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Nicola Busch (Foto: O. Roesenthal)

„Geht raus! Diese Jahre im Ausland sind so reich gewesen, guckt, was die Welt euch bietet.“

Die Lüneburger Produkt- und Schmuckdesignerin Nicola Busch ging in den 90er Jahren nach Guatemala, um dort Handwerksbetrieben bei der Herstellung von Designprodukten zu unterstützen. Um die Jahrtausendwende arbeitete sie zwei Jahre in Indien. Was diese Auslandsjahre sie gelehrt haben, erzählt sie im Interview.

Expat News: Du bist 1996 für mehrere Jahre nach Guatemala gegangen – in jener Zeit ein eher unübliches Reiseziel. Was hatte dich nach Mittelamerika verschlagen?

Nicola: Tatsächlich der Liebeskummer einer Freundin von mir aus Lüneburger Kindheitstagen. Diese hatte Wirtschaftsgeografie studiert und eine Projektstelle in Guatemala angenommen. Damals war gerade der Bürgerkrieg beendet worden und es wurde viel Aufbauarbeit geleistet. Meine Freundin hatte sich von ihrem Partner getrennt und ich wollte für sie da sein. Ich war schon immer sehr spontan und abenteuerlustig und fand es spannend, ein mir völlig unbekanntes Land zu erschließen.

Busbahnhof im Hochland von Guatemala. Neben dem Pick-up das häufigste Transportmittel. © Nicola Busch

Expat News: Wie hat deine Familie reagiert? In den 90-er Jahren war es schwierig, über den Atlantik Kontakt zu halten und Abenteuer-Trips wie deiner galten insbesondere für alleinreisende Frauen als sehr ungewöhnlich.

Nicola: Meine Eltern haben mich nie zurückgehalten und immer in allem unterstützt. Sie haben selbst viel Auslandserfahrung gesammelt. Mein Großvater beispielsweise hatte als Missionar in Hongkong gelebt, später während des Krieges in Rom. Meine Eltern lebten und arbeiteten viele Jahre in der Schweiz.

Mein Vater hatte Landwirtschaftsgärtner gelernt – er kam ursprünglich aus Ostpreußen – und war in diesem Beruf sieben Jahre in der Schweiz tätig, wo er sich einen Namen gemacht hatte. Dort lernte er auch meine Mutter kennen, die bei der Familie von Hans Jacoby als AuPair-Mädchen arbeitete und lebte. Jacoby war ein Drehbuchautor, der zwischen 1957 und 1961 Drehbücher unter anderem für Hans-Rühmann-Filme verfasste.

Aufgrund ihrer eigenen Biografie hatten meine Eltern viel Verständnis für meinen Wunsch, ins Ausland zu gehen.

Allerdings war der erste Satz, den mein Vater sagte: „Haben die denn nix in der Schweiz für dich?“

„Was ich liebte, war diese wahnsinnige Lebensfreude der Menschen.“

Expat News: Wie hast du deine ersten Wochen in Guatemala empfunden? Wie erging es dir zu Beginn?

Nicola: Es war berauschend! Natürlich war alles sehr exotisch, aber es lag auch der Geist des Neuanfangs und Aufbaus in der Luft. Meine Freundin und ich haben die historisch bedeutende Unterzeichnung der Friedensparteien im Hotel Camino Real in der Hauptstadt Guatemala City mit angesehen – dort gab es einen Fernseher!-, und waren neugierig auf den politischen Neuanfang.

Guatemala hat eine uralte Kultur der Mayas, es ist aber bezogen auf die Fläche nur so groß wie Süddeutschland. Interessant ist auch, dass dort viele Eingewanderte aus Europa und Amerika leben.

Zunächst einmal war ich überglücklich und hatte eine wundervolle Zeit. Was ich liebte, war diese wahnsinnige Lebensfreude der Menschen. Und ich hatte ja meine Freundin an meiner Seite, wegen der ich ursprünglich in das Land gekommen war.

Guatemala, Lokale Blumen auf einem Tisch und Stühlen- Ergebnis eines Zeichenkurses im Hochland in die Praxis umgesetzt, Cooperativa Naualá, Totonicapán © Nicola Busch

Guatemala, Teilnehmer eines Zeichenkurses im Hochland, Tischlerei Cooperativa Naualá, Totoni © Nicola Busch

Expat News: Das Land galt noch als recht gefährlich. Wie hast du das wahrgenommen?

Nicola: Ich habe schon ein großes Spannungsfeld gespürt und erlebt, dass die Gewaltbereitschaft auch nach dem Ende des Bürgerkriegs ein ständiger Bestandteil des täglichen Lebens war. Vor allem ehemalige Militärangehörige waren kriminalisiert, da sie durch die Entlassung aus dem Militärdienst plötzlich arbeitslos wurden und keine weiteren Erwerbstätigkeiten hatten. Mir persönlich ist aber nie etwas passiert, glücklicherweise bekam ich immer Hilfe, wenn ich sie benötigte. Ich reiste mit einem 30 Jahre alten Golf namens „Golfito“ durchs Land zu den unterschiedlichsten Betrieben und genoss es sehr. Durch die Arbeit vor Ort und den Kontakt zu Guatemalteken war mir aber auch immer bewusst, welche Wege und Stadtbezirke ich besser meiden sollte oder wie ich mich in Konfliktsituationen zu verhalten hatte. Förderlich kommt hinzu, dass die Europäerinnen in der Regel körperlich länger sind als die Guatemalteken. Das kann im Notfall wichtig sein.

Ich lernte zum Glück schnell, wie das Machtgefüge in diesem Land funktionierte. So habe ich auch gelernt, mit potenziellen Gefahren umzugehen, etwa, wenn jemand mit einer Waffe in die Kneipe kommt. Da sollte man übrigens schnell beide Beine in die Hand nehmen und raus laufen.

Als Frau wird man leichter in der Gemeinschaft der Frauen aufgenommen und hat dadurch einen gewissen Schutz. Hier ist eine Verbindung zu spüren, auf die man aufbauen kann. Durch die technischen Leistungen der deutschen Einwanderer herrschte auch eine sehr positive Stimmung mir gegenüber, natürlich verbunden mit einer Erwartungshaltung.

Guatemala, Frauen unter sich in der traditionellen Tracht © Nicola Busch

Expat News: Du hast dann mehrere Jahre in Guatemala gearbeitet. Was hast du gemacht und welche beruflichen Voraussetzungen hattest du?

Nicola: Ich hatte eine Ausbildung als Goldschmiedin und habe in Schwäbisch-Gmünd die Fachrichtung Schmuck und in Düsseldorf Produktdesign studiert und mit einem Diplom beendet. Ich hatte also gelernt, mit verschiedensten Materialien Produkte zu entwickeln und herzustellen. In Guatemala bot sich mir die Gelegenheit, drei Monate für die Cooperative ARTEXCO R.L. zu arbeiten, wo ich unter anderem mit Naturfasern neue Produktideen entwickeln sollte. Einer der Betriebe der Cooperative stellte aus Palmstroh Hüte her. Ein mir bekanntes Betätigungsfeld, da ich während des Studiums selbst Hüte entworfen und hergestellt hatte.

Die ARTEXO R.L. ist eine Kooperative (Zusammenschluss von Unternehmen) und für die Entwicklung von Handwerksaktivitäten im Hochland von Guatemala zuständig. Ziel ist es, die wirtschaftliche Entwicklung durch den Handel mit den unterschiedlichen Produkten der zusammengeschlossenen Betriebe zu fördern.

Guatemala, Qiché, Frauen flechten gebleichtes Palmstroh zu Bändern, die dann zu Hüten genäht werden.

Dazu zählt der gemeinsame Einkauf von Materialien genauso wie die Vermarktung der Produkte auf internationalen Messen. Ich besuchte ausgewählte Betriebe für Tuch- und Teppich Weberei, Lederbearbeitung, Glasbläserei, Naturfasern (Palmstroh und Weidenwurzeln) und informierte mich über die existierende Produktpalette, die technischen Rahmenbedingungen und die Zielgruppen. Nach einer Ideenfindungsphase, Zeichnungen und kleinen Modellen es wieder zurück in die Betriebe, wo die neuen Designs realisiert wurden. In den folgenden internationalen Messen konnten so neue Produkte präsentiert werden.

Damals gab es einen Umbruch in Richtung mehr Ökologie, mehr Nutzung von Naturmaterialien.

Und die Sprache? Nach zwei Wochen Spanischkurs vor Ort ging ich mit einem Wörterbuch und einem Skizzenblock bewaffnet zur Arbeit und lernte den Rest auf der Straße.

„Hier fliegen die Kugeln tiefer, sagte mein damaliger Chef zu mir.“

Expat News: Hattest du irgendwann auch einen Kulturschock?

Nicola: Oh ja, das Erwachen, oder nennen wir es das Verständnis für Zusammenhänge, kam circa drei Monate nach Beginn meiner Tätigkeit. Der neue Leiter der Kooperative war der Meinung, dass er mich nicht bezahlen müsse, weil er mich nicht eingestellt hatte. Als ich dagegen anging, bekam ich eine Warnung: „Hier fliegen die Kugeln tiefer.“ An Stelle der Konfrontation bekam ich Unterstützung von einer kanadischen Hilfsorganisation, über die u.a. Kredite abgewickelt wurden. So bekam ich langsam auch einen Einblick in die Arbeit der internationalen Organisationen, die Guatemala  auf dem Friedensprozess begleiteten und neben politischer Arbeit auch wirtschaftliche Förderungen anboten.

Weberin in Guatemala mit dem traditionellen Gurt-Webstuhl © Nicola Busch

Ursprünglich wollte ich nur ein Jahr in Guatemala bleiben, aber dann saß ich eines Tages in einem Café und neben mir ein Mann mit einer Frankfurter Zeitung in den Händen. Das war damals sehr selten, jemanden mit einem deutschen Presseerzeugnis zu sehen. Ich fragte ihn, ob ich die Zeitung haben dürfe, wenn er sie ausgelesen hatte.

Wie der Zufall es wollte, kannte dieser Mann mich von meiner Tätigkeit bei der ARTEXCO R.L. und war bei der GTZ zuständig für den mittelständischen Industriebereich. Wir kamen ins Gespräch und überlegten, wie man dem Land helfen könne. Die GTZ war die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, heute GiZ, Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Eingebunden in das Ministeriums für Entwicklungshilfe wurde die politische, wirtschaftliche und soziale Arbeit vor Ort unterstützt und durch Projekte begleitet.

Guatemala, Cobán, Seminar mit organischen Materialien © Nicola Busch

So bekam ich das Angebot für die GTZ zu arbeiten und Schulungen im Bereich Produktdesign zu machen und Produkte mit den Betrieben und Kooperativen zu entwickeln, die anschließend auf internationalen Messen (unter anderem Deutschland, Italien, Japan, USA) präsentiert wurden. Ich war außerdem für die Fortbildungen von (Klein) Unternehmerinnen und Unternehmern zuständig und zwar in den Bereichen Design, Messegestaltung, Marketing und Controlling für diverse Produktbereiche.

Um dieses als Hilfe zur Selbsthilfe auszubauen, konnte ich materialbezogen Produkt- und Zeichenkurse geben. So entstanden in den nächsten Jahren sehr gute und nachhaltige Produkte von Uhren aus Holz über Kerzen, recyceltem Glas bis hin zu handgewebten Stoffen.

Guatemala, Cobàn, im Nebelwald sammeln Frauen die wachsummantelten Beeren des Strauches Arrajan, kochen sie und gewinnen so vegetabiles Wachs © Nicola Busch

Guatemala, Cobàn, Kerzen-Herstellung: Frauen säubern das geschmolzene Wachs © Nicola Busch

„Langsam wurde es in Guatemala wieder gefährlicher, es gab immer mehr Entführungen und Überfälle.“

Nicola in Guatemala
Guatemala, Cobàn, Das Arrajan-Wachs wird mit anderen Wachsen versehen, hier Temperatur der Schmelze. Die eigene Küche wird zum Chemielabor. © Nicola Busch

Anschließend war ich noch für viele weitere Projekte vor Ort tätig und habe auch als Gastdozentin an der Universität Rafael Landivar in Guatemala Ciudat als Gastdozentin für den Fachbereich Industriedesign gewirkt.

Ein beruflicher Höhepunkt meiner Arbeit in Zentralamerika war die Analyse des Sektors Kunsthandwerk in Guatemala und El Salvador und die Vorbereitung und Implementierung von zwei Designzentren in den Ländern in Zusammenarbeit mit Absolventen der lokalen Hochschulen für Design. Hier lief alles zusammen- Materialkunde, Kenntnis über Produktion und die Eigenheiten der Firmen, junge engagierte lokale Designer mit dem Wunsch, für ihr Land und für sich selbst Neues schaffen zu können.

Langsam wurde es in Guatemala wieder gefährlicher, es gab immer mehr Entführungen und Überfälle. Wenn dir auf der Panamerikana-Strecke zwei Minuten lang kein Auto entgegenkam, dann hast du rechts angehalten, denn hinter der Kurve hätte ein Überfall stattfinden können. Somit brach auch etwas von der Leichtigkeit weg.

„Nicaragua war bedrückend, denn das Militär und die Polizei waren noch sehr präsent.“

Nebelwald in Guatemala

Guatemala, Cobàn, im Nebelwald liegen die Anwesen der Bewohner weit verstreut auf den Hängen der Berge. Hier wird das Arrajan gesammelt. © Nicola Busch

Danach ging es für zwei Monate nach Nicaragua, damals noch eines der ärmsten Länder der Welt. Warum nur zwei Monate?

Töpfern in Nicaragua
Nicaragua, Keramik Herstellung, Entwicklung von neuen Mustern © Nicola Busch

Nicola: Dort war ich als Beraterin für Handwerksbetriebe tätig, die Keramik herstellten und in die USA und Kanada sowie nach Europa exportierten. Ich kam dort auf Einladung des Ministeriums für Export und konnte hier ebenfalls das Land bereisen und Firmen besuchen, hatte aber immer Zivilschutz dabei. Es war bedrückend, denn das Militär und die Polizei waren noch sehr präsent.

Dennoch war es eine wunderbare Zeit, weil ich dort die atemberaubend schöne Herstellung von Keramik kennenlernte und damit eine hochqualifizierte Berufsgruppe.

Nach vier Jahren flossen kaum noch Fördergelder in die ausländischen Organisationen, die Projekte im Bereich Handwerk und Design ermöglicht hatten. Und langsam bekam ich Neugierde auf unbekannte, neue Aufgaben.

Nicaragua
Nicaragua, Managua, Seminar über Entwicklung von Design mit Exporteuren, Formfindu © Nicola Busch

Expat News: Nach einem kurzen Zwischenstopp in Deutschland warst du von 1999 bis 2002 in Neu Delhi und Moradabad in Indien. Auch das bedeutete wieder einen intensiven Wechsel des Kulturkreises. Wie hast du dich auf das Leben dort eingestellt?

Nicola: In Deutschland sah ich eine Stellenanzeige für Kunsthandwerk mit Schwerpunkt Metallguss von der GtZ in Indien. Ich stellte mich vor und wurde angenommen. Ich ging beruflich nach Indien, ohne das Land zu kennen.

Es kam der nächste Schock, trotz des Vorbereitungsseminars in Bad Honnef inklusive interkulturellem Training. Ich war eingesetzt in Moradabad, dem Zentrum der Metallverarbeitung von Indien, es ist eine der weltweit größten Produktionsstätte für Metallguss im Sandgussverfahren. Hier und in Neu Delhi sollte auf Anfrage des   Exportministeriums Designzentren für Kunsthandwerk aufgebaut werden. Damit sollte erreicht werden, dass Indien konkurrenzfähiger gemacht wird.

Indien, Moradabad, Gusstechnik in den Werkstätten. Arbeitsschutz ist nicht vorhanden. © Nicola Busch

Moradabad ist ein Zentrum des internationalen Geschäfts, das Businessdenken ist sehr stark verankert in den Köpfen der Menschen bis hin zur Aggressivität. Und es war sehr schwer für mich als Frau, denn viele Männer durften mich aus religiösen Gründen nicht ansprechen. Irgendwann fanden wir eine Kompromisslösung. Die Exporteure und Hersteller wussten, dass sie mich als Frau mit dem Fachwissen brauchten. Sie waren also gezwungen, mit mir zu kommunizieren. Schließlich sprachen Sie mich als „MadamSir“ an, das erlaubte es ihnen, mit mir zu reden.

Expat News: Die besondere Herausforderung war also, sich als Frau in dem eher männlich geprägten Umfeld zu behaupten?

Nicola: Ja, das war nicht leicht. Ich habe junge indische Design-Studenten kennengelernt, die mir halfen, kulturell Fuß zu fassen. Insgesamt wurde ich in dem Kreis sehr herzlich und beschützend aufgenommen.

Als alleinlebende Europäerin brauchte ich allerdings eine Geschichte. Also erzählte ich, dass ich verheiratet sei und mein Mann mich regelmäßig besuchte – sonst wäre ich Freiwild gewesen.

Handwerksprodukte in Indien

Indien, Leh, Ladakh. Wir können alles! © Nicola Busch

Wenn ich mit Vertretern des Ministeriums zusammenarbeitete, war ich „bigboss“, denn ich wurde als ein Tor zum europäischen Markt angesehen. Europa war damals schon ein wichtiger Absatzmarkt und Indien galt als Schwellenland.

Parallel zur Geschäftswelt hatte ich Kontakte und sogar Freundschaften in der Politik gefunden– von meinen Nachbarn bis hin zu dem District Magestrate von Moradabad, dessen Familie sehr weltoffen war.

„Indien ist ein Land der Extreme, aber du kannst es nicht ändern, du musst es hinnehmen und kannst nur einen kleinen Beitrag leisten.“

Trotz vieler sehr interessanter Erfahrungen hatte ich nach zwei Jahren beschlossen, das Land zu verlassen . In Indien wurde das Kopieren als Design angesehen –auch wenn es  letztlich nur Mainstream war. Die Geschäftstüchtigkeit der Inder ist enorm, sie sind bereit, große persönliche Opfer zu geben, um geschäftlich erfolgreich zu sein.

New Delhi, Büro des NCDPD (National Centre of Product Development, nun: National design Centre) © Nicola Busch

Nach den vielen Jahren in der internationalen Geschäfts- und Designwelt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass diese Kräfte- und Ressourcen zehrende Arbeit nun anders ausgerichtet werden muss.

Ich hatte eine extreme Anspruchshaltung an mich, um bei Design- und Produktionsprozessen zu helfen. In den Ländern konnte ich jedoch nicht einfach nur Gast sein. Es war damals kein Urlaub, es war das Leben- und ich fand, das ich mir mehr wert bin.

Indien ist ein Land der Extreme, aber du kannst es nicht ändern, du musst es hinnehmen und kannst nur einen kleinen Beitrag leisten.

Holi in Indien

Indien, Moradabad, wir feiern das Fest „Holi“ mit Farben © Nicola Busch

Expat News: Nach deiner Rückkehr warst du als Lehrerin für Gestaltung und Produktdesign in Stuttgart tätig und hast dich gewissermaßen in Deutschland niedergelassen. Wie war es für dich, in Deutschland anzukommen, nachdem du viele Jahre in unterschiedlichen Ländern gelebt und gearbeitet hast?

Nicola:Es brauchte etwas Zeit, um mich zu akklimatisieren, aber ich habe die Dinge getan, die ich auch im Ausland gemacht habe. Ich konzentrierte mich voll auf meine neuen Aufgaben. Tatsächlich konnte ich fast nahtlos an meine Arbeit in Guatemala und Indien anknüpfen und von meinen Erfahrungen und Erkenntnissen profitieren. Design ist dazu da, Produkte herzustellen, die funktional und preislich attraktiv sind. Darum ging es im Kern. Und die Möglichkeit, als Lehrerin in den Fächern zu unterrichten, die ich jahrelang hauptberuflich ausgeübt hatte, war traumhaft! Und natürlich habe ich meine Schüler mit den Indern, Japanern und Amerikanern beglückt, die damals mit mir zusammen gearbeitet hatten.

Jahre später nahm ich meinen Mann mit nach Indien, um ihm zu zeigen, warum diese Zeit so prägend für mich war. Ich konnte aber gut mit Indien abschließen, bis heute habe ich noch Kontakt zu vielen Menschen von damals und beginne langsam, an eine Zusammenarbeit mit indischen Unternehmen zu denken.

„Es ist ein Geschenk des Lebens, einfach mal woanders zu sein.“

Expat News: Was sind deine wichtigsten Erkenntnisse und Lehren aus deinen Auslandsaufenthalten?

Nicola: Geht raus! Das würde ich jedem jungen Menschen empfehlen. Diese Jahre sind so reich gewesen, guckt, was die Welt euch bietet. Wer mit offenem Herzen in die Welt hinausgeht, bekommt so viel geschenkt, dass sie oder er lange davon zehren kann. Es ist ein Geschenk des Lebens, einfach mal woanders zu sein, aber nicht nur um zu reisen, auch um zu leben und zu arbeiten.

Eine weitere wichtige Erkenntnis für mich war: Arbeit verbindet! In Nicaragua saß ich mit Menschen auf der Töpferbank in der staubigen Hitze und habe gemeinsam mit ihnen gearbeitet. Wenn du mit anderen Menschen zusammen arbeitetest, bekommst du auch Kontakt in das Privatleben der Einheimischen. Man sieht Dinge, die man als Touristin nie zu Gesicht bekommen würde.

Töpferinnen in Guatemala

Guatemala, Sierra de Cuchumatanes, Gruppe von Töpferinnen, Produkte für den lokalen Markt © Nicola Busch

Ich habe während meiner Auslandszeit oft mit anderen Frauen zusammen gekocht, auch das hat verbunden. Damit kann man Brücken bauen. Und genau das habe ich adaptiert: Gastfreundschaft! Mein Haus ist offen für alle!

In beruflicher Hinsicht kann ich sagen, dass sich meine gestalterische Herangehensweise durch die Zeit im Ausland verändert hat. Ich weiß worin ich gut bin und worin nicht, und kann diese Qualitäten bewusst einsetzten. Ich kann mich in kürzester Zeit in andere Materialien und Produktionsprozesse hineindenken, weil ich mit so vielen unterschiedlichen Materialien umgehen musste. Und das alles, ohne perfekte Rahmenbedingungen, ohne Rahmenbedingungen überhaupt.

Eine weiterer beruflicher Pluspunkt ist, dass ich mein Wissen mit den Kenntnissen der Menschen vor Ort verknüpfen kann. Es geht nicht darum, mein Wissen überzustülpen, sondern gemeinsam Lösungen zum erfolgreichen Produktdesign und Handel zu erarbeiten. Ohnehin sollte man sich als fremde Person in einem Gastland lieber einen Schritt zurücknehmen.

„Als Frau ist es wichtig, sich zu vernetzen und von anderen Frauen zu lernen.“

Expat News: Du bist Soroptimistin und als solche setzt du dich für die weltweiten Rechte von Frauen und Mädchen ein. Inwiefern hat dies mit deinen Erfahrungen im Ausland zu tun?

Nicola:Einiges, ich habe vor allem das Netzwerken aus dieser Zeit mitgenommen. Als Frau ist es wichtig, sich zu vernetzen und von anderen Frauen zu lernen. Die Chancen, etwas zu bewegen, sind einer größeren Gruppe, in der so viel Unterschiedliches schlummert, deutlich größer.

Im Ausland habe ich gelernt, dass die Macht der Frauen vielerorts im Kleinen liegt. Sie waren und sind gewissermaßen Chefin im Hause. Doch mittlerweile bewegen sie auch etwas im Größeren. Die Frauen treten nach außen, behaupten sich gegen die Männerwelt, machen sich selbstständig und gründen ihre eigenen Firmen. Das hat in den letzten 20 Jahren zugenommen, beispielsweise sind in Indien Frauen im Business viel präsenter geworden. Das stimmt mich optimistisch und macht Mut.