Skip to main content
Ad

„Die koreanische Geschäftskultur gleicht einer Kampfkunst“

Der deutsche Ingenieur Holger R. Doerre lebt und arbeitet in Südkorea. Im Interview beschreibt er unter anderem, wie man erfolgreiche Geschäftsbeziehungen aufbauen kann und vor welchen Herausforderungen das Land derzeit steht.

Expat News: Sie leben und arbeiten seit mehr als 15 Jahren in Südkorea. Was hat Sie dorthin verschlagen?

Doerre: Ich bin 1998 mit der Firma Mannesmann Rexroth, heute Bosch Rexroth nach Korea gekommen. Eigentlich war der damalige Grund, einen Auslandseinsatz im Lebenslauf zu haben. Daraus ist eine nun bereits 18 Jahre andauernde Erfahrung geworden, die mich zu einem gefragten Manager geformt hat. Ich habe in leitenden Positionen mehrere mittelständische Firmen wieder auf einen erfolgreichen Wachstumskurs gebracht. Zudem habe ich ehrenamtlich in der Europäischen Kammer hier vor Ort als Kommunikator zwischen koreanischen und europäischen Firmen geholfen, die interkulturelle Kommunikation zu fördern und zu fordern. Für diesen Einsatz in der Verständigung zwischen den Kulturen wurde mir die ‚Honorable Citizenship‘ vom Präsidenten der Republik Korea verliehen.

Expat News: Weshalb war es Ihnen so wichtig, einen Auslandsaufenthalt in Ihrer Vita zu haben?

Doerre: Das war damals ein Trend und ich hatte ein großes Bedürfnis nach Internationalität. Meine Kindheit und Jugend hatte ich in der DDR verbracht, wo Reisen nur sehr eingeschränkt möglich waren. Außerdem erschien es mir ein guter Zeitpunkt zu sein. Mit 35 Jahren hatte ich bereits einiges an Berufserfahrung gesammelt, war auch lebenserfahren und dennoch jung und offen genug, um etwas völlig Neues zu wagen. Zudem bin ich zu dem Zeitpunkt Single gewesen, so dass ich meine Entscheidung unabhängig treffen konnte.

„Ich bin ziemlich unbedarft nach Korea gegangen“

Expat News: Warum ist es Südkorea geworden?

Doerre: Tatsächlich habe ich an das so genannte „Schmuseausland“ gedacht, also an westlich geprägte Länder wie England, Australien oder die USA. Aber der gute Rat eines guten Freundes und Weggefährten hat mir die Zweifel genommen. Er selbst hatte vier Jahre erfolgreich in Peking gelebt und gearbeitet. Er sagte mir: „Holger, es kann nur besser werden.“ Und das leuchtete mir ein. Rückblickend bin ich sehr unbedarft, aber dadurch auch weitgehend vorurteilsfrei an die Sache herangegangen. Meine Kindheit war zwar teilweise entbehrungsreich, aber auch sehr behütet und zwar insofern, dass ich nicht viel Negatives von der Welt mitbekommen hatte. Zudem hatte ich mir – wie viele andere DDR-Bürger auch – einen gewissen Pragmatismus angeeignet, was gerade für diese Aufgaben fern ab der Heimat elementar wichtig war und immer noch ist.

Soeul_Skyline
© max_776 – Fotolia.com

Expat News: Wie gestaltete sich für Sie der Start? Gab es bestimmte Herausforderungen, mit denen Sie zu kämpfen hatten?

Doerre: Eher schwierig, denn es war eine Restrukturierungsaufgabe, die ich als Business Unit Leiter und Direktor für den Bereich Lineartechnik in Korea zu lösen hatte. Man sah mich eher als ‚Eindringling‘. Aber gerade solche Situationen zwingen einen, seinen eigenen Weg zu finden und in der doch fremden Welt seinen Platz zu finden. Dieser Umstand hat mir die wahre Seite von Korea eröffnet und ich habe das Land, die Menschen und die Kultur schätzen und lieben gelernt. Denn um erfolgreich in Asien zu sein, muss man nicht nur körperlich anwesend sein, man muss die Kultur verstehen und leben wollen. Damit meine ich wirklich die Kultur verinnerlichen, denn wie Peter Drucker es so treffend formulierte ‚culture eats strategy for breakfast’. Leider ein häufig zu beobachtender Umstand, den viele westliche Investoren bei ihren Bestrebungen in Asien aktiv zu sein, notorisch ignorieren. Die Manager sowie die Mitarbeiter vor Ort kompensieren müssen dies dann kompensieren, meistens nur unter großen finanziellen und persönlichen Anstrengungen.

 Expat News: Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Doerre: Bei einem Kunden fiel regelmäßig eine neue Anlage zur Herstellung von CD-Rohlingen aus, wo unsere Produkte verbaut waren, vier Meter lange Linearmodule. Also schnappte ich mir meinen Werkzeugkoffer und fuhr zum Kunden wo die Anlage aufgebaut war. Dort angekommen, analysierte ich den Fehler und es war mir möglich, die Anlage vor Ort zu reparieren – mit meinen eigenen Händen und dem eigenen Werkzeug. Als Manager mit einem Direktorentitel hätte ich das nicht machen müssen, aber es verschaffte mir den Respekt, den man sonst als Ausländer nur schwerlich bekommt. Mit dem Präsidenten der Firma pflege ich heute noch freundschaftliche Beziehungen. Das schafft Vertrauen und nachhaltige Kundenbindungen, die in Asien von unschätzbarem Wert sind.

Ich habe neben meinem Abitur eine Lehre zum Werkzeugmacher absolviert und im Anschluss Maschinenbau studiert. Durch meinen Vater, der ebenfalls Ingenieur ist und diese fachlich fundierte Ausbildung habe ich es gelernt, solche Situation erfolgreich zu meistern und mit meinen Händen quasi aus dem Nichts etwas zu schaffen.

„Kulturelle Probleme kann man nicht mit Theoretisieren lösen“

Was ich mit Druckers Leitsatz meine ist, dass Analysieren und Theoretisieren alleine nichts voran bringt. Man muss die Probleme, die kulturellen Gegebenheiten vor Ort und die unterschiedlichen Herangehensweisen im Entsendungsland mit in die Lösungsfindung einbeziehen. Es hätte in meinem Beispiel nichts gebracht, den Verantwortlichen für die Produktionsanlage mit theoretischen Abhandlungen zu belehren. Es war hilfreicher, ihm eine Lösung zu präsentieren. Da zu sein, gerade wenn es schwierig wird, formt Vertrauen und auf Vertrauen basiert alles hier in Asien.

Oft heißt es, dass es eine ausgeprägte Entertainment-Kultur in Asien gibt, die sich sehr von den westlichen Gepflogenheiten unterscheidet. Meine Erfahrung zeigt aber, dass man ohne diese Kultur aktiv leben, mit Leistung und Beharrlichkeit nachhaltige und tragfähige Geschäftsbeziehungen aufbauen kann.

Expat News: Inwieweit unterscheidet sich Südkorea von anderen Ländern Asiens?

Doerre: Südkorea ist ein fremdes Land mit einer eigenen Schrift und Sprache, was die Kommunikation erheblich erschwert. Eine Kommunikation auf Englisch stellt im alltäglichen Leben für Unerfahrene eher eine Herausforderung dar. Im Vergleich zu Singapur, wo Englisch Amtssprache ist und Sie alle Behördengänge alleine und ohne fremde Hilfe erledigen können, brauchen Sie in Korea immer fremde Hilfe.

In international agierenden koreanischen Firmen kann man sich verständigen, aber das sind eher die Ausnahmen. Globales Verständnis fängt im Kleinen und vor Ort an und da erlebt man es im alltäglichen Leben, es fängt beim Einkaufen oder Taxi fahren an und endet bei der zeit- und nervenzehrenden Diskussion mit den eigenen Mitarbeitern.

Sicherlich kann man sagen, man sollte doch die Sprache des Gastlandes lernen. Ja, das ist richtig und ich kann mich auch recht gut verständigen, doch leider hilft es Korea nicht. Um global erfolgreich zu sein, muss man sich auch global aufstellen und verständigen können.

Seit dem Ende des Koreakrieges am 27. Juli 1953 hat  Korea einen rasanten wirtschaftlichen Wachstumskurs absolviert und zählt zu den wirtschaftlich führenden asiatischen Tiger-Staaten. Um diese Position zu halten ist es jetzt nun zwingend notwendig, sich auf Nachhaltigkeit und effiziente Abläufe in der Industrie zu fokussieren, die Bildung zu reformieren und Globalität in seiner Gesamtheit zu praktizieren. Kreativität, Innovationskraft und neue industrielle Konzepte, wie beispielsweise ‚Industrie 4.0‘, sowie enge und nachhaltige globale Partnerschaften könnten zur weiteren, erfolgreichen Entwicklung Koreas beitragen.

Korea ist ein sicheres und gut organisiertes Land mit einer hervorragenden Infrastruktur. Vor allem die Hauptstadt Seoul mit ihren zehn Millionen Einwohnern sowie die  sechs Millionen Metropole Busan suchen ihresgleichen in Europa.

Expat News: Wie würden Sie südkoreanische Geschäftspraktiken beschreiben?

Doerre: Die OECD hat die Effizienz in Korea analysiert und als sehr schlecht beschrieben, was ich auch bestätigen kann. Das hängt sicherlich sehr stark mit der konfuzianischen Kultur, der streng gelebten Hierarchie und der dominanten Erziehung zusammen. Koreanische Firmen sind streng hierarchisch, ja geradezu militärisch organisiert. Dies hat zur Folge, dass bestimmte Positionen nicht über Erfahrung oder herausragendes Können erlangt werden, sondern die Firmenzugehörigkeit ausschlaggebend ist. So wie man es in den täglichen Nachrichten sehen kann, spielen auch Vetternwirtschaft und Korruption eine große Rolle bei den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Problemen im Land.

„Man muss seine Geschäftspartner immer genau im Blick behalten“

attractive South Korea travel map drawn on paper
© totallypic – Fotolia.com

Ich habe im Geschäftsalltag viel beobachtet und mich außerdem mit den ‚36 Strategemen‘ von Harro von Senger befasst, die hier in Asien – nicht nur in Korea – sehr hilfreich bei dem Verstehen der Kultur sind. Das Geschäftsgebaren gleicht in Südkorea einer Art Kampfkunst. Man muss den Gegner immer im Blick behalten, versuchen, seinen Vorteil zu sichern und im richtigen Moment zuschlagen. Das geschäftliche sowie das alltägliche Leben ist sehr politisch. Deshalb habe ich mir angewöhnt „erst einmal auf das Gras zu schlagen, um die Schlangen aufzuscheuchen“ – das 13. Strategem – um es metaphorisch auszudrücken.

Als Expat betrachte ich mich als eine Art Katalysator, Übersetzer und Bindeglied zwischen der westlichen und der asiatischen Welt. Es ist unsere Aufgabe, dem Management im Stammhaus nahezubringen, warum gewisse Strategien in Südkorea nicht funktionieren und eine Lösung zu präsentieren. Man kann westlichen Geschäftskulturen nicht eins zu eins auf die hiesige übertragen.

Expat News: Als Auswanderer haben Sie die nötige Distanz: Was ist aus Ihrer Sicht typisch Deutsch?

Doerre: Man lernt mit dieser Distanz typisch deutsche Tugenden, wie beispielsweise Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Mut, Kompromissbereitschaft, Markenstärke, Pragmatismus, Standhaftigkeit, eine fundierte Ausbildung, Kompetenz, Kreativität und Weitsicht wieder mehr zu schätzen und nicht als Gott gegeben hinzunehmen. Wären diese Tugenden hier besser ausgeprägt, würden sie Korea die notwendige Schubkraft verleihen, um notwendige Reformen auf den Weg zu bringen und den wirtschaftlichen Motor am laufen zu halten. Leider verliert man sich hier in Dingen (politisch und wirtschaftlich), die diese dringend notwendigen Reformen hemmen und die Wirtschaft  nicht nachhaltig befeuern.

Ich fühle mich akzeptiert als ein deutscher Ingenieur, der mit seinem gelernten ingenieurtechnischen Wissen und den in 52 Jahren gemachten Erfahrungen einen Betrag zur kulturellen und wirtschaftlichen Verständigung leisten kann. Deutschland hat in der Vergangenheit sehr viel für Korea getan und das hat uns Korea nicht vergessen. Wir müssen dieses Gut aber in Ehren halten und weiter an der Verbesserung dieser tiefen und innigen Freundschaft zwischen Korea und Deutschland arbeiten, um auch in Zukunft die Früchte auf beiden Seiten ernten zu können.

„Wer sich der koreanischen Kultur öffnet, darf auch ‚deutsch‘ sein“

Expat News: Was raten Sie Deutschen, die beruflich oder privat nach Korea gehen?

Doerre: Man sollte immer daran denken, dass man hier nur zu Gast ist. Ich empfehle, sich im Vorfeld unbedingt mit der koreanischen Kultur zu beschäftigen. Vor allem für Expats die nach Asien entsandt werden, muss es verpflichtend sein, an einem interkulturellen Training und einem Basis-Sprachkurs teilzunehmen. Wer sich der Kultur öffnet und somit einen Beitrag zur positiven interkulturellen Verständigung leistet, der darf auch „deutsch“ sein.

Zudem habe ich stets den Kontakt nach Deutschland, meiner Heimat, behalten und auch über lange Distanzen Freundschaften gepflegt. Da man nie weiß, ob und wann man wieder in die alte Heimat zurückkehrt, empfehle ich es allen, die lange von zu Hause weg sind, dieses zu beherzigen.

Expat News: Können Sie sich vorstellen, wieder nach Deutschland zurückzukehren?

Doerre: Deutschland ist meine Heimat und das wird sie auch immer bleiben. Ich liebe mein Land, obwohl die aktuellen Entwicklungen in Europa – die vielen Terroranschläge, die steigende Bedrohung durch den IS – mich eher bedenklich stimmen und sicherlich auch Anlass dazu geben, über Alternativen nachzudenken.

Diese Entscheidung hängt in der aktuellen Lebensphase noch sehr von dem beruflichen Umfeld ab und davon, wo man meine Erfahrungen braucht, daher ist diese Entscheidung ein Stück weit fremdbestimmt. Nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben kann ich es mir gut vorstellen, wieder in Deutschland zu leben, aber das wird die Zeit und die Situation zeigen. Es gibt noch einige schöne Orte auf dieser Welt, wo es auch lebenswert ist, beispielsweise Neuseeland. Mit entscheiden werden auch meine Frau, die gebürtige Koreanerin ist, und unsere gemeinsame Tochter. In jedem Fall möchte ich meinen Ruhestand möglichst unbehelligt und in Frieden verleben, was leider in vielen Regionen dieser Welt derzeit nicht mehr so ohne weiteres möglich ist.