Mehr Protektionismus: Deutsche Unternehmen investieren weniger im Ausland
Handelshemmnisse in aller Welt machen den international tätigen deutschen Unternehmen zunehmend zu schaffen, deswegen investieren sie weniger im Ausland. Das geht aus der aktuellen Umfrage „Going International“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) hervor, an der sich 2.400 Betriebe beteiligt haben.
Nur noch knapp jedes zweite deutsche Industrieunternehmen will in Zeiten der Krise noch im Ausland investieren – der niedrigste Anteil seit 14 Jahren. Befragt wurden 1.800 Unternehmen.
„Wir sehen hier klar eine traurige Tendenz zu mehr Protektionismus“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. „Das trifft die weltweit aktive deutsche Wirtschaft besonders hart und verhindert einen Exportaufschwung im laufenden Jahr.“
Handelshemmnisse haben seit Donald Trumps Präsidentschaft zugenommen
Seit Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten eine zunehmend protektionistische Außenwirtschaftspolitik anstieß, verzeichnete die Umfrage eine kontinuierliche Zunahme der Hemmnisse im internationalen Geschäft. Einzige Ausnahme war das Corona-Krisenjahr 2021. Vor 2017 hatten im Durchschnitt 35 Prozent der deutschen Unternehmen einen Zuwachs bei den Handelshemmnissen registriert. Das war für ein Gros der Betriebe noch handhabbar. Seit 2017 liegen die Werte bei knapp 50 Prozent oder sogar darüber.
Die Hürden sind dabei durchaus vielfältig: Knapp die Hälfte der Unternehmen (47 Prozent) nennt lokale Zertifizierungsanforderungen als zentrale Barrieren im Auslandsgeschäft. Hierbei verlangen einige Länder zusätzliche Prüfungen von ausländischen Betrieben. Daneben erhöhen bei 42 Prozent der Unternehmen verstärkt Sicherheitsanforderungen den finanziellen und zeitlichen Aufwand für das internationale Geschäft. Ein Fünftel (19 Prozent) der Unternehmer sieht sich darüber hinaus durch Local-Content-Bestimmungen diskriminiert, also durch Vorgaben, die die Produktion im eigenen Land vorschreiben und ausländische Anbieter benachteiligen, wie es etwa der Inflation Reduction Act der USA vorsieht.
„Deutsche Unternehmen sehen sich einem zunehmenden Protektionismus, neuen und harten Sanktionsregimes konfrontiert.“
Jede zweite Firma spürt Auswirkungen der Russland-Sanktionen
Auch die Sanktionen gegen Russland und Belarus seitens der EU und anderer Staaten sowie die Gegensanktionen im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine sorgen bei den betroffenen Betrieben für Herausforderungen. So gibt mehr als jedes zweite Unternehmen (57 Prozent) an, im vergangenen Jahr insbesondere durch Sanktionen eine zusätzliche Hürde bei seinen internationalen Geschäften wahrgenommen zu haben – vornehmlich im Russlandgeschäft. 2022 hatte dieser Wert noch bei 24 Prozent gelegen.
„Unsere Umfrage bestätigt die neue Realität, mit der wir es seit dem Angriffskrieg zu tun haben“, kommentiert Volker Treier die Entwicklung. „Deutsche Unternehmen sehen sich einem zunehmenden Protektionismus, neuen und harten Sanktionsregimes mit hohen Befolgungskosten sowie einer sich immer mehr fragmentierenden Wirtschaftswelt ausgesetzt. Das bedeutet konkret, dass für sie der Zugang zu ausländischen Märkten eine immer größere Herausforderung darstellt.“
Zusatzhürde Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Neben den Handelshürden in den Zielmärkten erschweren auch bürokratische Vorgaben hierzulande zunehmend das internationale Geschäft deutscher Unternehmen. Etwa wirke das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wie ein großes zusätzliches Handelshemmnis, so Treier: „Besonders widersinnig wird es, wenn sich selbst Unternehmen, die vom Gesetz gar nicht betroffen sein sollten, gezwungen sehen, sich proaktiv aus bestimmten Märkten zurückziehen. Das hat fatale Folgen gerade jetzt, wo es wegen der stärkeren Entkopplung der Weltwirtschaft politisch und wirtschaftlich auf Diversifizierung der Märkte, also eine breitere Streuung der Risiken durch die Unternehmen ankommt.“
In der Umfrage geben sieben Prozent der Betriebe mit bis zu 3.000 Beschäftigten an, sich aufgrund des LkSG aus Märkten zurückziehen zu müssen, um menschenrechts- und umweltbezogene Risiken zu minimieren, und sogar jedes dritte Unternehmen fürchtet einen Verlust von Zulieferern, obwohl es nach aktuellem Stand nicht unter das Gesetz fällt.
Geschäftsperspektiven in den USA am besten
Die anhaltenden Barrieren wirken sich negativ auf die globalen Geschäfte der deutschen Unternehmen aus. Knapp jedes vierte Unternehmen (24 Prozent) rechnet mit einer Verschlechterung des Auslandsgeschäfts im laufenden Jahr, nur 15 Prozent erwarten eine Verbesserung. Bei einem Blick auf Länder und Regionen schneiden die USA noch am besten ab, 34 Prozent der Befragten erwarten hier für 2023 bessere Geschäfte. Demgegenüber melden in Russland nur drei Prozent der Unternehmen, in Großbritannien acht Prozent und im Asien-Pazifik-Raum (ohne China) 17 Prozent (in China 21 Prozent) der Betriebe optimistische Geschäftsperspektiven.
„Die DIHK rechnet daher mit einem realen Exportwachstum von 2,5 Prozent im Jahr 2023.“
Schon in der DIHK-Konjunkturumfrage zu Jahresbeginn 2023 hatten sich die Exporterwartungen der Unternehmen weiterhin gedämpft gezeigt. „Die DIHK rechnet daher mit einem realen Exportwachstum von 2,5 Prozent im Jahr 2023. Das ist ein Prozentpunkt niedriger als der Durchschnitt der 2010er-Jahre“, ordnet Volker Treier die Umfrageergebnisse ein.
EU-Länder als Absatzmarkt stärker im Fokus
Um dem Negativtrend entgegenzuwirken und sich den veränderten geopolitischen Gegebenheiten anzupassen, plant jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) die Erschließung neuer Märkte. Hier liegt der Fokus vor allem auf dem EU-Binnenmarkt (Euro-Zone 74 Prozent, Sonstige EU mit Schweiz und Norwegen 47 Prozent). Um seine Abhängigkeiten etwa von China zu reduzieren beziehungsweise die Lieferketten zu diversifizieren, setzt knapp jedes dritte Unternehmen (29 Prozent) auf die Region Asien und Pazifik. Aber auch die Märkte von Nordamerika (43 Prozent) und dort besonders den USA (35 Prozent) gewinnen zunehmend an Attraktivität.
So wirken sich die Krisen auf die internationale Wirtschaft aus
Neben der humanitären Katastrophe hat der Krieg in der Ukraine auch für eine Verschärfung der Inflationskrise gesorgt, von der Menschen in aller Welt betroffen sind. Wie die Statista-Grafik auf Basis des aktuellen OECD Economic Outlook zeigt, werden alle großen Volkswirtschaften der Welt dieses Jahr von stark steigenden Verbraucherpreisen betroffen sein. Für Deutschland rechnen die OECD-Experten für das Jahr 2022 mit einer Inflationsrate von 7,22 Prozent – gegenüber der vorangegangenen Prognose vom Dezember 2021 ist das ein Plus von 4,4 Prozentpunkten. Ähnlich stark angestiegen ist die Prognose für das Vereinigte Königreich und für Brasilien. Weniger betroffen sind hingegen asiatische Länder wie China, Indonesien oder Japan.
Die steigende Inflation, die größtenteils durch einen starken Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise verursacht wird, bringt laut OECD Menschen mit niedrigem Einkommen in Not und erhöht die Ernährungssicherheit in den ärmsten Volkswirtschaften der Welt.
Die Experten rechnen bis 2023 mit einem allmählichen Rückgang des Drucks auf Lieferketten und Rohstoffpreise, zudem sollten sich bis dahin die Auswirkungen steigender Zinssätze bemerkbar machen. Gleichwohl werde die Kerninflation den Projektionen zufolge in vielen großen Volkswirtschaften zum Jahresende erhalten bleiben.