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Cup of turkish tea served in traditional style

Erfahrungen mit der türkischen Willkommenskultur

Jedem, der irgendwann mal meine neue Wahlheimat, die Türkiye Cumhuriyeti (Republik Türkei) besucht hat, klingeln gerade die Ohren. Vielleicht hat er einst auch Ohrensausen davon bekommen. Oder sich gefragt, was das soll, dieses ständige „Hoşgeldiniz“. Vom chicen Restaurant über das gammelige Büdchen bis hin zu Bus & Bahn. Sogar bei Behörden, dem Arzt oder im Museum drängt sich einem diese Redewendung ständig und überall förmlich auf.

„Hoşgeldiniz“ – was wörtlich übersetzt so viel heißt wie „Sind sie angenehm (an)gekommen?“ – ist auf gut Deutsch ein einfaches „Herzlich Willkommen“ und scheint einer der häufigsten Ausdrücke der türkischen Sprache und Kultur zu sein. Meine ersten Hoşgeldiniz waren für mich beinah traumatisierende Erlebnisse, denn als Fremder willkommen geheißen zu werden, ist bisher nicht wirklich Bestandteil meines heimatlichen Alltages gewesen. Ich persönlich kenne kaum Situationen, in denen der Durchschnittsdeutsche – außer in seinem engsten Familien- und Freundeskreis – willkommen geheißen wird. In meiner Erinnerung ist da höchstens noch das Traumschiff… Wenn es vor einer paradiesischen palmenumsäumten Trauminsel vor Anker ging und verheißungsvoll lächelnde Südseeschönheiten ihren Gästen ein paar Blüten um den Hals hingen. Aber das ist ja Fernsehen. Doch wann wurde ich eigentlich in der Realität meiner eigenen Kultur das letzte Mal willkommen geheißen?

Salesbarbie schlägt Youngsterverkäuferin

Mein gedanklicher Exkurs führt uns in ein deutsches Shopping-Eldorado. Nennen wir es der Objektivität halber mal Düsseldorf.

Variante 1:

Ihr geht in einen ausgesprochen hippen Laden mit einem Haufen hochmotivierter Youngster-Verkäuferinnen, die vermeintlich nur auf eine kaufwillige Kundin wie euch warten um den letzten Schrei zu verbimmeln. Eigentlich ein dankbares Spiel. Komischerweise scheint aber das Gespräch der Girls über “Ey weißt Du, dieser Typ mit der fetten Karre… Alter… sieht der geil aus!!” irgendwie interessanter zu sein. Um deren Aufmerksamkeit zu ergattern, müsste man schon versuchen den Laden zu verlassen. Und zwar bekleidet mit allen Klamottenteilen, die es im Laden gibt und ohne zu zahlen. Dann vielleicht, würde man eines Blickes gewürdigt. Eines verachtenden Blickes vermutlich, aber immerhin…

Variante 2:

Ihr geht in einen weiteren Laden. Noch bevor euer zweiter Fuß den glattgeleckten Boden berührt, geiern drei vorbildlich gekleidete und barbiemäßig geschminkte Top-Beraterinnen nach eurem erlesenen Geschmack. Und dem entsprechenden Budget, das versteht sich von selbst. Ihr probiert dann alles an, was die Saison so hergibt und seht merkwürdigerweise (sofern man der professionellen Meinung der Salesbarbie glauben darf) in allem »Woooow!!! Tooooooll!!! Perfeeeeeekt!!!« aus. Hm…

Ich interpretier’ das so: Entweder Du wirst hierzulande hartnäckig ignoriert, was für die Kundenbeziehung irgendwie kontraproduktiv ist: Schon mal im Hawaiihemd und Adiletten durchs Porsche-Autohaus spaziert? Oder du wirst maßlos überbewertet, weil Du dafür zahlst: Gleiches Szenario, nur mit Montblanc in der Tasche und Rolex am Arm… Wow, können die tief kriechen! Auch das fühlt sich wenn man ehrlich ist nicht wirklich besser an. Blicken wir der grausamen Wahrheit ins Auge: im konsumverwöhnten Deutschland bist Du, wenn du einen Laden betrittst, nicht viel mehr als ein Deal – auf den der Handel gerade Bock hat. Oder eben auch nicht.

Aufmerksamkeit. Wertschätzung. Gastfreundschaft.

In Istanbul guckte bisher noch keiner nach der Rolex. Die meisten Verkäufer(innen) überlegen sicherlich auch nicht, ob sie Bock haben, mich zu bedienen oder nicht. Und in einigen Läden habe ich schon zur Stammkundschaft gehört, als ich das erste Mal nur einen winzigen Blick durch die Scheibe geworfen hatte. Zumindest gefühlt. Und ich bekam Çay. Einfach so. Keinen Käfer-Prosecco weil ich mir gerade einen schweineteuren Haarschnitt verpassen lasse und das Getränk eingepreist ist. Nein, nur einfachen Tee. Weil ich vorbei schaue. Und weil es dort das normalste der Welt ist, Menschen, die einen besuchen, willkommen zu heißen und ihnen ein natürliches Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. Keine hippen Youngster-Verkäuferinnen. Auch keine getrimmten Salesbarbies. Sondern menschliche Aufmerksamkeit. Wertschätzung. Gastfreundschaft. Und nein, ich wurde bisher noch nicht gezwungen, anschließend den halben Laden zu kaufen oder den Besitzer zu heiraten.

Anfangs fühlte ich mich allerdings ob der ungewohnten Herzlichkeit tatsächlich irgendwie bedroht. Ich sprach kein Wort Türkisch und so was wie »Vielen Dank, ich freue mich auch, Sie zu sehen und bin gerne hier.« hätte meinen linguistischen Horizont um Lichtjahre überschritten. Nach einigen Wochen Türkei und dank meiner wunderbaren Türkisch-Elfe Ayşe bin ich jetzt zumindest in der Lage, eine höfliche Minikonversation zu führen. Die endet allerdings meist abrupt nach spätestens 20 Sekunden sobald ein Wort fällt, das ich leider noch nicht gelernt habe. Oder eine Silbe. Und Silben sind wichtig im Türkischen. Eigentlich das wichtigste! Naja… auch das ist das Los eines Expats. Çay bekomm’ ich ja trotzdem… oder gerade deshalb?!

Die Person ist wichtiger als die Sache

Aus kulturwissenschaftlicher Sicht erklärt sich Hoşgeldiniz ganz einfach: Der überwiegende Teil der Kulturen dieser Erde sind personenbezogene oder auch beziehungsorientierte Kulturen. Und wenn ich überwiegend schreibe, dann meine ich das auch so. Für südamerikanische, asiatische, arabische und einen Teil der europäischen Kulturen ist die Person beziehungsweise die soziale Beziehung zu einer Person wichtiger als die Sache um die es in einer bestimmten Situation geht. Betrachtet man die überwältigende Zahl der oben genannten Kulturen, bleibt rechnerisch gesehen nicht viel übrig. Für das andere Ende der Skala… für uns! Deutschland ist neben den USA und Großbritannien der ungeschlagene Spitzenreiter der sachbezogenen beziehungsweise sachorientierten Kulturen.

Und genau aus diesem Grund wird mir die Youngster-Barbie im P&C wohl auch in Zukunft weder ein Hoşgeldiniz entgegenschmettern noch einen Çay anbieten.

 

Die Autorin:

Constance Grunewald-Petschke betreibt den Blog www.what-about-my-pencilskirt.com, auf dem sie regelmäßig über ihr neues Leben als Expat-Frau in Istanbul berichtet. Sie ist außerdem Inhaberin der Agentur „Abroad [relocation.interculture.language]“, die Expats und ihre Familien berät.

E-Mail: c.grunewald@xpat-abroad.com

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Foto: © photohaydar – Fotolia.com