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„Lieber China als Süddeutschland“

Wie man als Expat in China beruflich und privat glücklich wird, welcher Führungsstil in Shanghai ratsam ist und warum viele Expat-Ehen zerbrechen, darüber sprach Expat News mit Diplom-Ingenieur Herbert Martin.

Expat News:  Sie waren zwei Jahre für ein Unternehmen der Automobilbranche in China tätig. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Martin: Die Vorbereitung bestand im We- sentlichen in diversen Dienstreisen, die ich seit 1998 regelmäßig in die Volksrepublik unternommen hatte. Die erste war wie ein Sprung ins kalte Wasser. Montag kam ich aus dem Urlaub zurück und mein Chef fragte mich, ob ich Mittwoch nach China reisen könne. Weil ich so schnell kein Visum bekam, hat es dann doch noch eine Woche gedauert, bis ich die Reise antreten konnte.

Expat News: Wo ging es 1998 hin?

Martin: Tatsächlich in die Provinz in der Nähe von Qingdao. Aber das störte mich nicht, denn ich kann mich auch an einen einfacheren Lebensstandard schnell anpassen. Anderthalb Jahre meiner Zeit als Expat verbrachte ich allerdings in der Metropole Shanghai und ein weiteres dreiviertel Jahr an der nordkoreanischen Grenze in Linjiang. Dienstreisen führten mich in viele Wirt- schaftszentren wie Hongkong, Beijing, Cunming, Chanchun und Qingdao so-wie ins benachbarte Ausland.

Expat News: Wie waren Ihre ersten kulturellen Erfahrungen mit Chinesen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie von Ihrem Arbeitgeber weder interkulturell noch landesspezifisch vorbereitet wurden?

Martin: Ich bin recht schnell mit den Menschen warm geworden, alle haben mich sehr freundlich empfangen und nachdem ich mich auch privat öffnete, entstand Vertrauen bei den Chinesen. Insofern habe ich von Anfang an sehr gute Erfahrungen mit den Leuten gemacht – sowohl auf dienstlicher als auch auf privater Ebene.

Expat News: Viele Europäer verzweifeln mitunter an der chinesischen Mentalität und der Art zu kommunizieren. Viele Entsendeprojekte scheitern aufgrund interkultureller Differenzen. Was haben Sie im Unterschied zu vielen anderen richtig gemacht?

Martin: Entscheidend war sicherlich, dass ich vorurteilsfrei und neugierig in das Land gegangen bin. Außerdem wurde mir schnell klar: Wer als Ausländer in China geschäftlich etwas erreichen will, muss sich von der Vorstellung lösen, etwas bestimmen zu können. Meine Erfahrungen und die Intuition haben mir gesagt, dass ich unter keinen Umständen jemandem meine Meinung überstülpen darf. Ich muss die Partner und Mitarbeiter vor Ort von einer Idee, einem Vorhaben überzeugen, wenn ich langfristige Projekte realisieren will. Viele deutsche Manager haben das nicht verstanden und es mit einem äußerst autoritären Führungsstil versucht. Das mag für kurzfristige Ziele funktionieren, aber bei entscheidenden Aufgaben nicht. Und die Arroganz des Westens ist in China schlicht fehl am Platz.

Expat News: Wie meinen Sie das?

Martin: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein Unternehmer, der eine Niederlassung in Qingdao aufbauen wollte, sagte mal zu mir: »Den Chinesen muß man nur ordentlich zwischen die Hörner hauen, dann laufen die auch.« Das schien scheinbar zu funktionieren, denn die lokalen Mitarbeiter gehorchten diesem Manager. Doch mit der Zeit kristallisierte sich heraus, dass dessen Anweisungen nicht zielführend vom Team umgesetzt wurden. Sein Projekt scheiterte schließlich kläglich. Bei überheblichen Unternehmern »revangieren« sich die Chinesen auf ihre ureigene Art. Sie lassen einen einfach lächelnd ins Leere laufen. Doch westliche Expatriates und Führungskräfte unterschätzen regelmäßig die Kompetenz und auch kollektive Intelligenz der chinesischen Menschen. Man kann über China schimpfen, so viel man will. Aber eines ist sicher: Die Regierung schafft es, rund 1,5 Milliarden Menschen so zu lenken, dass sich der Lebensstandard in den letzten 20 Jahren für alle verbessert hat und das Land nun auf dem Weg zur größten und einflussreichsten Volkswirtschaft der Welt ist.

Expat News: Welchen Führungsstil empfehlen Sie?

Martin: Zum einen sollten Expats in China einen Verbindungsmann oder noch besser eine Verbindungsfrau finden und diese vom Projekt überzeugen. Ganz wichtig ist vor allem, dass Sie deren Vertrauen gewinnen. Im täglichen Miteinander hilft der Versuch, etwas empathisch zu sein. Man sollte sich einfach mal in die Menschen hineinversetzen und sein eigenes Handeln hinterfragen. Möglicherweise hat mir dabei  meine eigene Biografie als »gelernter« DDR-Bürger geholfen, die Menschen besser zu verstehen. Das Gefühl der »Kolonialisierung« haben wir ja selbst erlebt. Deswegen wollte ich genau so nicht mit den Mitarbeitern umgehen.
Ein weiterer Vorteil für mich war die Ähnlichkeit des sozialen Gefüges mit jenem, das ich bis 1990 erlebt hatte. Familie und »Arbeitskollektiv« hatten da einen viel höheren Stellenwert als heute. Deswegen verstehe ich die chinesischen Kollegen und ihre Bedürfnisse möglicherweise besser als manch anderer Expat. Grundsätzlich empfehle ich je- dem, das chinesische Volk nicht zu unterschätzen. Ein chinesischer Kollege hat mir mal zum Thema Entwicklungstempo des Landes gesagt: »Einige Probleme kann man schnell und andere nur langfristig lösen – und wenn es tausend Jahre dauert!«

Expat News: Ihr Rat an Expats, die sowohl beruflich als auch privat während Ihrer Entsendung nach China erfolgreich sein wollen?

Martin: Ganz wichtig ist Offenheit. Und versuchen Sie, wenigstens die Grundlagen des Systems der Sprache zu lernen. Damit gewinnen Sie immer Herzen. Wenn ich beispielsweise in ein Restaurant ging und die Speisekarte nicht auf englisch verfügbar war, habe ich meine »Überlebensliste« rausgeholt, auf der einige Standard-Gerichte auf Chinesisch notiert waren und habe auf eines gedeutet. Sie glauben gar nicht, wie sehr sich die Bedienung gefreut hat. Sie wissen ja, wie schlimm der Gesichtsverlust für Asiaten ist. Aber die wenigsten sprechen nun mal Englisch. Ein weiterer Tipp: Versuchen Sie, möglichst in einer gemischten Wohngegend ein Apartment zu beziehen und nicht in der Expat-Community. Wenn Sie außerdem das Land kennenlernen wollen, legen Sie unbedingt die chinesische Führerscheinprüfung ab. Mit dem Auto die Gegend zu erkunden ist phantastisch – auch wenn nicht immer alle Straßenschilder zweisprachig sind.

Expat News: Und Ihre Tipps für beruflichen Erfolg?

Martin: Insbesondere bei Expats ist der untrennbar mit dem Privatleben verbunden. Meine Erfahrung und die Beobachtung meiner ebenfalls entsandten Kolle- gen hat mich Folgendes gelehrt: Wenn Sie kleine Kinder haben, gehen Sie nicht nach China oder in ein anderes sehr weit entferntes Land! Für die Familie ist es sehr belastend und mitunter fühlt sich die Frau in der Fremde von ihrem Mann, der auch stark gefordert wird, allein gelassen. Falls Sie nicht viel länger als zwei Jahre entsandt werden, Ihre Kinder schon selbstständig sind und Ihre Frau berufstätig ist, mag es klüger sein, ohne die Familie wegzugehen und stattdessen regelmäßige Besuche – alle sechs bis acht Wochen sind sinnvoll – zu vereinbaren. So habe ich es jedenfalls getan.

Expat News: Warum?

Martin: Meine Frau hätte ihren Job aufgeben und ein Dasein als Expat-Hausfrau fristen müssen. Dann bietet China noch nicht den gleichen Komfort und vergleichbare hygienische Bedingungen wie hierzulande. Viele Europäer unterschätzen das. Es fehlen Familie, Freunde, generell soziale Kontakte, Sie sprechen die Sprache nicht und haben möglicherweise Sorge, dass der Partner untreu ist – eine Menge Frustrationspotenzial. Wenn sich die Expat-Partner – in den meisten Fällen sind es nun mal Frauen – innerhalb der Community dann regelmäßig ihr Leid klagen, wächst der Frust und parallel dazu der Druck auf den Entsandten. Ich habe Partnerschaften zerbrechen und Entsendungen vorzeitig beenden sehen, weil die Familie auf einer Rückkehr bestand. Auch für das entsendende Unternehmen ist das katastrophal.

Meine Familie und ich haben uns stattdessen alle sechs bis acht  Wochen gesehen und den Aufenthalt in China für Urlaubreisen genutzt. Mit meinem Arbeitgeber hatte ich zuvor die Anzahl der Heimat- und Besucherflüge ausgehandelt. Und grundsätzlich sollte eine Ehe oder Partnerschaft vor dem Schritt in die Ferne stabil sein. Und ein letzter Rat: Wer den Auslandsaufenthalt nur als einen Schritt auf der Karriereleiter betrachtet und sich versetzen lässt, um mehr Geld oder Gratifikationen zu erhalten, ist ohnehin eine Fehlbesetzung.

Expat News: Was haben Sie am meisten aus ihrem Auslandsaufenthalt für sich persönlich mitgenommen?

Martin: Ganz klar meine große Liebe zu China. Meine ganze Familie liebt das Land inzwischen. Ansonsten hat sich meine geopolitische Sicht auf China und Europa vollkommen geändert. Ich weiß nicht, ob wir im Westen tatsächlich das überlegene Wirtschaftssystem haben. Die Chinesen haben zwar ihre Planwirtschaft, aber im Unterschied zu den gescheiterten Sozialismusprojekten haben sie gelernt, sich den Realitäten anzupassen. Sie arbeiten im Grunde nach dem try-and-error-Prinzip. Pläne von nationalem Charakter etwa werden zunächst im Kleinen getestet, bevor sie auf das gesamte Land Auswirkung haben können. Was im Kleinen nicht funktioniert, wird auf das Große auch nicht angewandt. Hinzu kommt eine Gelassenheit, die ich mir zum Vorbild genommen habe und die uns Deutschen vielleicht generell gut tun würde. Unser Perfektionismus ist gut, braucht aber möglicherweise etwas mehr Geduld.

Expat News: Würden Sie wieder beruflich nach China gehen?

Martin: Ich denke ja. Nach China jedenfalls lieber als nach Süddeutschland – rein aus logistischen Gründen.

Expat News: Wieso das?

Martin: Bevor ich nach China ging, stand ich tatsächlich vor dieser Wahl und habe mich gegen einen Job in Süddeutschland entschieden. Russland würde mich auch noch reizen. Wenigs-tens hätte ich es dort sprachlich leichter, denn Russisch habe ich ja auch mal  in der Schule gelernt.