„Am Rande des Nervenzusammenbruchs“
Viele Expats nutzen einen Relocation-Service, der sie und ihre Familie beim Umzug in ein neues Land umfassend berät und unterstützt. EXPAT NEWS sprach mit Barbara Fleshman, Geschäftsführerin bei Donath Relocation, über die Herausforderung eines länderübergreifenden Wohnortwechsels und die oftmals dramatischen Folgen eines Kulturschocks.
EXPAT NEWS: Wie lange gibt es Relocation bereits als Dienstleistung? Wodurch ist dieser Service entstanden?
Fleshman: Hierzulande gibt es diese Dienstleistung seit etwa 20 Jahren. Ihren Ursprung hat sie in den USA, vermutlich schon im zweiten Weltkrieg. Damals küm-merte sich das Militär um alles Organisatorische rund um die Versetzung von Soldaten. Weil in der Regel auch die Familie des Militärs umzog, gewannen der Wohnort, die Lebensumgebung, die Wohnung sowie Schulen, Kindergärten und alles damit Zusammenhängende zunehmend an Bedeutung. Es gibt beispielsweise den Army & Airforce Exchange Service (AAFES), eine Konsumgüterversorgungskette mit eigenen Ladengeschäften des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums, die der Versorgung der US Army und der US Air Force dient. In diesen Läden werden Manager eingesetzt, die Relocation-Service in Anspruch nehmen.
Möglicherweise resultiert der Service aber auch aus dem Angebot von US-Immobilienmaklern, die in ihrer Heimat viel mehr gewerbliche Freiheiten haben als etwa ihre deutschen Kollegen. Diese dürfen bis auf Behördengänge fast alle möglichen Dienstleistungen rund um das Immobiliengeschäft anbieten. Mit der fortschreitenden Globalisierung, die es zumindest für die Führungsebene von Unternehmen erfordert, auch außerhalb der Heimat zu arbeiten, stieg dann der Bedarf an Relocation-Services.
EXPAT NEWS: Wie lassen sich Relocater von internationalen Umzugsfirmen abgrenzen?
Fleshman: Das Umzugsunternehmen ist wie die Hardware, der Relocator ist die Software. Relocation-Dienste beraten Familien und Expatriates vor dem Umzug beispielsweise in interkulturellen Fragen, sie organisieren die Wohnungssuche und verhandeln mit den Vermietern. Sie wissen, welche Haustiere unter welchen Voraussetzungen mit ins Ausland dürfen, suchen Schulen und Kindergärten; kurzum: Sie sorgen dafür, dass die Umziehenden in ihr neues Leben starten können, ohne sich mit allzu vielen Formalitäten auseinandersetzen zu müssen. Wenn der Relocater aufgelistet hat, was mit ins neue Leben soll, kommt das Umzugsunternehmen ins Spiel. Dieses sorgt dann dafür, dass alles organisiert und den rechtlichen Normen entsprechend an den neuen Wohnort transportiert wird.
EXPAT NEWS: Welche Personengruppen nutzen Ihren Relocation-Service?
Fleshman: Hauptsächlich Expatriates im oberen Management eines Unternehmens. Diese treten für gewöhnlich eine wichtige Position im Ausland an und müssen vom ersten Tag an einsatzfähig sein. Somit bleibt weder viel Zeit noch Energie, sich mit den Strapazen eines Umzuges zu befassen. Ein Wohnortwechsel zieht mehr als nur das Kistenpacken nach sich. Die alte Wohnung muss im geforderten Zustand abgegeben, die Stadtwerke informiert werden; beim Transport des Umzugsgutes sind Zoll- und Einfuhrvorschriften zu beachten, für Haustiere müssen Impfungen vorgenommen, Pflanzen unter Quarantäne gestellt werden und noch vieles mehr. Und zu guter Letzt sollte sich die Familie in guten Händen und bestmöglich vorbereitet fühlen, damit sie dem Expat den Rücken freihält.
EXPAT NEWS: Betreuen Sie auch Privatpersonen?
Fleshman: Durchaus, aber seltener. Bei den Expats zahlt für gewöhnlich die Firma den Service. Grundsätzlich kann jeder Einzelne sich die Rahmendaten selbst erschließen, aber dies ist nun mal sehr zeitaufwändig. Es kommt allerdings häufiger vor, dass Privatleute unseren Dienst in Anspruch nehmen, wenn sie an einem Tag X an ihrem neuen Wohnort sein müssen und zu Hause bei ihrer alten Wohnung noch nicht alles geregelt haben. Dann organisieren wir beispielsweise die Wohnungsübergabe und klären alles mit dem Vermieter.
EXPAT NEWS: In welcher Phase der Planung ist es sinnvoll, mit einem Relocator zu sprechen?
Fleshman: In dem Moment, wo es heißt: „Schatz, wir ziehen nach China“. Mit anderen Worten: So früh, wie nur möglich. Die Grenzen zwischen dem Alten und dem Neuen sind oftmals nicht sichtbar. Insbesondere zu Anfang handeln viele Expats nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Beispielsweise lösen sie ihr deutsches Bankkonto zu früh auf und wundern sich dann, dass sie Ihre Mietkaution nicht zurückgezahlt bekommen.
EXPAT NEWS: Erfordert es ein Auftrag, im jeweiligen Land vor Ort zu sein?
Fleshman: Hin und wieder ja. Beispielsweise habe ich mal eine Dame betreut, die beruflich nach Prag ging. Was sie nicht wusste: In Tschechien ist es üblich, dass ein Objekt mehrere Vermieter hat. Entsprechend muss der Mieter sich bei Vertragsfragen mit jedem Einzelnen auseinandersetzen. Unsere Klientin musste sich eigentlich auf ihren Job konzentrieren und hatte keine Zeit, sich mit so vielen Vermietern auseinanderzusetzen. Als sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand, bat sie mich anzureisen, damit ich vor Ort alles für sie organisieren konnte. Ein anderes Mal bin ich vor einem Auftrag nach Indien gereist, um ein Gefühl für das Land, dortige Sitten und die Wohnsituation zu bekommen. Das war unwahrscheinlich lehrreich.
EXPAT NEWS: Wie erarbeiten Sie sich all das Wissen über die einzelnen Länder?
Fleshman: Ich hamstere alle relevanten Informationen, die mir irgendwann in die Hände kommen. Es kann immer sein, dass ein bestimmter Hinweis irgendwann gebraucht wird. Außerdem haben wir viele internationale Partner, von denen wir beispielsweise Daten zu Mietpreisen im jeweiligen Land abfragen können. Umgekehrt stellen wir bei Bedarf auch unser Wissen zur Verfügung.
EXPAT NEWS: Bei der Beratung von Privatpersonen erfahren Sie sicherlich viel über deren persönliche Lebenssituation. Wie gehen Sie mit diesen Informationen um?
Fleshman: Es gibt natürlich eine Schweigepflicht. Ein Relocater würde niemals Namen seiner Kunden nennen. Auch privat unterhalte ich mich über bemerkenswerte Aufträge nur in anonymisierter Form. Doch manche Expats bringen uns gelegentlich in eine Zwickmühle, etwa wenn sie wissen wollen, was für ein Haus wir dem Kollegen vermittelt haben oder welche Extras dieser vom Arbeitgeber gestellt bekommt. Insbesondere dann müssen wir uns bedeckt halten, um keinen Neid oder Begehrlichkeiten zu wecken. Es gibt allerdings Situationen, in denen wir der Personalabteilung hilfreiche Informationen geben. Zum Beispiel, wenn sich bei der Betreuung der Familie herausstellt, dass der Ehepartner einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil er partout nicht in das Aufenthaltsland möchte. In einem solchen Fall ist die Expatriate-Versetzung vielleicht der falsche Schritt.
EXPAT NEWS: Haben Sie bestimmte Kuriositäten erlebt?
Fleshman: Die meisten Schwierigkeiten entstehen aufgrund des Wechsels des Kulturraums. Ich habe amerikanische Ehepaare in Deutschland einen Streit vom Zaun brechen sehen, weil sie nicht fassen konnten, dass man bei McDonalds für eine kleine Tüte Ketchup extra zahlen muss und jedes neue Getränk Geld kostet. Das ist eine der Phasen des Kulturschocks. Alles ist neu und selbst das Vertraute ist irgendwie doch anders. Wenn sich ein Amerikaner in einem fremden Land mit Menschen auseinandersetzen muss, die nicht seine Muttersprache sprechen und er mit völlig neuen Gepflogenheiten konfrontiert wird, kann ich schon verstehen, dass ihm bei einer Flasche Heinz Tomaten Ketchup im Supermarkt die Tränen in die Augen schießen. Ich habe schon gestandene Manager erlebt, bei denen der Kulturschock zu einer Depression führte.
EXPAT NEWS: Können Relocator dies verhindern?
Fleshman: Wir können zumindest dafür sorgen, dass unsere Klienten in einer Umgebung leben, die ihnen wenigstens ansatzweise vertraut ist. Beispielsweise können Sie einen jungen Expat aus New York nicht in einem Einfamilienhaus in Castrop-Rauxel unterbringen. Deswegen ist es für uns so wichtig zu erfahren, wie und wo ein Kunde in seinem Heimatort lebt oder gelebt hat.
Umzug von Expatriates: Welche Kostenmodelle es gibt
Foto: © TM – Design – Fotolia.com