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„Europäische Manager Zielpersonen für Entführungen“

Welche Risiken bergen Geschäftsreisen ins Ausland und welche damit verbundenen Pflichten haben Arbeitgeber? Darüber klärt Dirk Guß von der Allianz Global Assistance auf.

EXPAT NEWS: Inwieweit hat sich die Praxis von Dienstreisen in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Guß: Aufgrund der Globalisierung werden immer häufiger auch Reisen in Länder der dritten Welt und in Krisenregionen unternommen. Insbesondere die Anzahl der Geschäftsreisen im deutschen Mittelstand – der eigentliche Treiber der Globalisierung – ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Viele Krisenfälle haben erheblichen Einfluss auf die Mobilität; das gilt beispielsweise für den Israel-Palästina-Konflikt, der sich immer wieder zuspitzt oder für Terroranschläge in der Golfregion. Hinzu kommt, dass die Zahl der Entführungen von Geschäftsreisenden stetig zunimmt. Das Problem ist, dass viele in der Fürsorgepflicht stehende Arbeitgeber die Gefahrenquellen von Geschäftsreisen unterschätzen. Sie sehen in erster Linie die Vorteile für die Firma. Aber die Chancen für den Unternehmer sind die Risiken für den Geschäftsreisenden.

EXPAT NEWS: Worin unterscheiden sich mögliche Risiken bei privat und geschäftlich veranlassten Reisen?

Guß: Privatreisen werde oft von langer Hand vorbereitet, man informiert sich ausführlich über das Zielgebiet und die dort herrschenden Verhältnisse. Dadurch sind Urlauber häufig in Bezug auf mögliche Gefahren sensibilisierter. Der Geschäftsreisende informiert sich meist nur über den Zweck der Dienstreise, also  über den Kunden, das Projekt, seine Präsentationsmöglichkeiten und weniger über die Destination selbst. Ein Grund ist sicherlich die geringe Verweildauer von durchschnittlich 2,2 Tagen pro Reise. Die Unkenntnis über das Zielgebiet erhöht allerdings die Risiken und mindert vor allem die Effizienz der Reise. Als Beispiele seien genannt: die Behördenwillkür und Korruption in Ländern Südosteuropas, das immense Wohlstandsgefälle in Schwellenländern und aufstrebenden Märkten wie China, Indien und Südafrika, wo sich die Alltagskriminalität auch auf die Städtezentren ausweitet.

Dann kommt es immer wieder zu plötzlichen politischen Instabilitäten. Denken Sie nur an den „Rothemdenaufstand“ in Bangkok Anfang 2010 oder an die Unruhen in Griechenland während der Eurokrise oder den „Arabischen Frühling“ seit Anfang dieses Jahres. Gefahren, die weiter zunehmen, sind etwa Datenkriminalität und Industriespionage. In China und Russland wird jeder zweite Reisende ausspioniert. Und übrigens gehören europäische Manager zu den Top-Fünf-Zielpersonen bei Entführungen.

EXPAT NEWS: Welche Kosten können auf Unternehmen in solchen Situationen zukommen?

Guß: Bei den oben genannten ist der materielle Schaden schwer zu beziffern. Anders sieht es bei Erkrankungen auf Dienstreisen aus. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit dort liegt bei zehn Prozent, bei Fernreisen sogar bei 18 Prozent. Und das kann teuer werden. Während eine Blinddarmoperation in Deutschland etwa 3.000 Euro kostet, ist man in den USA schnell mit 20.000 bis 90.000 Euro dabei. Die Behandlung eines Herzinfarkts kostet hierzulande etwa 8.000 Euro, in den USA bis zu 150.000 Euro und in China rund 30.000 Euro. Für ein Ambulanzflugzeug, das einen verletzten Mitarbeiter von Thailand zurück nach Deutschland befördert, zahlt man zwischen 40.900 und 70.000 Euro; für einen normalen Linienflug hingegen nur 1.100 bis 3.600 – je nach Sitzklasse.

EXPAT NEWS: Welche rechtlichen Obliegenheiten hat ein Unternehmen bei Geschäftsreisen, die Mitarbeiter antreten?

Guß: Arbeitgeber haben eine allgemeine Fürsorgepflicht zu Sicherheit und Gesundheit des Mitarbeiters, die im Sozialgesetzbuch in den Paragrafen 241ff. und im Bürgerlichen Gesetzbuch in den Paragrafen 618ff. verankert sind. Auf Geschäftsreisen agiert das Unternehmen für seinen Mitarbeiter wie dessen Versicherungsgesellschaft. Erkrankt dieser während der Geschäftsreise oder erleidet er einen Unfall, muss seine Firma ihn schützen und für anfallende Kosten aufkommen. Erleidet der Reisende einen Schaden, der aufgrund einer schuldhaften Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber entstanden ist, so ist letzterer zu Schadenersatz verpflichtet. Nicht zu vergessen das schlechte Image, das einem Betrieb auf diese Weise entstehen kann.

EXPAT NEWS: Welche Wünsche haben viel reisende Führungskräfte gegenüber ihrem Arbeitgeber? Was können diese tun, um ihren Mitarbeitern das Reisen so angenehm, aber dennoch so kostengünstig wie möglich zu machen?

Guß: Die Mitarbeiter erwarten vom Arbeitgeber zunehmend ein umfassendes „Travel Risk Management“, da sie viele Vorfälle der vergangenen Jahre wie der 11. September, Vogel- und Schweinegrippe, Naturkatastrophen und Terrorismus auf Gefahren sensibilisiert haben. Unternehmen sollten zur Sicherheit ihrer Fach- und Führungskräfte unter anderem zusätzliche Gruppenunfallversicherungen für die Dienstreise abschließen und ihnen eine 24-Stunden-Notruf-nummer für schnelle und professionelle Hilfe an die Hand geben. Vor allem bei Reisen in Krisengebieten ist es erforderlich, dass die Mitarbeiter ein spezielles Sicherheitstraining absolvieren. Zudem sollten Arbeitgeber umfangreiche Informationen über das Zielland für den Mitarbeiter zusammentragen.

EXPAT NEWS: Warum sind in Zeiten hochmoderner Kommunikationsmittel überhaupt noch Geschäftsreisen notwendig?

Guß: Mit Sicherheit können insbesondere Reisen, die nur dazu dienen, Kollegen von anderen Standorten zu treffen, mit Videokonferenzen ersetzt werden. Kundengespräche oder  Vertragsverhandlungen werden in aller Regel immer noch vor Ort durchgeführt, weil es so genanntes  “people’s business” ist. Das heißt, viele Entscheidungen und vor allem die Konsensfindung lassen sich nur von Angesicht zu Angesicht herbeiführen. Psychologische Komponenten sowie Gestik und Mimik sind bei Geschäftsabschlüssen essentiell. Umfragen zufolge sieht eine große Mehrheit von Managern dies genau so.

Geschäftsreisen 2010 (Marktanalyse des Verbands Deutsches Reisemanagement):

•    Zahl der Geschäftsreisen: 8,1 Mio. (2009: 8,7 Mio.)
•    Ausgaben für Geschäftsreisen: 43,5 Milliarden Euro (2009: 41,1 Milliarden Euro)
•    Durchschnittliche Dauer: 2,4 Tage (2009: 2,2 Tage)
•    Übernachtungskategorien im Ausland: ein bis zwei Sterne: 4,15 Prozent (2009: 5 Prozent), drei Sterne: 44 Prozent (2009: 37 Prozent), vier Sterne: 38 Prozent (2009: 35 Prozent), fünf Sterne und mehr: 9 Prozent (2009: 5 Prozent)
•    Top-Ten-Ziele für Geschäftsreisen (absteigend): USA, China, Frankreich, Österreich, Schweiz, Großbritannien, Italien, Niederlande, Russland, Spanien