierung für die Zeit danach. Mitarbeitern und deren Angehörigen zeigen Arbeitgeber damit, dass sie ihre Fürsorgepflicht ernst nehmen. Das stärkt die Loyalität nach innen und außen und nimmt Ängste. Das Feedback unserer Kunden zeigt, dass die beschriebene offene Gesprächskultur dabei hilft, sich verstanden und ernstgenommen zu fühlen und das bewirkt oftmals mehr als man denkt.
Weiterhin empfehlen wir, Länderanalysen zu beschaffen, in denen Bedrohungspotenziale und die medizinische Infrastruktur der Zielregion im Fokus stehen sollten. Wenn ich als Reisender um die Gesundheitsversorgung in der Region weiß, fühle ich mich besser – egal, ob diese Umstände schlecht sind oder nicht. Was zählt, ist eine Vorstellung zu haben und das beruhigt manchmal eben auch. Im Endeffekt geht es um die Ehrlichkeit.
„Ohne eine Sicherheitsschulung geht nichts mehr“
Ganz gleich wie die Haltung zu Sicherheitsfragen ist, um ein Sicherheitstraining kommt man bei Auslandsreisen nicht mehr herum. Ein seriöses Training sollte Antworten von der Wahl der Unterkunft bis zum Einüben des richtigen Verhaltens bei Schüssen in der Nähe geben und von echten Experten beispielsweise aus dem Militärbereich durchgeführt werden. Gute Trainings dauern ein besser zwei Tage. Auch dies hilft, sich auf Ereignisse dieser Art besser vorzubereiten und zudem die Grenzen der eigenen Handlungsfähigkeit kennenzulernen.
Expat News: Wie könnte ein von Ihnen empfohlenes, möglichst auch bezahlbares Notfallkonzept für Unternehmen aussehen?
Beutekamp: Oft genügt es zu wissen, wer mein Ansprechpartner für Notfälle vor Ort ist und wie ich diesen erreiche – beispielsweise die Botschaft, medizinische Einrichtungen und so weiter. Einige Unternehmen informieren ihre Reisenden per SMS oder Apps über Ereignisse. Das ist gut, hat aber auch seine Grenzen. Was nützt mir etwa die bloße Information über Gefahren, wenn ich bei Schwierigkeiten auf mich alleine gestellt bin?
Generell empfehle ich Unternehmen, die ihre Mitarbeiter temporär oder für längere Zeit in die gleiche (Krisen)Region entsenden, einen Notfallmanager im Sicherheitsbündnis. Diesen Fachmann kann man sich am besten wie einen touristischen Reiseleiter im Pauschalurlaub vorstellen. Während der klassische Reiseleiter einmal in der Woche ins Hotel kommt um Ausflugtipps zugeben, reist der Notfallmanager in der Region von Unternehmen zu Unternehmen und hält die Entsandten dabei über tagesaktuelle Entwicklungen in der Region auf dem Laufenden. Damit ist er der erste Ansprechpartner, wenn es um Fragen der Sicherheit geht.
Auch der Aufbau eines Präventions- und Reaktionskonzeptes für Notlagen, das unternehmensübergreifend ausgestaltet ist, sollte durch den Notfallmanager implementiert werden. Um finanzielle Ressourcen zu schonen, sollten sich mehrere Unternehmen in einer Region darauf verständigen, gemeinsam die Dienstleistung eines Notfallmanagers in Anspruch zu nehmen. Dadurch kann ein kostengünstiges und effizientes Sicherheitskonzept entstehen. Alternativ kann man auch einen Mitarbeiter weiter qualifizieren. Um der Wahrheit ins Gesicht zu blicken: Diese Aufgabe ist nicht als Nebenaufgabe geeignet.