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Erfahrungsbericht: Homefinding Horror

26. Juni 2013. 18:30 Uhr. Die Terrassentür meines kleinen Düsseldorfer Büros ist weit geöffnet. Das wohlige Licht des endenden Sommertages flüstert mir zu, dass es langsam Zeit sei, den Schreibtisch zu räumen und möglichst zügig ein kühles, alkoholisches Feierabendgetränk zu mir zu nehmen.

Beim letzten Blick in meine Inbox entdecke ich eine lang ersehnte Mail unserer Relocation Consultant: Der Dame, die unseren Umzug ins Ausland begleiten wird und dafür sorgen soll, dass sich dieser für alle Beteiligten so angenehm wie möglich gestaltet.

Zunächst eine wirklich gute Sache! Wie erhofft, enthält die E-Mail eine Liste potenzieller Mietwohnungen in Istanbul. Schon vor Wochen hatten wir mit unserer Consultant gesprochen und uns viel Zeit genommen, um ihr ein möglichst deutliches Bild von unseren Erwartungen an eine zukünftige Bleibe zu geben. Um Missverständnisse zu vermeiden, hatte ich mir sogar die Mühe gemacht, ihr im Vorab einige Objekte zuzusenden, die ich im Internet entdeckt hatte. In der Hoffnung, dass ihr dies die Arbeit ein wenig erleichtert… Nun ist sie endlich da, meine wunderbare Liste voll mit den hellen, freundlichen und modern möblierten Terrassenwohnungen, die wir uns gewünscht hatten. Idealerweise sogar mit Blick auf den Bosporus!

Ein Bild des Grauens

Aufgeregt öffne ich den Anhang. Die erste Wohnung präsentiert sich meinen ungeduldigen Augen. Ein winziger Augenblick später: nennen wir’s mal ein Gefühl der Überraschung meinerseits! Obwohl Holzfurnier als Stilelement zweifellos einen gewissen Retro-Charme versprühen kann und auch dunkle Möbel heutzutage durchaus in edel und chic zu finden sind, fühle ich mich ganz plötzlich inmitten der 80er Jahre. In der Zeit als es noch Poesiealben gab, als Nicole im Fernsehen von ein bisschen Frieden sang und Schlumpfine ein sexy Luder war. Lustig! Nun ja, kann ja mal passieren, vielleicht nur ein Ausrutscher. Schnell weiter zum nächsten Objekt. Aber auch hier eröffnet sich mir erneut ein Bild des Grauens – so wie bei fast allen restlichen Objekten der Liste. Quasi ein Horrorkabinett aus Eiche-Rustikal: Dunkel. Altmodisch. Bedrückend. Und dabei noch nicht mal geschmackvoll. Nun ist Geschmack bekanntermaßen subjektiv und darüber zu streiten liegt mir fern.

Mc Chicken vs. Fish Mac

Was bewegt wohl einen professionellen Dienstleister dazu, das exakte Gegenteil genau der Leistung zu erbringen, die vom Kunden angefragt war?? Und diese Frage stellt sich mir insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich hier um ein Business handelt, bei dem der Mensch und dessen persönliche Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen sollten. Damit kenn’ ich mich definitiv aus! Ich habe nämlich selbst in den letzten beiden Jahren genau das getan. Versucht, die unterschiedlichsten Bedürfnisse meiner internationalen Kundschaft und deren Familien mit den widrigen Gegebenheiten des örtlichen Immobilienmarktes zusammen zu bringen. Ich befand mich damit also bis dato auf Dienstleister-Seite und weiß, wie dieses Business funktioniert. Und wie es eben auch nicht funktioniert.

Dann ist es nämlich für mich als Kunde so, als würde ich bei Mc Donalds einen Mc Chicken bestellen und dafür einen Fish Mac bekommen. Obwohl ich die Bedienung ausdrücklich um Huhn gebeten hatte, weil ich eine Fischallergie habe. Das fühlt sich an wie vorsätzliche Körperverletzung! Es sei denn, das Chicken ist gerade aus. Aber dann erwarte ich eine Info. Und wenn ich weder meinen Mc Chicken bekomme, noch eine Info warum das so ist, dann hat irgendjemand seinen Job nicht verstanden. Oder keinen Bock drauf. Entsendungstechnisch kann beides katastrophale Auswirkungen haben. Im schlimmsten Fall für alle Beteiligten, bestenfalls leidet nur der Kunde.

Ein Umzug ins Ausland bedeutet Stress

Organisatorischen Stress, klar. Aber vor allem auch emotionalen Stress. Vielleicht mag es dem Einen oder Anderen nur ein müdes Lächeln entlocken und unter Nicht-Expats ist ja nach wie vor die Meinung verbreitet, dass eine Entsendung erstens stinkreich macht und man zweitens im Ausland dann mindestens in einer Villa mit zehn Angestellten lebt. Nein, das ist meistens eher nicht so. Das bisschen Komfort, was einem glücklicherweise von vielen entsendenden Unternehmen als Ausreisende zugestanden wird, ist bestenfalls ein Ausgleich. Dafür, dass man mit Verlassen seiner Heimat – sofern man überhaupt noch eine hat, wovon nicht bei allen Expats auszugehen ist – aus psychologischer Sicht auch die Basis seiner Existenz hinter sich lässt. Freunde, Familie, Job, Hobbies. Das hat man natürlich auch wenn man von München nach Hamburg zieht.

Darüber hinaus – und das ist der eigentliche Punkt – kämpft man nämlich noch mit dem Kulturschock. Nicht der, den viele Mallorca-Urlauber meinen zu erleben, weil der spanische Kellner grad nicht ganz so zackig ist, wie unser Peter. Der hier gemeinte Kulturschock ist ein sozialpsychologisch anerkanntes Phänomen. Ein Prozess, der immer dann eintritt, wenn Menschen längere Zeit im Ausland leben. Eine Entsendung ohne Kulturschock ist quasi unmöglich. Und das bedeutet enormen emotionalen Stress. Es beginnt ganz harmlos mit dem so genannten Honeymoon, der Vorfreude auf die Ausreise und es endet nicht selten in Isolation, Depression, Alkoholismus, familiären Problemen bis hin zum Abbruch des Aufenthaltes.

Daher finde ich ein gewisses Maß an Unterstützung und Komfort während einer Entsendung das Mindeste, was für einen Menschen, der all diese Risiken wohlwollend in Kauf nimmt, getan werden kann. Erst recht, wenn es sich um ganze Familien handelt. Und wenn dann Leute, die eben gerade darauf spezialisiert sein sollten, den emotionalen Stress zu reduzieren, mir einen Fish Mac um die Ecke bringen, hört mein Verständnis definitiv auf.

Die Autorin:

Constance Grunewald-Petschke betreibt den Blog www.what-about-my-pencilskirt.com, auf dem sie regelmäßig über ihr neues Leben als Expat-Frau in Istanbul berichtet. Sie ist außerdem Inhaberin der Agentur „Abroad [relocation.interculture.language]“, die Expats und ihre Familien berät.

E-Mail: c.grunewald@xpat-abroad.com

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Foto: © avniunsal – Fotolia.com