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Expatriates rechtssicher entsenden

Personalverantwortliche sollten ihre entsandten Mitarbeiter insbesondere in Sachen Sozialversicherung intensiv auf den Auslandsaufenthalt vorbereiten. Doch viele machen noch immer erhebliche Fehler. Welche Prüfungskriterien zu beachten sind.

Immer mehr Unternehmen – darunter auch viele kleine und mittelständische – engagieren sich international und müssen einzelne oder mehrere Mitarbeiter auf einen Auslandseinsatz vorbereiten. Die Vereinten Nationen schätzen, dass aktuell etwa drei Millionen deutsche Expatriates – dies ist die gängige Bezeichnung für Auslandserwerbstätige – für ihren Arbeitgeber im Ausland tätig sind. Ob die Arbeitnehmer zum Aufbau einer Repräsentanz, für die Projektleitung in einer Tochtergesellschaft oder beispielsweise „auf Montage“ für Bauaufträge in ein anderes Land entsandt werden, die Rahmenbedingungen für eine korrekte und optimierte Regelung der Sozialversicherung sind komplex und bedürfen einer gewissenhaften Prüfung durch die Personalabteilung.

Die gesetzliche Sozialversicherung ist hierzulande im Sozialgesetzbuch (SGB) verankert. Dessen Vorschriften gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort im Geltungsbereich des SGB (Deutschland) haben (SGB I, § 30, Abs. 1). Allerdings bleiben Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts wie zum Beispiel innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) davon unberührt (SGB I, § 30, Abs. 2). Deshalb sollten sich Personaler von entsendenden Unternehmen zunächst darüber informieren, ob solche über- oder zwischenstaatlichen Regelungen mit dem geplanten Aufenthaltsland des Arbeitnehmers bestehen, da diese dann vorrangig gelten.

Sozialversicherungsabkommen für Länder des EWR

Tatsächlich hat die Bundesrepublik mit mehreren Ländern so genannte Sozialversicherungsabkommen zur Regelung der sozialen Sicherheit von Mitarbeitern geschlossen. So gelten diese zwischenstaatlichen Abkommen für sämtliche Staaten des EWR (alle EU-Länder sowie Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz). Dies war bislang in der EWG-Verordnung 1408/71 formuliert, die sämtliche Zweige der Sozialversicherung regelt und 2010 von der Verordnung 883/2004 abgelöst wurde. Mit einigen Staaten außerhalb des EWR (zum Beispiel USA, Japan, China) unterhält Deutschland ebenfalls zwischenstaatliche Abkommen – nur umfassen diese in der Regel nicht alle Zweige der Sozialversicherung. Sofern sich ein Expatriate daher in einem dieser Länder aufhält, müssen Personaler das bestehende Abkommen zunächst daraufhin prüfen, welche Zweige der Sozialversicherung es regelt. Für die entsprechenden Zweige gelten dann vorrangig die Vorschriften des Abkommens.

Mit der Mehrzahl aller Staaten bestehen jedoch keine Sozialversicherungsabkommen. Das Problem: Dazu gehören durchaus gängige Entsendungsländer wie Russland, Singapur, Malaysia, Saudi-Arabien oder Vereinigte Arabische Emirate (VAE). Bei einem Aufenthalt von Arbeitnehmern in diesen so genannten Nicht-Abkommensstaaten gelten aus Sicht der Bundesrepublik daher ausschließlich die deutschen Rechtsvorschriften – sofern die entsprechenden Entsendekriterien erfüllt sind. Ob ein Personalverantwortlicher nun die Regelungen eines Abkommens oder des deutschen SGB beachten muss, verdeutlicht eine schematische Darstellung (siehe Abbildung 1).

Entsendung in einen EWR-Staat und in Abkommensländer

Doch wie ist zunächst bei einer Entsendung in einen EWR-Staat wie zum Beispiel Großbritannien vorzugehen? Die EWR-Verordnung 883/2004 soll grundsätzlich Doppelversicherungen vermeiden und dafür sorgen, dass die im Sozialversicherungssystem des Gastlandes erbrachten beitragspflichtigen Zeiten auf die bereits im Heimatland zurückgelegten Zeiten angerechnet werden. Denn das deutsche System sieht vor, dass nur dann beispielsweise Arbeitslosengeld oder Rente gezahlt werden, wenn die entsprechenden Leistungsvoraussetzungen bestehen. Die Vereinbarungen mit den EWR-Ländern (beziehungsweise jenes mit Großbritannien) sehen vor, dass ein Expatriate in das System des Gastlandes übertritt und nur noch dort (nicht mehr in Deutschland) Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialversicherungssystem hat. In der Praxis will aber ein Arbeitnehmer lieber im heimischen Sozialversicherungssystem verbleiben, anstatt in das vergleichsweise leistungsärmere britische zu wechseln. Dafür hat das Abkommen eine Ausnahme definiert, durch welche die deutschen Rechtsnormen weitergelten. Sind sämtliche Kriterien für diese Ausnahme erfüllt, dann gilt die deutsche Sozialversicherung auch für das Arbeitsverhältnis des Expatriates in Großbritannien (und allen EWR-Staaten) weiterhin.

Die Voraussetzungen für derartige Fälle müssen alle gleichermaßen gegeben sein. Dafür gilt:

  1. Der Arbeitnehmer muss sich auf Weisung seines Arbeitgebers ins Ausland begeben, um dort für diesen eine Tätigkeit auszuüben.
  2.  Das inländische Beschäftigungsverhältnis muss fortbestehen. Dafür gilt folgende Definition:
    • Die Verantwortung für den Arbeitnehmer liegt beim entsendenden Unternehmen.
    • Der Arbeitsvertrag bleibt in vollem Umfang mit diesem Unternehmen.
    • Das Unternehmen kann den Arbeitgeber entlassen sowie die Art und Weise der Tätigkeit bestimmen.
    • Die Arbeit im Gastland wird auf Rechnung des entsendenden Unternehmens ausgeführt.
  3. Im Gegensatz zum innerstaatlichen Recht sieht die EWR-Verordnung 1408/71 Fristen vor, bei deren geplanter Überschreitung die Regeln des Gastlandes angewandt werden. Diese Frist hat die Europäische Kommission zum 1. Mai dieses Jahres von bislang 12 auf 24 Monate verlängert. Eine Verlängerung der Entsendung im Sinne der Ausstrahlung über diese Dauer hinaus ist grundsätzlich nicht möglich.
  4. Der entsandte Arbeitnehmer darf keinen anderen entsandten Mitarbeiter ablösen.

Oft genug kommt es jedoch vor, dass eine Firma ihren Mitarbeiter für eine längere Dauer als zwei Jahre entsenden will. In einem solchen Fall sollte die Personalabteilung noch vor der Versetzung des Expatriates ins Ausland eine Ausnahmevereinbarung beantragen. Die entsprechenden Antragsunterlagen erhält diese bei der Deutschen Verbindungsstelle Krankenversicherung Ausland (DVKA). Diese entscheidet auch darüber, ob dem Ausnahmevereinbarung zugestimmt werden kann. Für gewöhnlich willigt sie ein, wenn die Entsendung nicht länger als fünf Jahre dauert.

Vorsicht bei Abkommensländern außerhalb des EWR

Die gleichen Voraussetzungen gelten übrigens auch für Entsendungen in Länder außerhalb des EWR-Raums, mit denen ein Sozialversicherungsabkommen besteht. Aber Achtung: Oft betreffen die zwischenstaatlichen Vereinbarungen nur einzelne Zweige der Sozialversicherung. Ein Beispiel: Das Abkommen Deutschlands mit den USA betrifft lediglich die Rentenversicherung. Keine Regelungen bestehen hinsichtlich der Kranken-, Arbeitslosen-, Unfall- und Pflegeversicherung. Das bedeutet, dass im Falle einer tatsächlichen Entsendung gemäß den Kriterien die deutsche Sozialversicherungspflicht auch nur auf die gesetzliche Alterssicherung ausstrahlt. Für alle anderen Zweige muss der Mitarbeiter in das System der USA übertreten. Hinzu kommt, dass anders als bei den EWR-Ländern unterschiedliche Fristen bei den Abkommensländern gelten, die zwischen einem und fünf Jahren variieren können.

Fatale Folgen bei falscher Entsendung

Die Praxis zeigt allerdings, dass etliche Unternehmen, die Entsendungskriterien missdeuten oder zu umgehen versuchen. So belassen diese ihre im Ausland tätigen Mitarbeiter absichtlich auf der inländischen Gehaltsliste, um dadurch die Ausstrahlung der Sozialversicherungspflicht zu erreichen. Entscheidend ist jedoch, ob dem inländischen Unternehmen, das die Auslandstätigkeit des Angestellten veranlasst hat, dessen Tätigkeit auch tatsächlich wirtschaftlich zuzurechnen ist. Sofern der Expatriate bei einer rechtlich selbstständigen Organisation, beispielsweise einer Tochtergesellschaft, im Ausland tätig ist, profitiert diese auch wirtschaftlich davon. Folglich wird das in Deutschland ausgezahlte Gehalt an die ausländische Organisation weiterbelastet, da man es in Deutschland gar nicht als Betriebsausgabe geltend machen könnte. Die Rechtsprechung ordnet das Beschäftigungsverhältnis jedoch eindeutig derjenigen Organisation zu, die letztlich die Kosten steuerlich geltend machen kann. Deshalb sind die Voraussetzungen für eine Entsendung nicht erfüllt. Nach Schätzungen des seit 1995 existierenden Bund der Auslands-Erwerbstätigen (BDAE) e.V. ist noch immer jede dritte Entsendung nichtig.

Dies demonstriert ein Fall, der sich erst kürzlich ereignet hat und zu dem der BDAE Stellung bezogen hat: Ein deutscher Getränkehersteller hat vor zehn Jahren seinen Mitarbeiter Thomas H. nach Frankreich entsandt. Obwohl Thomas H. einen lokalen Arbeitsvertrag beim Tochterunternehmen in Frankreich bekam, beließ ihn sein Arbeitgeber im deutschen Sozialversicherungssystem. Thomas H. kamen mit den Jahren Zweifel, ob dieses Vorgehen rechtlich sicher sei und äußerte diese bei der Personalabteilung seiner entsendenden Firma. Die beharrte jedoch auf ihrer Praxis und beließ alles beim alten. Kürzlich musste ihm sein Arbeitgeber jedoch betriebsbedingt kündigen. Als Thomas H. sich in Frankreich arbeitslos meldete, sagte ihm das Arbeitsamt, er könne aus Frankreich keine Unterstützung beziehen, da nie Beiträge in das dortige Sozialversicherungssystem eingezahlt worden sind. Bei der deutschen Arbeitsagentur flog der Fall dann auf. Die Argumentation: Thomas H. hätte niemals im deutschen Sozialversicherungssystem verbleiben dürfen, da er nicht für den in Deutschland ansässigen Arbeitgeber tätig gewesen ist. Anspruch auf Arbeitslosengeld habe er nicht. Mit etwas Glück bekommen er und die Firma die fälschlich in Deutschland eingezahlten Sozialversicherungsbeiträge teilweise zurückerstattet.

Arbeitgeber muss haften

Thomas H. verklagt seinen Arbeitgeber zurzeit auf Schadensersatz. Abbildung 3 zeigt exemplarisch, welche Lücken bei einem zehnjährigen Auslandsaufenthalt eines 35-jährigen Mitarbeiters in der Arbeitslosenversicherung entstehen. Erst zwei Jahre nach der Rückkehr ist damit zu rechnen, dass die Absicherung in etwa die gleiche Höhe umfasst wie vor dem Auslandsaufenthalt.

Vor ein paar Jahren hätte der Fall Michael H. sogar noch dramatischere Auswirkungen gehabt. Wäre er oder ein mitversichertes Familienmitglied chronisch krank geworden, dann hätte ihn seine Krankenkasse in Deutschland bei Bekanntwerden der unrechtmäßigen Versicherung in der Bundesrepublik aller Wahrscheinlichkeit keine Leistungen zukommen lassen. Inzwischen besteht aber auch für Auslandsrückkehrer seit 2007 in der gesetzlichen und seit 2009 in der privaten Krankenkasse eine Versicherungspflicht – unabhängig davon wie krank oder alt der Rückkehrer ist.

Wie konnte es dazu kommen, dass die Personalabteilung eines international aktiven deutschen Getränkeproduzenten derartige Fehler machte? Der Erfahrung nach liegt die Ursache oft bei der Krankenkasse des Arbeitnehmers. Für gewöhnlich wendet sich das Unternehmen bei der Vorbereitung der Auslandstätigkeit an die örtliche Geschäftsstelle der Krankenkassenträger. Die Ansprechpartner dort sind allerdings oftmals unzureichend informiert und geben bei Spezialfällen falsche Antworten. Doch im Fall der Fälle zählt die Argumentation, dass das Unternehmen aufgrund einer entsprechenden Bestätigung der Krankenkasse – auch wenn diese falsch sein sollte – von der Verantwortung enthoben sei, nicht: Zum einen könnte die betreffende Krankenkasse bei einer Überprüfung darauf verweisen, unvollständig oder falsch informiert worden zu sein. Zum anderen sind die anderen Sozialversicherungsträger wie etwa die Arbeitsagentur in keiner Weise an die Beurteilung der Krankenkasse gebunden. Und schlussendlich muss der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht für den Expatriate erfüllen – wozu eine umfassende Recherche zu den rechtlichen Rahmenbedingungen einer Entsendung gehört.

Entsendung bei Nichtabkommensstaaten

Expatriates, die in Länder entsandt werden, mit denen die Bundesrepublik kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, unterliegen zunächst grundsätzlich den gesetzlichen Bestimmungen des Gastlandes. Aber auch dort sieht das SGB IV Ausnahmen vor und präzisiert in § 4, Abs. 1 den Begriff der Ausstrahlung. Die Definition gleicht der Ausstrahlungs-Bestimmung der EWR-Verordnung (siehe Abbildung 2), allerdings mit zwei Ausnahmen: Punkt 4 „Ablösung anderer Arbeitnehmer“ und die Befristung von 24 Monaten gelten nicht. Letztere kann ebenso wie bei Abkommensländern außerhalb des EWR-Raums variieren.

Die Folgen einer falschen Regelung der Sozialversicherung bei Nichtabkommensländern können katastrophal enden. Dies zeigt ein weiterer Fall, zu dem der BDAE Stellung bezogen hat: Ein deutsches Bauunternehmen hat Michael M. als Projektleiter nach Singapur entsandt. Obwohl zwei von drei Ausstrahlungskriterien nicht erfüllt waren, beließ die Personalabteilung Michael M. in der deutschen Sozialversicherung. Nach fünf Jahren in Singapur wird Michael M. in Folge eines Unfalls auf der Projektbaustelle erwerbsunfähig. Da er zu Unrecht in Deutschland sozialversicherungspflichtig gemeldet war und der Unfall sich im Ausland ereignete sowie sein Arbeitgeber als Alternative keinen privaten Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsschutz für Michael M. abgeschlossen hatte, erhält dieser weder gesetzliche noch private Erwerbsminderungsrente. Das Bauunternehmen hat demnach seine Fürsorgepflicht für den entsandten Mitarbeiter vernachlässigt und muss nun für den Schaden haften. Selbst wenn Michael M. nicht im Ausland erwerbsunfähig geworden wäre, so hätte ihm aber auch in den drei Jahren nach seiner Rückkehr im Heimatland etwas zustoßen können.

Wäre die unrechtmäßige Versicherung Michael Ms. in der deutschen Sozialversicherung entdeckt worden, hätte er auch in dieser Zeit keine Erwerbsminderungsrente bekommen, da die erforderliche beitragspflichtige Wartezeit höchstwahrscheinlich als nicht erfüllt angesehen worden wäre. Denn es gilt: Nur wer in den vergangenen fünf Jahren mindestens drei Jahre am Stück Beiträge in die gesetzliche Erwerbsminderungskasse einzahlt, hat Anspruch auf Leistung. Welche Lücke entsteht, wenn der Arbeitgeber keinen Ausgleich dafür schafft, verdeutlicht die Abbildung links.

Zusätzliche private Absicherung oft notwendig

Neben der sozialen Absicherung sollten Personaler ihre Expatriates – auch wenn dies nicht zwingend erforderlich ist – zudem hinsichtlich ihrer privaten Policen aufklären. Beispielsweise leistet längst nicht jede Berufsunfähigkeits-, Haftpflicht- und Unfallversicherung auch im Ausland. Ähnliches gilt für den Rechtsschutz – kaum eine Police ist zeitlich und räumlich unbegrenzt gültig. Dabei ist vor allem in einem fremden Land, dessen Rechtssystem einem Hinzugezogenen weitgehend unbekannt sein dürfte, eine internationale Rechtsschutzversicherung wichtiger denn je.

Viele Unternehmen sind sich trotz fortschreitender Internationalisierung ihres Tätigkeitsfeldes, der Probleme bei Auslandsentsendungen nicht bewusst. Wenn Arbeitnehmer auf Veranlassung ihres Arbeitgebers im Ausland tätig sind, kommt diesem aber nun mal eine besondere Fürsorgepflicht zu. Auch wenn bei vielen Gesellschaften bislang alles gut gegangen ist, so muss dies nicht so bleiben. Die Folgen sind oftmals unübersehbar. Die gute Nachricht: Fehler, die jetzt entdeckt werden, können meist noch im Nachhinein repariert werden.

Informationsquellen:

www.bdae.com (Bereich „Firmenkunden“)

www.dvka.de (Bereich „Arbeiten im Ausland“)

http://europa.eu/legislation_summaries/employment_and_social_policy/social_protection/c10606_de.htm –> Missoc – Informationen über die soziale Sicherheit

 AutorBund der Auslands-Erwerbstätigen (BDAE) e.V.

Foto: fotolia © kirill polustroff