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Expat-Bericht: Auf nach Istanbul

Donnerstag, 26. April 2013. Düsseldorf Airport, Startbahn 3. Trotz meiner eher unterdurchschnittlichen Körpergröße von 1,57 m kauere ich unbeweglich in einer viel zu engen Maschine der Turkish Airlines von Düsseldorf nach Istanbul. Ungeachtet der mangelhaften Bestuhlung ist die beste Airline Europas ja “Globally Mine”, was sogar Lionel Messi und andere sportliche Meinungsbildner bestätigen. Wirklich begrüßenswert, dieser Gedanke, gleichzeitig global aber auch persönlich zu agieren. Doch auch wenn wir global gesehen mit nur 20 Minuten Verspätung immer noch gut in der Zeit liegen, steigt in mir persönlich so langsam ein negatives Gefühl auf. Ich hab schließlich noch was vor!

Ich glaube den anderen Passagieren geht es ähnlich, insbesondere denen mit den vollgepackten Aktentaschen und gnadenlos klingelnden Blackberries. Zum Zeitvertreib spekuliere ich über das, was diese Menschen wohl zu ihrer Reise bewegen mag und wohin sie nach unserer Ankunft gehen werden. Das tue ich mit ausgesprochener Begeisterung auf jeder meiner Reisen – sofern die Zeit es zulässt (bevor die nett gemeinten Sicherheitshinweise der bezaubernden Crew mich umgehend zur Nutzung meiner heiß geliebten Ohropax veranlassen und meine Gedanken sich ohnehin verlieren…). Flüge haben die wunderbare Besonderheit, dass Menschen unterschiedlichster Herkunft mit ihren ganz persönlichen Gedanken und Gefühlen, mit guten und miesen Erfahrungen und hoffentlich kunterbunten Träumen für einen kurzen Moment das gleiche Ziel verfolgen: irgendwann an ein und demselben Ort anzukommen.

Es wird ernst mit Istanbul

Doch heute ist es nicht wie bei all den vorherigen Flügen. Meine sonst so amüsanten wie abenteuerlichen Mutmaßungen über fremde Beweggründe des Reisens fühlen sich plötzlich an wie eine viel zu groß geratene Portion Selbstironie. Laut. Deplatziert. Anmaßend. Es wird ernst! Jetzt. Heute. Hier. Diese Maschine bringt mich nicht nur in eine faszinierende, aufregende und pulsierende Metropole. Und schon gar nicht um Urlaub zu machen. Sie ist für mich zugleich der Beginn eines neuen Lebens.

Es gibt Menschen, die träumen pausenlos von einem neuen Leben. Ich persönlich liebe mein Leben eigentlich so wie es ist! Ich bin 35, gut ausgebildet, selbstverständlich emanzipiert, habe einen super Job (in dem ich unabhängig bin und der mir obendrein sogar Spaß macht) und außerdem noch einen annähernd perfekten Ehemann, mit dem ich leidenschaftlich gerne reise. Ich will gar kein neues Leben! Wenn überhaupt, dann höchstens ein zusätzliches. Eins, was ganz anders ist: vollgepackt, exotisch und bereichernd – eine Erweiterung meines aktuellen Lebens sozusagen. Denn alles was dann käme, wäre quasi on top und entspräche wesentlich besser meiner Sicht des Lebens. Man behielte alles wie gehabt, müsste nicht den Freundeskreis aufgeben, käme regelmäßig zu Besuch – ist ja heute kein Thema. Man könnte dank Apple & Co. auch aus der Ferne arbeiten – müsste man im Zweifel aber nicht. Oder mit der Family skypen, falls mal Nachwuchs käme – das weiß man aber leider nicht. Und wenn man dann zur Abwechslung mal wieder in das alte Leben gejettet käme, wäre alles wie immer. Wunderbar! Und ganz einfach.

Mal wieder etwas Neues ausprobieren

Und weil eine solche Erfahrung auch aus Karriereperspektive für mich äußerst förderlich sein dürfte, kam mir die Chance, meinen Mann während seiner Entsendung in die Türkei zu begleiten, mehr als gelegen. Ich brannte von Anfang an dafür: mal wieder etwas ganz Neues ausprobieren, interessante Menschen treffen, eine neue Sprache, eine faszinierende Kultur. Und das in einer der derzeit dynamischsten Städte der Welt. Sofort!

Und jetzt, einige Wochen später, sitze ich hier kauernd und unbeweglich in dieser viel zu eng bestuhlten Maschine. Nicht, weil ein 1,57 m großer Mensch nicht ausreichend Platz finden würde oder weil Messi in der Werbung gelogen hätte. Sondern weil sich gerade panische Angst vor diesem faszinierenden on top in mir ausbreitet. Ich habe keine Angst vor einer fremden Sprache und Kultur, im Gegenteil – darin bin ich schließlich Spezialistin. Diese Angst ist profunder und existenzieller: Ich habe Angst vor meiner Rolle. Als Frau eines Expats. Angst vor Abhängigkeit: emotionaler und finanzieller Abhängigkeit. Angst, meine Eigenständigkeit zu verlieren. Angst, meine Persönlichkeit ein Stück weit aufgeben zu müssen. Und auch davor, dann weniger attraktiv zu sein – für meinen annähernd perfekten Ehemann.

Die Autorin:

Constance Grunewald-Petschke betreibt den Blog www.what-about-my-pencilskirt.com, auf dem sie regelmäßig über ihr neues Leben als Expat-Frau in Istanbul berichtet. Sie ist außerdem Inhaberin der Agentur „Abroad [relocation.interculture.language]“, die Expats und ihre Familien berät.

E-Mail: c.grunewald@xpat-abroad.com

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Foto: © Marina Zlochin – Fotolia.com