Russland: Das Fest aller Feste: Weihnachten oder Silvester?
Andere Länder, andere Sitten: Während in Deutschland die Weihnachtstage als die bedeutendsten Feiertage gelten, ist in Russland die Silvester-Party das Highlight des Jahres schlechthin. Die Gründe dafür reichen weit in die Vergangenheit.
Zimtsterne, Lebkuchen, Spekulatius und nicht zu vergessen der fein gewürzte heiße Glühwein – in Deutschland sind diese typischen Weihnachtsleckereien schon ab Mitte Oktober in den meisten Supermärkten erhältlich. Zwei Monate später, pünktlich zum ersten Advent, geht in vielen Familien dann der große Stress los: Geschenke einkaufen, Familienbesuche planen und akribisch das Festtagsmenü durchorganisieren. Schließlich soll Heiligabend für alle zu einem echten Erlebnis werden. Wenn für die Deutschen am 27. Dezember dann der größte Stress vorbei ist, geht er für die meisten Russen erst richtig los.
Ganz nach der Regel „Kak novyj god vstretisch, tak ego i provedösch“ („Wie man in das neue Jahr startet, so wird man es auch verbringen“) werden weder Kraft noch Mühe gescheut, die Silvester-Party zum Highlight des Jahres schlechthin zu machen. Der Glühwein wird durch „Schampanskoje“ („Sekt“) ersetzt und die Weihnachtsgans weicht „Pod schuboj“ („Hering im Pelzmantel“). Neben Salat „Olivje“, Eiern mit Kaviar und Mandarinen dürfen diese in der Silvesternacht auf keinem „russischen“ Tisch fehlen.
Dass in Russland die Silvester-Party auf der Beliebtheitsskala der Feiertage weit über Weihnachten steht, liege nicht zuletzt an dem günstigen Zeitpunkt, meint Dr. Maria Brauckhoff, Dozentin für Russische Kultur am Lotman-Institut der Ruhr-Universität Bochum: „Mit dem Dekret vom 24. Januar 1918 wurde in der Sowjetunion der gregorianische Kalender eingeführt. Weihnachten lag von nun an nicht mehr auf dem 24. Dezember, sondern auf dem 6. Januar und wurde somit erst nach dem Neujahrsfest gefeiert. Vielleicht erklärt schon diese Tatsache allein, warum Silvester in Russland bis heute für viele wichtiger ist als Weihnachten.“
Die sowjetische Kampagne gegen das ebenso bürgerliche wie christliche Fest im Jahr 1922 verschlechterte die Stellung des Weihnachtsfestes in Russland zusätzlich. Der Weihnachtsbaum wurde von da an durch „Komsomolzenbäumchen“ ersetzt, unter denen Parteifunktionäre die Kinder über die kapitalistischen Wurzeln des kommerziellen Weihnachtsfests aufklärten. Erst zum Jahreswechsel 1935/36 trat mit der Einführung der sowjetischen Neujahrstanne eine gewisse politische Entspannung ein.
Ob Deutschland oder Russland: Hauptsache, man feiert Weihnachten und Silvester zusammen
Dennoch verlor Weihnachten in Russland für die meisten nach und nach an Bedeutung. Das Neujahrsfest wurde dagegen immer wichtiger, was nicht zuletzt auch an der Vorliebe des russischen Volks für ausgelassene Feste liegen mag, bestätigt Dr. Brauckhoff: „Ich erinnere mich noch an mein erstes Weihnachten in Russland im Jahr 1986. Ich war als Studentin der Slawistik zum ersten Mal für ein Semester in Moskau und erlebte dort eine schwierige Vorweihnachtszeit.“ Weihnachten spielte in der russischen Hauptstadt keine Rolle: „Alles ging seinen alltäglichen sowjetischen Gang und Moskau machte keinerlei Anstalten, sich weihnachtlich zu präsentieren. Der 24. Dezember bedeutete hier schon lange nichts mehr und auch am 6. Januar wurde in den meisten Familien kein Weihnachten mehr gefeiert“, erzählt die Dozentin.
Doch ihre russischen Freunde machten eine Ausnahme: „Um mich zu trösten, luden mich Freunde am Abend des 24. Dezembers zu sich nach Hause ein. Es wurde ausgelassen gefeiert, getrunken und mir pünktlich zu Mitternacht feierlich zu Weihnachten gratuliert. Ich weiß noch genau, wie gerührt ich war: Die Freunde hatten für mich ‚Heiligabend‘ gespielt, und zwar nach den Regeln des wichtigsten aller sowjetischen Feste, der Silvesternacht, mit Neujahrstanne, Sekt und Geschenken.“
Denn am Ende scheint es ja auch ganz egal zu sein, ob nun Weihnachten oder Silvester, Deutschland oder Russland. Eins haben sowohl Deutsche als auch Russen beim Feiern gemeinsam: den Wunsch, die Feiertage entspannt und fröhlich, mit viel Essen und Geschenken im Kreise der Familie und ihrer engsten Freunde zu verbringen.
Text: Daria Zingaleva, für Russland HEUTE
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