„Israel hat mich aufs Leben vorbereitet.“
Hendrik Hoscheid ging als 19-Jähriger nach Israel, um dort für mehr als ein Jahr gemeinnützig zu arbeiten. Wie diese Zeit seine Persönlichkeit gebildet hat und wie er mit jüdischen Holocaustüberlebenden umging, erzählt er im Interview.
EXPAT NEWS: Sie haben Ihren Zivildienst in einem christlichen Gemeindehaus nahe der Stadt Nahariya im Norden von Israel absolviert. Warum haben Sie sich für diese ungewöhnliche Austauscherfahrung entschieden?
Hoscheid: Mein Großvater hat Zeit seines Lebens viele Israelreisen gemacht und oft davon berichtet. Seine Erzählungen von diesem Land haben mich neugierig gemacht. Ich bin christlich-evangelisch erzogen worden und deshalb war es mir wichtig, meinen Zivildienst in einer Organisation zu machen, der ich auch ideologisch nahestehe. Außerdem hat mich schon immer die deutsch-jüdische Geschichte interessiert. Bereits in der Schule habe ich mich viel damit beschäftigt und auch einige Konzentrationslager – zum Beispiel in Auschwitz und Buchenwald – besucht. Ich war gespannt da-rauf, das israelische Volk kennenzulernen. Und da ich insgesamt 13 Monate in Israel lebte, hatte ich auch die Chance, die jüdischen Feste und Traditionen kennenzulernen.
EXPAT NEWS: Was haben Sie während dieses Zivildienstes gemacht?
Hoscheid: Ich habe Hausmeistertätigkeiten durchgeführt, also den Garten und die Außenanlage gepflegt, Reparaturen im Haus und auf dem Dach vorgenommen und mich um alles Technische gekümmert. Das Gemeindehaus beherbergt Israelis, die sich beispielsweise keinen Urlaub leisten können oder in Krisengebieten wie dem Gazastreifen leben und einfach mal auftanken müssen. Viele von ihnen sind Holocaustüberlebende. Die Organisation heißt Zedakah und finanziert sich ausschließlich aus Spendengeldern. Als Zivildienstleistender bekam ich ein kleines Taschengeld sowie freie Kost und Logis.
EXPAT NEWS: Wie haben Sie sich auf den Auslandsaufenthalt vorbereitet?
Hoscheid: Zum einen durch viele Gespräche mit meinem Großvater, der mir viel über die jüdische Kultur vermittelt hat und zum anderen durch einen zweimonatigen Vorbereitungskurs im Stammhaus der Organisation in Baden-Württemberg. Dort war ich mit anderen deutschen Jugendlichen gewissermaßen zum Probearbeiten vor Ort. Dieser Aufenthalt war auch eine Art Testphase, während der wir dahingehend beobachtet wurden, ob wir wirklich für diesen ehrenamtlichen Auslandseinsatz geeignet sind. Natürlich wollen die Organisationen keine Spendengelder verschwenden und schauen, ob die Kandidaten offen für andere Kulturen sind. Es ist niemandem geholfen, wenn jemand nach kurzer Zeit im Ausland das Handtuch wirft.
EXPAT NEWS: Was waren Ihre ersten Eindrücke in Israel?
Hoscheid: Als ich im Winter am Flughafen in Tel Aviv ankam, war es noch sehr warm, da habe ich schon gemerkt, dass ich jetzt „woanders“ bin. Glücklicherweise war ich nicht allein, sondern reiste in einer Gruppe von vier Leuten, die ich bereits in der Vorbereitungsphase kennengelernt hatte. Wir traten dann gemeinsam die Reise vom Flughafen zum Gemeinde- haus an. Ich war von Anfang an total happy, in Israel zu sein und bin stets sehr nett aufgenommen worden. Im Gemeindehaus habe ich mich superschnell integriert, was insofern einfach war, als dass die Strukturen sehr familiär sind. Alle haben sich gegenseitig geholfen und es herrschte nie Gleichgültigkeit, somit sind auch schnell Freundschaften entstanden.
„Für viele Israelis ist das Deutsche noch heute angstbesetzt“
EXPAT NEWS: Haben Sie auch schnell Kontakt zu den israelischen Gästen aufgenommen?
Hoscheid: Ja, darum habe ich mich sehr bemüht, wenngleich das nicht immer von Beginn an so leicht war. Unter den Gästen waren ja viele Holocaust-Überlebende, die beispielsweise im Warschauer Ghetto gelebt haben und die Konzentrationslager überlebten. Für die war der Kontakt zu den deutschen Helfern zunächst nicht gerade ungezwungen. Für viele ist das Deutsche noch heute angstbesetzt, auch wenn sie natürlich wissen, dass wir jungen Leute nichts für die Vergangenheit unserer Vorfahren können.
EXPAT NEWS: Wie sind Sie damit umgegangen?
Hoscheid: Ich habe versucht, mich intensiv mit diesen Gästen zu unterhalten. Beispielsweise haben wir über den christlichen Glauben gesprochen, denn viele der jüdischen Überlebenden sagten, Gott sei mit den Juden im KZ gestorben. Es war schön zu sehen, wie sie nach fünf bis sechs Tagen auftauten und Freude an den Gesprächen hatten und teilweise auch zu ihrem Glauben zurückfanden. Am Abreisetag fiel es ihnen immer sehr schwer, zu gehen. Das war schon eine schöne Bestätigung.
EXPAT NEWS: Was ist aus Sicht der Israelis „typisch deutsch“ an Ihnen?
Hoscheid: Eigentlich haben wir Deutschen versucht, möglichst nicht typisch Deutsch auszusehen und uns so zu verhalten. Beispielsweise haben wir uns seltener rasiert und nach sechs Monaten gingen wir schon fast als Israelis durch. Allerdings fielen wir dann doch regelmäßig durch unsere Pünktlichkeit auf. Wenn beispielsweise eine Theatervorführung um 20:15 Uhr losgehen sollte, saßen wir punkt viertel nach Acht im Theater, während die Einheimischen erst eine halbe Stunde später eintrudelten, so dass das Programm schließlich um 21 Uhr begann.
EXPAT NEWS: Was haben Sie für sich persönlich aus dieser Auslandserfahrung mitgenommen?
Hoscheid: Ich bin noch offener geworden und glaube, dass ich inzwischen sehr gut mit anderen Kulturen umgehen kann. Vieles, was wohl auch als typisch Deutsch gilt, habe ich hinter mir gelassen. Ich bewerte und analysiere nicht mehr so schnell, sondern lasse Situationen erst mal auf mich wirken. Anstatt zu be- oder verurteilen, sage ich mir häufiger „Das ist dann so“. Für mich hat der Aufenthalt auch dazu beigetragen, erwachsen zu werden und zu wissen, dass ich auf eigenen Beinen stehen kann. Israel hat mich aufs Leben vorbereitet. Ich weiß jetzt, dass ich auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren kann. Diese insgesamt 13 Monate waren die bisher schönste Zeit meines Lebens.
EXPAT NEWS: Israel gilt aufgrund des Konflikts mit Palästina als ein Land mit hohem Krisenpotenzial. Wie haben Sie das empfunden?
Hoscheid: Es gab sicherlich unschöne Situationen. So sind wir als Gruppe einmal in einer von islamistischen Arabern bewohnten Stadt von ein paar Leuten beschimpft und mit Steinen beworfen worden. Und in Jerusalem sieht man manchmal in einer engen Gasse einen verlassenen Rucksack stehen und in Windeseile wird das gesamte Gebiet abgesperrt, weil sich in dem Rucksack eine Bombe befinden könnte. Trotzdem habe ich mich sehr sicher gefühlt. Das liegt zum Teil auch daran, dass öffentliche Plätze und Transportmittel wie Bus und Bahn viel stärker bewacht werden als dies etwa in Deutschland der Fall ist.
EXPAT NEWS: Haben Sie auch Weihnachten in Israel verbracht? Wenn ja, wie wurde dort gefeiert?
Hoscheid: Das Weihnachtsfest unterschied sich gar nicht so sehr von dem zu Hause – abgesehen davon, dass es wärmer war als in Deutschland. An Heiligabend haben wir den Weihnachtsgottesdienst besucht und an den ersten beiden Weihnachtsfeiertagen Ausflüge unternommen. Es gibt natürlich keine klassischen Weihnachtsmärkte in Israel und auch die Dekoration fällt nicht ganz so üppig aus. Dennoch ist die Weihnachtszeit eine sehr schöne Phase, weil das Klima angenehmer als in den restlichen Monaten des Jahres ist.
EXPAT NEWS: Was machen Sie zurzeit?
Hoscheid: Ich mache eine Ausbildung zum Hotelkaufmann. Ich bin ein sehr offener Mensch und deshalb wollte ich gerne einen Beruf ergreifen, in dem ich neue Menschen kennenlerne. Nach der Ausbildung werde ich zunächst auf einem Kreuzfahrtschiff der AIDA Gruppe arbeiten und dann kann ich mir durchaus vorstellen, beispielsweise für die Leonardo-Hotelkette nach Israel zu gehen.
Fotos: Hendrik Hoscheid