Wie Gesundheitsrisiken bei Auslandsentsendungen und Geschäftsreisen minimiert werden können
Die Anzahl kurzfristiger wie auch langfristiger Entsendungen steigt in den nächsten Jahren weiterhin, dies belegen umfangreiche Studien von Mercer und ECA International. Dabei wächst auch die Zahl von Geschäftsreisen und Entsendungen in Länder mit hohen bis extrem hohen medizinischen und sicherheitsrelevanten Risiken.
Laut einer Untersuchung von International SOS gingen 2012 etwa 23 Prozent der Geschäftsreisen und 16 Prozent der Entsendungen in Länder mit mindestens mittlerem Risiko. Die Einstufung der Gesundheitsrisiken erfolgt dabei auf Grundlage verschiedener Kriterien, wie Infektionsrisiko, medizinische Infrastruktur und die vorherrschenden hygienischen Verhältnisse. Die Betrachtung der medizinischen Risikoeinstufung eines Landes allein, wie sie zum Beispiel der jährlich erscheinenden Health Map von International SOS entnommen werden kann, ist indessen für ein ausführliches Risk Assessment nicht ausreichend. Vielmehr ist es dringend notwendig, eine Risikobewertung der individuellen Zielregion der Entsendung oder der Geschäftsreise vorzunehmen. Denn das medizinische Risiko innerhalb eines Landes kann stark variieren, was am Beispiel Brasiliens – als eines der häufigsten Entsendungsländer – gut zu verdeutlichen ist. Während die Gesundheitsrisiken in Großstädten wie Sao Paulo oder Rio de Janeiro eher gering bewertet wird, steigt es um ein Vielfaches, je mehr die Zielregion der Entsendung in ländlichen Gebieten beispielsweise im Norden Brasiliens liegt.
Prävention wesentliches Instrument zur Minderung von Gesundheitsrisiken
Ein Großteil der Risiken – wobei Krankheiten und Unfälle zu den größten Risiken bei Entsendungen zählen – können durch gezielte Prävention mitigiert, also verringert, werden. Entsprechen die Arbeits- und Lebensverhältnisse am Entsendungsort vielleicht nicht oder nur in geringem Umfang den Mindestanforderungen (fehlende medizinische Infrastruktur bei hohem Infektionsrisiko), können dennoch Projekte mit Hilfe eines systematischen Risikomanagements, bei kalkulierbarem Risiko erfolgreich realisiert werden. Voraussetzung hierfür ist die Identifizierung von Gesundheitsrisiken auf Grund einer hinreichenden Analyse des Entsendeortes, insbesondere wenn es sich um neue Ziele handelt, und die möglicherweise daraus resultierenden Anforderungen an den Expat und seine mitreisenden Angehörigen steigen.
Fürsorgepflicht von Unternehmen auch in punkto Gesundheit
Der deutsche Gesetzgeber verpflichtet Unternehmen gemäß Arbeitsschutzgesetz zur gesundheitlichen Fürsorge seinen Mitarbeitern gegenüber. Dazu gehört eine kontinuierliche Umsetzung der arbeitsmedizinischen Vorsorge auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung (Risikoidentifikation). Die Fürsorgepflicht endet dabei nicht an den Grenzen Deutschlands, sondern gilt auch für Entsendungen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge beinhaltet unter anderem die Beurteilung der Arbeitsbedingungen, Belastungen und Gefährdungen, die Aufklärung und Beratung von Arbeitnehmern sowie die Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen.
Je nach Tätigkeit unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorgen. Gemäß der Verordnung der arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) muss der Arbeitgeber bei Entsendungen in tropische und subtropische Regionen sowie bei Aufenthalten in Gebieten mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen eine Pflichtvorsorge veranlassen. So hat vor einer Entsendung zumindest eine Beratung des Expats und seiner mitreisenden Familienangehörige stattzufinden. Bei längeren Arbeitsaufenthalten (länger als drei Monate) oder besonderen Bedingungen am Einsatzort ist neben der Beratung eine ärztliche Untersuchung erforderlich und durch den Arbeitgeber zu veranlassen. Diese Untersuchung muss von einem Facharzt für Arbeitsmedizin oder einem Arzt mit der Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin durchgeführt werden. Ein Besuch beim Hausarzt ersetzt die Vorsorge also nicht.
Die klimatischen Bedingungen und das Infektionsrisiko vieler Entsendungsgebiete unterscheiden sich deutlich von unserem gewohnten Umfeld, deshalb ist es empfehlenswert und durch den Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt, Beratung und Untersuchung von einem Tropenmediziner durchführen zu lassen. Auch während und nach einer Entsendung greift die arbeitsmedizinische Vorsorge und muss vom Unternehmer veranlasst werden.
Vorsorgeuntersuchungen belegen keine gesundheitliche Eignung
Häufig werden Vorsorgeuntersuchungen mit Eignungsuntersuchungen verwechselt. Ziel der Pflichtvorsorge ist es jedoch nicht, die Eignung eines Mitarbeiters festzustellen. Der Arzt hat lediglich die Pflicht, den Mitarbeiter auf Grundlage der ihm vorliegenden Informationen ausführlich zu beraten. Es obliegt dem Mitarbeiter selbst, eigenverantwortlich zu handeln, was im äußersten Falle das Nicht-Antreten einer Entsendung zur Folge haben kann. In der Regel lassen sich aber Risiken, wie die Abhängigkeit von Medikamenten (zum Beispiel Insulin), gut managen und stellen kein Problem dar. Bei besonders schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen einer Entsendung (beispielsweise auf einer Ölplattform) und den daraus resultierenden Risiken für das Unternehmen kann zusätzlich zur Vorsorge eine Eignungsuntersuchung durch den Arbeitgeber veranlasst werden.
Umfassende medizinische Betreuung von Expats
Für die Studie „Chefsache Business Travel 2015“ befragte der Deutsche Reiseverband (DRV) mehr als 200 Geschäftsführer, Vorstände und Führungskräfte, die regelmäßig geschäftlich verreisen. 92 Prozent der Befragten wünschten sich Informationen zu möglichen Gesundheitsrisiken vom Arbeitgeber, die jedoch nur 43 Prozent auch erhielten. Zwar fühlten sich immerhin 85 Prozent vor Reiseantritt gut vorbereitet; dennoch gaben 45 Prozent der Reisenden an, bei Problemen vor Ort auf sich allein gestellt zu sein.
Wie also können konkrete operative Maßnahmen zur umfassenden medizinischen Betreuung Geschäftsreisender und Expats aussehen?
Eine frühzeitige ausführliche Beratung und medizinische Untersuchung der Expats, aber auch der mitreisenden Familie stehen am Beginn einer Entsendung. Hier können mögliche Impflücken geschlossen, ein Medikamentenmanagement erstellt und über hygienische Besonderheiten am Entsendungsort und den daraus resultierenden empfohlenen Verhaltensweisen beraten werden. Liegen Grund- oder chronische Erkrankungen vor, ist es empfehlenswert, entsprechende Dokumente über Erkrankung und Therapie in englischer Sprache sowie in der Landessprache anzufertigen. Die medizinische Betreuung des Expats vor der Entsendung muss durch den vom Unternehmen bestellten Arbeitsmediziner vorgenommen werden.
Für die Zeit während der Entsendung ist die Unterstützung der Unternehmen durch Dienstleister zur Notfallversorgung und Krisenmanagement wichtig. Diese bieten umfangreiche Reisesicherheitspakete mit typischen Elementen, wie weltweite Länder- und Städtedatenbanken mit medizinischen und sicherheitsrelevanten Informationen, oder 24/7-Assistance Hotlines, worunter Geschäftsreisende und Expats jederzeit Informationen und in Notfällen Unterstützung erhalten. Darüber hinaus verfügen Assisteure über Global Alert Systeme: durch ständiges Monitoring medizinischer und sicherheitsrelevanter Ereignisse weltweit erhalten Reisende – ein Travel Tracking vorausgesetzt – individuell auf ihre Reise zugeschnittene Reisewarnungen. Global Alert Systeme ersetzen jedoch nicht die erforderliche unternehmensinterne Bewertung. Zu ergreifende Maßnahmen auf Grund einer eskalierenden medizinischen Lage, wie zuletzt der Ausbruch der Ebola, oder bei einem Arbeitsunfall müssen innerhalb des Unternehmens, in Beratung mit dem leitenden Arbeitsmediziner oder einem anderen vom Unternehmen bestellten Arzt, bestimmt und veranlasst werden.
Manche Assisteure haben eigene Kliniken oder spezielle Kooperationen
In Regionen mit besonders schlechter oder keiner medizinischen Infrastruktur verfügen entsprechende Dienstleister über eigene Kliniken oder Kooperationen zu Kliniken. Dort kann es sinnvoll sein, einen Clinic Access für die Dauer eines Projekts einzukaufen.
Festen Ansprechpartnern innerhalb des entsendenden Unternehmens sowie soziale Netzwerke kommt unter den Expats einer besonderen Bedeutung zu, da sie das psychische Wohlbefinden der Expats, aber vor allem auch der mitreisenden Familie stärken und die Ablehnung gegenüber Entsendungszielen zum Beispiel in Krisenregionen reduzieren.
Nach Beendigung einer Entsendung, deren Dauer ein Jahr überschreitet, oder wenn der Arbeits- oder Tropenmediziner auf Grund besonderer Umstände es für erforderlich hält, ist eine Rückkehruntersuchung in Fortsetzung der arbeitsmedizinischen Untersuchung spätestens acht Wochen nach Rückkehr durch den Arbeitgeber zu veranlassen. Die Rückkehruntersuchungen dienen im Wesentlichen der Früherkennung von Tropenkrankheiten. Symptome von Tropenkrankheiten oder auch Malariaanfälle treten nicht selten Monate nach einer Infektion auf. Rückkehrer sollten daher über typische Spätsymptome aufgeklärt werden und bei Arztbesuchen auf den vorangegangenen Tropenaufenthalt hinweisen.
Risk Awareness auf Seiten des Unternehmens, aber auch des Expat selbst trägt zum Erfolg eines Auslandaufenthaltes maßgeblich bei.
[symple_box color=“gray“ text_align=“left“ width=“100%“ float=“none“]
Die Autorin:
Nadja Lüdicke arbeitet seit mehr als drei Jahren als freiberufliche Beraterin mit den Schwerpunkten Travel Health Management, klassisches Health Management, Arbeitsmedizin und PandemieVorsorge und hat bereits einen DAX-30-Konzern sowie verschiedene Gesellschaften zum Thema Gesundheitsvorsorge beraten.
Sie hat Gesundheitsmanagement mit Schwerpunkt Infektionsepidemiologie (Surveillance- und Monitoringsysteme) studiert.
E-Mail: healthconsulting@nadja-luedicke.de
[/symple_box]
Auslandskrankenversicherung: Viele Expats unterversorgt
Praxisratgeber Auslandsentsendung erschienen
Assistance-Leistungen für Expatriates: Besonderer Schutz für eine besondere Gruppe
Entsendung in die Tropen: Wie Expats vorsorgen
Expats mögen deutsches und französisches Gesundheitswesen
Titelfoto: © mystock – Fotolia.com