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»Wir sind offener und spontaner geworden«

Warum ihm und seiner Familie die Integration in die amerikanische Gemeinschaft leicht gefallen ist, welche Klischees über Amerikaner sich bestätigt haben und was ihm an der Heimat am meisten fehlt,  hat uns Jörg Mahn, Beschaffungsmanager bei tesa, im Interview verraten.

EXPAT NEWS: Sie sind vor etwas mehr als einem halben Jahr von Ihrem Arbeitgeber tesa nach Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina entsandt worden. Haben Sie und Ihre Familie sich inzwischen gut eingelebt?

Mahn: Ja, wir fühlen uns sehr wohl in unserer neuen Umgebung. Wir haben großes Glück mit unserer Nachbarschaft, in der viele Zugezogene aus verschiedenen amerikanischen Bundesstaaten leben. Charlotte ist sehr international, geradezu ein Schmelztiegel. Als zweitgrößtes Banken- und Handelszentrum zieht die Stadt Menschen aus der ganzen Welt an, die dort arbeiten und leben. Unsere Nachbarn kommen beispielsweise aus anderen US-Bundesstaaten wie Texas und aus Ländern wie Mexiko oder Italien. Wir sind sehr, sehr freundlich aufgenommen worden und haben bereits erste Freundschaften geschlossen. Sogar Weihnachten und Silvester haben wir mit Nachbarn ver- bracht. Ein angenehmes soziales Umfeld hilft natürlich sehr dabei, in einem fremden Land anzukommen.

EXPAT NEWS: Wie hat Ihr Umfeld reagiert, als es erfuhr, dass Sie, Ihre Frau und Ihr kleiner Sohn für ein paar Jahre in die USA gehen?

Mahn: Die Reaktionen waren naturgemäß sehr unterschiedlich. Grundsätzlich haben sich alle für uns gefreut und viele wollen die Gelegenheit nutzen und uns besuchen kommen. Für den engen Familienkreis ist es meist nicht so einfach, da die Distanz zu Deutschland ja recht groß ist. Ansonsten ist unser Umfeld es gewöhnt, dass wir ungefähr alle drei Jahre immer einen Wohnortwechsel vornehmen. Nur war dieser diesmal etwas ausgeprägter als sonst.

EXPAT NEWS: Wie haben Sie sich auf Ihre Entsendung vorbereitet? Hat Ihr Arbeitgeber tesa Sie unterstützt?

Mahn: Das Expat-Programm von tesa ist sehr gut. Wir haben ein interkulturelles Training bekommen und konnten einen Orientierungstrip nach Charlotte machen, um herauszufinden, ob wir uns ein Leben dort tatsächlich vorstellen können. Den haben wir unter anderem dazu genutzt, um eine geeignete Schule für unseren Sohn zu finden und ein Haus in einer für uns passenden Nachbarschaft in Schulnähe zu suchen. Außerdem gibt es vom Unternehmen eine Art Expat-Handbuch mit Checklisten, was vor der Ausreise zu erledigen ist. Sehr hilfreich ist auch, dass es Budgets für Heimatflüge, Sprachkurse, Weiterbildungsmöglichkeiten für die begleitenden Partner gibt und für vieles mehr.
Auch die Rückkehr ist bestens geregelt, so dass die Wiedereingliederung ins Unternehmen reibungslos abläuft. Tatsächlich ist die Reintegration sogar beim Vorstand angesiedelt, was deutlich macht, wie ernst das Unternehmen seine Entsandten nimmt. Zu meinen Kollegen habe ich regelmäßig Kontakt, weil ich alle zwei Monate in der Hamburg-Niederlassung bin, um an den Management-Meetings teilzunehmen.

EXPAT NEWS: Gab es Startschwierigkeiten im Alltag, die Sie und Ihre Familie meistern mussten? Die meisten Expats und fast immer deren Angehörigen erleiden nach ein paar Monaten in der neuen Heimat einen Kulturschock. Wie ist es Ihnen ergangen?

Mahn: Der Kulturschock ist ausgeblieben, da hat sicherlich auch die interkulturelle Vorbereitung gut entgegenge- wirkt. Als anstrengend haben wir in erster Linie die Erledigung der Formalitäten empfunden. In den USA geht es sehr, sehr bürokratisch zu. Beispielsweise ist man ohne die Social Security Number geradezu aufgeschmissen. So viele organisatorische Dinge wie die Eröffnung eines Bankkontos, der Mietvertrag oder einen amerikanischen Führerschein beantragen zu können, sind von der Exis-tenz dieser Nummer abhängig. Ad- ministrative Handlungen wie Wohnort anmelden, Führerschein machen, Telefonanschluss organisieren müssen innerhalb weniger Monate erledigt wer- den, während man daheim so etwas nach und nach und je nach Lebensabschnitt oder -situation gemacht hat. Es ist alles sehr geballt.

EXPAT NEWS: Inwieweit bemerken Sie interkulturelle Unterschiede sowohl im Berufs- als auch im Privatleben?

Charlotte barcodeMahn: Mir ist aufgefallen, dass die Südstaatler unangenehmen Situationen sowohl im Berufs- als auch Privatleben nach Möglichkeit aus dem Weg gehen. Offene Kritik oder ein klares Nein hört man nicht oft. Auch das Klischee der  Unverbindlichkeit trifft in Ansätzen zu. Allerdings kann ich dies nicht von meinen amerikanischen Kollegen behaupten. Von ihnen bin ich sehr herzlich und mit offenen Armen empfangen worden. Von Unverbindlichkeit ist bei ihnen nichts zu spüren. Das Arbeitsklima empfinde ich als sehr kollegial und angenehm. Im Gegensatz zu dem, was von amerikanischen Unternehmen oft behauptet wird, spüre ich in der Tochtergesellschaft von tesa, bei der ich arbeite, auch absolut keine Hire-and-Fire-Mentalität. Im Gegenteil: Viele Mitarbeiter sind seit etlichen Jahren beim Unternehmen beschäftigt und fühlen sich mit tesa eng verbunden.

EXPAT NEWS: Was empfinden die Amerikaner in Ihrer Umgebung an Ihnen als typisch deutsch?

Mahn: Ich habe mal das Feedback bekommen, dass ich oft streng wirke und sehr zielorientiert bin. Das letzte halbe Jahr in den USA hat mich und auch meine Frau allerdings verändert.

EXPAT NEWS: Inwiefern?

Mahn: Wir sind irgendwie offener und spontaner geworden. Früher hatten wir mal so eine Art Zehnjahresplan für unser Leben. Durch den bisherigen Auslandsaufenthalt gehen wir vieles gelassener an, einfach weil wir gelernt haben, dass die Dinge nicht nur sprichwörtlich anders kommen als man denkt, sondern es tatsächlich so ist. Bei mir habe ich zu- dem eine größere Toleranz festgestellt. Ich bilde mir nicht sofort eine Meinung und muss auch nicht zu jedem Thema eine haben. Früher habe ich sehr oft in schwarz-weiß gedacht, jetzt sehe ich viele verschiedene Farbnuancen.

EXPAT NEWS: Fällt Integration leichter, wenn man mit der Familie ins Ausland geht?

Mahn: Ich glaube schon. Das geht los bei der Nachbarschaft. Man lernt leichter andere Paare mit Kindern kennen, wenn man selbst welche hat. Für das eigene Kind ist das Einleben auch wesentlich einfacher, wenn da Spielkameraden im gleichen Alter sind. Hinzu kommt, dass das amerikanische Schulwesen die Eltern sehr stark einbindet, etwa durch unzählige Veranstaltungen und Feiern. Auf diese Weise bekommt man viel von den Menschen, Ihrer Kultur und Ihrer Art zu leben mit. Den Umzug nach North Carolina haben wir so geplant, dass unser Sohn auch dort eingeschult wird. Das waren im Übrigen die einzigen Zweifel, die uns geplagt haben. Dass es unserem Kind nicht gefallen würde beziehungsweise dass er Schwierigkeiten, sich einzuleben haben könnte. Unsere Sorgen waren allerdings unbegründet, unser Sohn fühlt sich so wohl, dass er Deutschland schon nach zwei Wochen vergessen hatte. Auch das ist eine weitere besondere Facette: das Land aus den Augen des eigenen Kindes zu sehen.

EXPAT NEWS: Was aus Ihrer Heimat fehlt Ihnen in den USA besonders?

Mahn: Oh, so vieles. Ganz besonders natürlich Freunde und Familie. Es ist schon hart, wenn man ihnen beispielsweise in schwierigen Situationen nicht zur Seite stehen kann, weil die Heimat nicht mal eben »um die Ecke« ist. Aber dessen waren wir uns vor unserer Reise bewusst. Dann fehlt mir deutsches Essen – das Brot, die Wurst, der Käse und vieles mehr. Das amerikanische Junk Food macht mir schon zu schaffen. Für gutes Essen muss man hier leider viel Geld ausgeben, weit mehr als in Deutschland. Und Fußball vermisse ich sehr. Er ist in den USA einfach keine populäre Sportart. In Hamburg bin ich sehr oft mit Freunden an einem Samstag zum Fußball gegangen, hier ist es dann Baseball oder Football. Letztendlich sind das aber auch keine existenziellen Dinge.

Foto: © marmaro – Fotolia.com