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Work-Life-Balance in China: Idealvorstellungen und gesellschaftliche Realität

Work-Life-Balance bezieht sich auf das Spannungsfeld der Zeit für den Broterwerb (Work) und der Zeit, in der die eigenen Interessen im Vordergrund stehen (Life). Ziel ist es, ein Gleichgewicht (Balance) zwischen den beiden Polen herzustellen. Eine Grundannahme hierbei ist, dass die beiden Begriffe Work und Life grundsätzlich zwei verschiedene Lebensbereiche beschreiben, die strikt voneinander getrennt werden sollten bzw. können. In Deutschland gilt eine gute Work-Life-Balance als erstrebenswert, wie halten es demgegenüber Menschen in China damit?

In diesem Beitrag gehe ich auf verschiedene Aspekte ein, die meiner Ansicht nach ausschlaggebend für die unterschiedliche Behandlung der Work-Life-Balance in Deutschland und China sind. Zum einen sehe ich historische Ursachen, die eine Trennung von Berufs- und Privatleben nicht so stark gefördert haben. Darüber hinaus spielt es aber auch eine Rolle, dass in China die Work-Life-Balance nicht so einen hohen Stellenwert hat wie in Deutschland und dass die unterschiedliche Situation auf dem Arbeitsmarkt für andere Prioritäten bei Arbeitnehmern sorgt.

Vermischung von Privatleben und Arbeitszeit in China

Zuvorderst ist anzumerken, dass Arbeit und Privatleben in China nicht so scharf getrennt werden, wie der Begriff Work-Life-Balance es sich eigentlich wünscht. Dies lässt leicht an einigen Beispielen verdeutlichen:

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  • Bis vor wenigen Jahren war es in China nötig, dass Heiratswillige ein Einwilligungsschreiben ihrer Danwei 单位 (Firma, Arbeitgeber) vorzeigen, um heiraten zu dürfen. Diese Regelung wurde in Pekking beispielsweise im Oktober 2003 abgeschafft.
  • Fragen nach Familienstand oder der Beziehung zu den Eltern sind häufig selbstverständlicher Bestandteil von Vorstellungsgesprächen.
  • Bei Hochzeiten ist es für das Brautpaar normal, die halbe Firma inklusive Vorgesetzter einzuladen, wobei diese auch erscheinen sollten.
  • Anrufe von Lehrern bei Studenten bei Krankheit oder Abwesenheit sind die Regel, um sich über den Gesundheitszustand des Erkrankten zu erkundigen.
  • Nach-Feierabend-Aktivitäten, wie der Besuch von Karaoke-Clubs, das gemeinsame Essen oder Sport sind normal und eine Ablehnung wird als negativ aufgefasst.
  • Wohnungsräume werden teilweise immer noch von der Danwei zentral vergeben. Dies ist vor allem bei größeren Unternehmen und Staatsunternehmen der Fall. Man hat also keinerlei privaten Rückzugsraum, sondern ist immer von Kollegen umgeben.
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Diese Liste kann beliebig verlängert werden. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass das Privat- und das Arbeitsleben in China wesentlich stärker miteinander verwoben sind als in Deutschland.

Arbeitslosigkeit und Konkurrenzsituation in China

Neben der unterschiedlichen Beziehung von Firma und Privatleben spielt meiner Ansicht nach auch die derzeitige Arbeitsmarktsituation in China eine wichtige Rolle. Auf dem chinesischen Arbeitsmarkt herrscht ein extrem starker Konkurrenzdruck, der durch traditionelle Rollenbilder und Erwartungen der Gesellschaft (speziell der Familie) verschärft wird. Bedingt durch die große Menge an Absolventen und der begrenzten Beschäftigungsmöglichkeiten für höher Qualifizierte herrscht auf dem Arbeitsmarkt eine brutale Konkurrenzsituation, die eine gute Performance auf der Arbeit zu einer zwingenden Voraussetzung für das wirtschaftliche Überleben einer Person macht. Durch den hohen Konkurrenzdruck gibt es somit auch eine höhere Bereitschaft der Arbeitnehmer, länger präsent zu sein und mehr zu arbeiten.

Ein Spielchen vor, nach oder zwischen der Arbeit? Die Grenzen können in China schwimmend sein…

Die Rolle der Familie und traditionelle Rollenbilder

ying_yangWas genau ist mit dem eben genannten Punkt von unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen gemeint? Ein kleines Beispiel kann zeigen, wie es bei den meisten chinesischen Familien abläuft: Geht es auf eine Hochzeit zu, so wird vom künftigen Ehemann eigentlich immer erwartet, dass er ein Haus und ein Auto kauft. Speziell in Städten wie Peking, Shanghai, Guangzhou ist dies für einen normalen Arbeitnehmer jedoch eine finanzielle Herausforderung, die nur mit Hilfe eines Bankkredits gelöst werden kann. Nach Aufnahme des Kredits und der Hochzeit wird nun erwartet, dass bald auch ein Kind folgt. Die Kosten eines Kindes in Peking können dabei (von Geburt bis zur Universität) bei bis zu 400.000 Euro liegen. Zum Vergleich: die Kosten in Deutschland liegen bei ca. 126.000 Euro. Man(n) muss also die nächsten 30 Jahre einen Kredit abstottern und das Kind versorgen. Arbeitslosigkeit kommt hier einer Katastrophe gleich. Der daraus entstehende Druck steigert die Bereitschaft, sich für seinen Job über das normale Maß hinaus aufzuopfern.

Work-Life-Balance aus gesellschaftlicher Perspektive

Die starke Verbindung von Privatem und Arbeitsleben sowie der Druck auf den Arbeitnehmer, möglichst viel zu arbeiten, verleihen dem Begriff der Work-Life-Balance in China eine negative Konnotation. Zwar gibt es einen bestehenden Diskurs hinsichtlich des Themas, die spezielle Perspektive verleitet jedoch Arbeitnehmer und -geber leicht dazu, bestehende Diskussionen als Anzeichen von Faulheit und Gefahr von verringerter Produktivität zu klassifizieren. Auch herrscht ein anderes Selbstverständnis darüber, welche Freiheiten sich ein Unternehmen herausnehmen kann, um über die Zeit seiner Mitarbeiter zu verfügen. Selbst nach Feierabend (und auch am Wochenende) kann es leicht passieren, dass man von Vorgesetzten oder Kollegen kontaktiert wird um Arbeitsinhalte abzusprechen oder es werden Meetings auf eben genannte Zeiten gelegt.Dies wird von Mitarbeitern natürlich nicht gern gesehen, oft aber akzeptiert und ohne Kompensation hingenommen.

Fazit: Work-Life-Vermischung als ungeliebte Tatsache

Je nachdem, in welcher Rolle Sie in Kontakt mit chinesischer Geschäftskultur kommen, gilt es zu bedenken, dass Ihre Kollegen, Untergebenen oder Geschäftspartner ein sehr anderes Verständnis von der Rolle der Arbeit im Leben haben. Sollten Sie in Erwägung ziehen, bei einem chinesischen Unternehmen anzuheuern, so machen Sie Ihre Vorstellungen von einer ausgewogenen Work-Life-Balance am besten direkt von Beginn an sehr deutlich. Als Ausländer hat man den Vorteil, dass man dies leicht mit seiner eigenen Kultur begründen kann und dass dieses Argument von Chinesen auch leichter akzeptiert wird. Seien Sie aber darauf gefasst, dass dieser Spielraum immer kleiner wird, je weiter nach oben Sie auf der Karriereleiter klettern. Sollten Sie ein eigenes Unternehmen in China gründen wollen oder haben Sie ein chinesischen Team zu leiten, so lassen Sie sich nicht dazu verleiten zu glauben, dass die Mitarbeiter gerne länger arbeiten. Sprechen Sie das Thema direkt an. Dadurch erhalten Sie ausgeglichene Mitarbeiter, die zu Spitzenzeiten auch problemlos noch bis tief in die Nacht anwesend sein können, um ein Projekt fertigzustellen. Entsprechende Einsatzbereitschaft sollte jedoch immer mit einer Einladung zum Essen, finanziellen Anreizen oder anderen Maßnahmen honoriert werden.

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Der Autor:

Christoph Yew schreibt als Redakteur für inter:culture:capital

Fragen zum Thema beantworten Ihnen gerne die Experten der China-Kommunikation (Tel.: +49 30 22 68 55 52)

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