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Bericht aus Brasilien: »Ich befand mich in einem doppelten Honeymoon«

Für Esther K. Beuth-Heyer änderte sich vor über vier Jahren quasi über Nacht einfach alles: Der Beziehungsstatus, der Job und das Aufenthaltsland. Im Interview berichtet sie von ihren ersten Schritten in São Paulo und beschreibt, wie sie dort mit ihrem Mann lebt.

EXPAT NEWS: Sie leben seit Februar 2011 in Brasilien, konkret in São Paulo. Wie kam es zu diesem Umzug?

Beuth-Heyer: Das lässt sich am besten chronologisch erzählen. Am 6. August 2010 habe ich meinen heutigen Ehemann kennen gelernt, der kurz zuvor einen Arbeitsvertrag für eine Tätigkeit in Brasilien unterschrieben hatte. Wir waren uns sofort sicher, dass wir zueinander gehören. Am 21. August, auf dem Weg zu seiner Familie nach Düsseldorf, hat er um meine Hand angehalten und am 1. Oktober haben wir geheiratet. Nur wenig später, am 27. Oktober, ist mein Mann bereits nach São Paulo geflogen. Dass ich ihm mittelfristig folgen würde, stand für mich spätestens am Tag unserer Hochzeit fest.

EXPAT NEWS: Das ging ja alles immens schnell. Wie hat ihr Umfeld darauf reagiert?

Beuth-Heyer: Unsere Familien waren im ersten Moment natürlich überrascht über die rasanten Entwicklungen, doch auch sie spürten, dass wir zueinander gehören und haben sich mit uns gefreut. Nicht glücklich über meine Entscheidung war mein damaliger Chef. Bevor ich nach São Paulo ging, arbeitete ich mit großem Engagement und viel Freude als Pressesprecherin eines Schwerpunktkrankenhauses der Maximalversorgung in Berlin. Diesen Job wollte ich für das Leben mit meinem Mann und das Abenteuer Brasilien aufgeben. Mein Chef hat mich nur ungern ziehen lassen. Auch ich ging mit einem weinenden Auge, denn diese Aufgabe hat mich sehr ausgefüllt.

EXPAT NEWS: Wie haben Sie sich auf Brasilien vorbereitet?

BrasilienBeuth-Heyer: Ich konnte mich nicht wirklich in die Vorbereitung stürzen, da ich noch lange Zeit arbeitete. Ich habe Menschen angesprochen, von denen ich wusste, dass sie einen Brasilienbezug haben – eine ehemalige Kollegin, die aus Brasilien stammt, ein Ehepaar, das lange in São Paulo gelebt hatte. Schließlich – und dies stellte sich als wichtigster Bezugspunkt heraus – hat eine Freundin meiner Familie den Kontakt zu einem weitläufigen Verwandten, einem Deutschen und seiner brasilianischen Ehefrau, hergestellt. Beide waren uns in unserer Anfangszeit eine große Hilfe und sind heute gute Freunde.

Bereits in Deutschland hatte ich angefangen, Portugiesisch zu lernen. Ich habe mich intensiv mit meinem Mann über seine Erlebnisse in dem auch für ihn komplett neuen Land ausgetauscht und viel zu Brasilien, speziell zu São Paulo, recherchiert. Am 12. Februar 2011 traf ich schließlich mit viel Gepäck in São Paulo ein, um mit meinem Mann in der Megacity zu leben.

EXPAT NEWS: Was waren Ihre ersten prägenden Eindrücke von São Paulo?

Beuth-Heyer: Klimatisch und aufgrund der Vegetation um den Flughafen Guarulhos fühlte ich mich an Hawaii erinnert. Dieser erste Eindruck verflog aber schnell auf dem Weg in den Stadtteil Brooklin, in dem wir auch heute noch leben, denn die subtropische Idylle wurde nach wenigen 100 Metern zum Asphaltdschungel und zur Betonwüste: Ich sah zwischen acht und zwölf Fahrspuren, auf deren Seitenstreifen Menschen entspannt entlang liefen oder mit dem Fahrrad fuhren und viele heruntergekommene Gebäude. Auf halber Strecke änderte sich dann das Bild je nach Streckenabschnitt. Brooklin mochte ich sofort. Wenige Stunden nachdem ich angekommen war, gingen wir in ein Lanchonete, eine Art Imbiss, um etwas zu essen. Mein Mann schwärmte von Pão de queijo, die er als gehaltvolle Käsebrötchen beschrieb. Diese brasilianische Köstlichkeit wollte auch ich probieren. Das war kein leichtes Unterfangen, denn auch mein Mann war nach wenigen Wochen noch nicht sicher in der neuen Sprache. Bis wir in Sachen Restaurantbesuch eine Routine – einschließlich der Erinnerung an unterschiedliche Besteckteile oder die Reklamation – entwickelten, sollte einige Zeit vergehen. Mein Mann zeigte mir die Umgebung und führte mich in das nächstgelegene Einkaufszentrum: Ich war erleichtert und sehr glücklich, dass es hier alles zu geben schien, was das Herz begehrt.

Was ich in der ersten Zeit auch erlebte: Für Sekunden war ich vielleicht einmal irritiert, doch gleichzeitig war ich unendlich glücklich, ich befand mich in einem doppelten Honeymoon – mit meinem Mann und mit der Megacity, die es zu erobern und zu entdecken galt.

EXPAT NEWS: Was waren die größten Herausforderungen, die Sie meistern mussten?

Beuth-Heyer: Lange Zeit habe ich eigentlich nichts als Herausforderung empfunden. Vielmehr war alles ein großes Abenteuer – ein ausgedehnter Honeymoon. Selbst den Umzug in unser Apartment, den ich in Abwesenheit meines Mannes, der zu diesem Zeitpunkt beruflich in Deutschland zu tun hatte, quasi allein und ohne Sprachkenntnisse absolvierte, empfand ich als aufregendes Ereignis – und das, obwohl er nicht komplikationslos verlief. Aber erstens stand mir meine Freundin zur Seite und zweitens mag ich Herausforderungen.

Als ich in der Umzugszeit nicht um einen Arztbesuch herumkam, musste ich mich mit der Struktur des Gesundheitssystems von Brasilien auseinandersetzen und einen Facharzt finden. Ich wählte damals einen Vertragsarzt meiner exzellenten privaten Versicherung.

Allerdings war dies der erste und letzte Besuch bei einem Kooperationsarzt, denn vielmehr als eine unzutreffende Nebendiagnose hatte der Mediziner während der zehnminütigen Kassenkonsultation nicht zu bieten. Heute gehen wir zu Ärzten unserer Wahl und lassen uns den Krankenkassenanteil erstatten.

EXPAT NEWS: Welche besonderen kulturellen Unterschiede fallen Ihnen zwischen Deutschen und Brasilianern ein?

Beuth-Heyer: An den Brasilianern gefällt mir die positivere Lebenseinstellung, ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Sie sind stets um eine Lösung bemüht, auch wenn sie diese nicht immer erreichen. Brasilianer können schlecht nein sagen. Nur um das Gegenüber nicht vor den Kopf zu stoßen, werden unrealistische oder nicht ernst gemeinte Versprechungen gemacht, wodurch sich das Miteinander bisweilen schwierig gestaltet. Auch die Amanhã-Mentalität, wonach etwas erst morgen, übermorgen, nächste Woche und nie passiert, ist oft nervenaufreibend. Brasilianer haben darüber hinaus einen gewissen Hang zum Eskapismus und denken häufig nicht in die Zukunft. Seitdem ich hier lebe, weiß ich die typisch deutschen Eigenschaften, wie beispielsweise Klarheit, Verlässlichkeit, Termintreue und Effizienz umso mehr zu schätzen.

EXPAT NEWS: Sie haben in den 90-er Jahren als Redakteurin in New York gelebt. Wo haben Sie schneller Fuß fassen können: New York oder São Paulo?

BrasilienBeuth-Heyer: Leichter eingelebt habe ich mich in New York, denn die pulsierende Metropole ist allgegenwärtig. Sie ist Schauplatz unzähliger Romane und Filme. Regelmäßig wird über neue Trends aus Stadt, die niemals schläft, berichtet. Bereits als ich New York – drei Jahre vor meinem längeren Aufenthalt dort – zum ersten Mal besuchte, war ich fasziniert von dieser Stadt und fühlte mich sofort heimisch. Es war, als sei ich nach langer Abwesenheit an einen vertrauten Ort zurückgekehrt, obwohl ich noch nie dort war. Vielleicht erklärt sich dieses Gefühl aufgrund der medialen Omnipräsenz.

Als ich schließlich meine Tätigkeit aufnahm, hatte ich großartige Ausgangsvoraussetzungen, denn ich sprach schon damals gut Englisch und lebte in den ersten Monaten in einer wundervollen Gastfamilie. Ich wohnte in der Idylle Long Islands und arbeitete in Manhattan. Auch mein Job bei der New Yorker Staats-Zeitung war großartig. Tatsächlich hat mich die Stadt so sehr begeistert, dass ich mich jahrelang um die Greencard bemühte. Nicht zuletzt diese positive Erfahrung hat dazu geführt, dass ich mich frohgemut in das Abenteuer São Paulo gestürzt habe. Nicht auf dem Zettel hatte ich allerdings, dass in São Paulo nur wenige Menschen Englisch sprechen, auch wenn sie häufig Gegenteiliges behaupten.

EXPAT NEWS: Sie arbeiten schon lange im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, nun auch in Brasilien. Was genau tun Sie?

Beuth-Heyer: Etwas über vier Wochen nach meiner Ankunft hatte ich bereits – noch bevor wir eine eigene Wohnung bezogen – meinen ersten Job. Für die Brasil-Post, eine deutschsprachige Wochenzeitung, die bis Ende September 2012 bestand, schrieb ich eine wöchentliche Kolumne über meine Erlebnisse in und mit der Stadt. Ich habe also sehr schnell einen Einstieg in das Arbeitsleben vor Ort gefunden, nichtzuletzt aufgrund meiner journalistischen Routine. Zu meiner Freude arbeite ich seit Ende 2012/Anfang 2013 auch wieder im PR-Bereich – und zwar für „Cidades Sem Fome“, zu Deutsch: „Städte ohne Hunger“.

Dort decke ich den deutsch-englischen Bereich ab und der Gründer der Organisation, für die ich tätig bin, übernimmt den portugiesischen Part.

EXPAT NEWS: Können Sie sich vorstellen, in São Paulo alt zu werden?

Beuth-Heyer: In São Paulo habe ich für mich realisiert, wie stark meine deutschen Wurzeln sind, wie verbunden ich mit meiner Familie, meinen Freunden, mit Berlin bin. Ich spreche inzwischen gut Portugiesisch und doch kann ich mich natürlich nicht auf dem Niveau artikulieren, wie es mir in meiner Muttersprache möglich ist. Im Verlauf unseres ersten Weihnachtsfests hier in São Paulo im Jahr 2012 hat uns, fern von unseren Lieben, die Sehnsucht und das Heimweh gepackt und wir haben uns erstmals mit der Frage einer Rückkehr beschäftigt. Aktuell sind wir dabei, den für uns sinnvollen Zeitpunkt auszuloten.

Doch unabhängig davon: Bereits in diesen ersten drei Jahren haben wir viel Spannendes hier in Brasilien erlebt und werden ausgesprochen positive Erfahrungen mitnehmen.

Mehr Infos unter: http://www.esther-beuth-heyer.com/biographisches/

Buchtipp von Esther K. Beuth-Heyer:

Harald Rupprecht: Expatriate-Management, Diplomica Verlag, 134 Seiten, 48 Euro; ISBN: 978-3-836654692

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Fotos: Esther K. Beuth-Heyer, © Michel-R – Fotolia.com