Die Krupps vom Golf
Abu Dhabi schlägt einen Sonderweg bei der Diversifizierung seiner Wirtschaft ein: Während Bahrain und Katar insbesondere auf Banken und Dienstleistung setzen, bemüht sich das Emirat erfolgreich, einen Industriesektor aufzubauen.
Tony Douglas schwärmt nicht für Schiffe, sondern für Stahlschmelzen und Aluminiumpressen – ungewöhnlich für den CEO der staatlichen Hafengesellschaft Abu Dhabis. Unter seiner Obhut entsteht zwischen den Metropolen Dubai und Abu Dhabi mitten im Niemandsland gelegen der größte Hafen des arabischen Bundesstaates. Mit einem breiten britischen Akzent beschreibt er den Khalifa Port als zentrales Element der »Economic Vision 2030«, dem Masterplan für Abu Dhabis Abkehr vom Öl. Denn der Standort ist weit mehr als ein Hafen.
Angegliedert an die Kaianlagen und wenn es nach der Regierung Abu Dhabis ginge auch bald per Schienennetz mit den Nachbarstaaten verknüpft, öffnete im vergangenen November der Industriecluster Kizad seine Türen. Ausgestattet mit den steuerrechtlichen Annehmlichkeiten einer Freihandelszone wäre Kizad mit einer geplanten Größe von 417 Quadratkilometern das größte geschlossene Industriegebiet am Golf. Bis 2030 sollen dort 15 Prozent des ölunabhängigen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden, erzählt Douglas. Im offiziellen Strategiepapier ist darüber hinaus von 150.000 neuen Jobs die Rede.
Alle Verarbeitungsschritte an einem Standort
Auf dem großen Bildschirm am Kizad-Stand auf der »Hannover Messe« nimmt das Projekt SimCity-hafte Züge an: Mit einer Berührung blendet Douglas ein fein verästeltes Netz an Strom-, Gas- und Wasserleitungen ein, die das Gelände durchziehen. »Alles ist vorbereitet, die Unternehmen müssen nur noch sagen, welche Fläche sie gerne buchen möchten und ihre Fabriken können gebaut werden.«
Als erste Vertreter hätten sich im vergangenen Jahr Aluminium-Produzenten und Unternehmen der Petrochemie angesiedelt, so der Kizad-Chef, der das Projekt seit Mitte 2010 leitet. »Eine Bewerbung wird in der Regel innerhalb eines Quartals bearbeitet. So möchten wir garantieren, dass Unternehmen den Markteinstieg schaffen, ohne an bürokratischen Hürden zu scheitern.«
Größter Standortvorteil sei die lückenlose Produktionskette. Durch die niedrigen Energiekosten vor Ort könne man es sich leisten, alle Arbeitsschritte zwischen Anlieferung des Bauxit und Verpacken der Endprodukte an einem Standort durchzuführen, so Douglas während er Bilder einer modernen, computergesteuerten Produktionsstraße vorführt – Aluminium ist zusammen mit Zement das energieintensivste Industriegut. Offen stünde Kizad jedoch allen Branchen, die ihre Exportprodukte in Abu Dhabi fertigen möchten. Der zugehörige Hafen soll mit RFID-Erfassungssystemen zum modernsten Containerumschlagplatz der Region werden, so verspricht es sein Inhaber. Nur 20 Prozent der hier gefertigten Waren sollen einmal auf dem heimischen Markt landen.
Dem Engagement lokaler und internationaler Unternehmen seien nur wenige Grenzen gesetzt: Ab 100 Quadratmeter Bürofläche könne man sich einmieten. Douglas beschreibt, dass in den kommenden Jahren auf dem Gelände zusätzlich Wohnheime und Supermärkte für die tausenden Angestellten errichtet werden sollen: »Auf diese Weise können wir enorme Kostenvorteile für Unternehmen generieren.« Die Befürchtung, er könne auf seinen teuren Quadratkilometern Wüstensand sitzen bleiben, hat der Brite trotzdem nicht – zu wichtig sei Abu Dhabi als Brückenkopf für die Region. Man möchte ihm Glauben schenken, schließlich käme die Pleite eines Industriebetriebes schnell teurer als die eines vergleichbar großen Dienstleisters.
Der Markt gewinnt an Dynamik
Dass Industrievertreter nicht nur in Kizad mit breiter Brust in die Zukunft blicken, erkennt man am Stand der Industrie- und Handelskammer Abu Dhabi nur wenige Schritte weiter. Mohammed Eissa Al-Refaei, Leiter deren Auslandsabteilung, hält es zwar für schlicht gelogen zu behaupten, dass die Wirtschaftskrise sein Emirat verschont habe, trotzdem gehe es Abu Dhabi besser als manch anderem Golfstaat: »Die Unruhen, die wir gerade in Bahrain erleben, stimmen natürlich auch Investoren nachdenklich. Zwar werden wir damit nicht in die Werbung gehen, wie wir es auch 2009 nicht während der Krise in Dubai getan haben, aber einen positiven Effekt für Abu Dhabi kann man nicht abstreiten«, erzählt der Verbandsfunktionär.
Ihn freue es, dass sich am Golf langsam ein industrieller Mittelstand entwickle, den man versuche über Serviceangebote und Seminare an sich zu binden. »Gleichzeitig stehen wir im engen Kontakt zu Regierungsstellen, um die notwendige investitionsrechtliche Öffnung des Landes voranzutreiben. Noch sind das sehr kleine Schritte in die richtige Richtung.« Als erstes Emirat experimentiere Abu Dhabi aktuell mit Unternehmen, die sich zu 100 Prozent in ausländischen Händen befinden – ein Novum am Golf, da bislang stets lokale Vertreter beteiligt sein mussten.
Im Gepäck hat der hannoveranische Gemeinschaftsstand Abu Dhabis ebenfalls pflichtbewusste Mittelständler, die nicht müde werden, zu betonen, wie sehr sie die Unterstützung ihrer Regierung schätzen und wie gerne sie ihre Produkte auch auf dem deutschen Markt anbieten würden.
Bilal Abu Watfa, Geschäftsführer des Kunststoffherstellers Al Ain Plastic Industries, beschäftigt knapp 150 Mitarbeiter, die aktuell hauptsächlich für den internationalen Markt produzieren. »Wir können nicht mit den Billig-Produkten aus Fernost konkurrieren, also orientieren wir uns eher an Europa und den USA«, so Abu Watfa.
Im Rahmen des Gemeinschaftsstandes von Abu Dhabi fand bereits zum dritten Mal ein Forum statt, an dem sich Vertreter von 12 Partnerinstitutionen des Emirats mit Vorträgen beteiligten, darunter Mubadala Aerospace und Abu Dhabi Securities Exchange. Unter den 25 Teilnehmern und Honoratioren waren Mohammad Ahmad Al-Mahmood, Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate und Jörg Bode, niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, die das Forum zusammen mit der arabisch-deutschen Handelskammer Ghorfa initiiert hatten.
Wie wichtig die Vereinigten Arabischen Emirate mittlerweile für die deutsche Wirtschaft geworden sind, zeigen auch die zahlreichen Delegationsreisen. Erst vor wenigen Wochen besuchte Bode zusammen mit Gesundheitsminister Philip Rösler die Fachmesse »Arab Health« in Dubai im Rahmen eines Symposiums, das von der niedersächsischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Nglobal und der Otto Bock Health Care GmbH veranstaltet wurde.
Quelle: zenith BusinessReport
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