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»Brasilianer erwarten Autorität vom Chef«

Für einen deutschen Automobilkonzern arbeitete Jan Ebersold fünf Jahre in Brasilien. Im Interview erzählt er, wie es war, Chef eines südamerikanischen Teams zu sein  und warum es ihn wieder nach Lateinamerika zieht.

EXPAT NEWS: 2005 ging es für Sie von Ingolstadt nach Sao Paulo. Was war der Anlass?

Ebersold: Ich wurde von meinem Arbeitgeber nach Brasilien entsandt, um umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen umzusetzen. Ich war vor Ort verantwortlich für den Bereich Finanzen, Rechnungswesen und Controlling. In der Praxis bedeutete dies, dass ich an sinnvoller Stelle Personal abbauen und das Händlernetz reduzieren musste. Keine leichte, aber notwendige Aufgabe.

EXPAT NEWS: Wie haben Sie sich auf den Aufenthalt vorbereitet – insbesondere auf die südamerikanische Kultur?

Ebersold: Ich hatte schon lange eine Affinität für Lateinamerika. Während meiner Stationen bei zwei deutschen Automobilkonzernen war ich bereits auf Geschäftsreisen in Argentinien beziehungsweise Mexiko gewesen. Im Mercedes-Werk in Deutschland arbeiteten außerdem viele Südamerikaner und es gab Patenschaften, die deutsche Kollegen für die Familien übernehmen konnten, um die Integration zu fördern. Auf diese Weise hatte ich bereits persönlichen Kontakt zu Brasilianern. Vor meiner Entsendung nach Sao Paulo habe ich mich in einer firmeninternen Akademie auf den Aufenthalt vorbereitet. Dazu gehörte auch eine Art interkulturelle Schulung durch eine brasilianische Mitarbeiterin, die mir wichtige Tipps im Umgang mit den Einheimischen gab.

EXPAT NEWS: Sao Paulo gilt als eines der gefährlichsten Pflaster der Welt. Was hat ihr Arbeitgeber in punkto Sicherheit für Sie getan?

Ebersold: Ich habe ein professionelles Sicherheitstraining absolviert, das vor allem der Sensibilisierung für mögliche Gefahren diente. Die Experten haben mir für den Arbeits- und Heimweg unterschiedliche Routen erstellt, so dass potenzielle Kriminelle mich nicht ohne weiteres hätten abpassen können und ich bekam einen gepanzerten Dienstwagen. Außerdem untersuchten sie vorher meine Wohnung in Sao Paulo eingehend. Diese empfand ich übrigens als viel zu groß für mich und später stellte sich heraus, dass die Gegend doch gefährlicher war, als ursprünglich angenommen. Ich zog schließlich in einen sichereren und für mich persönlich schöneren Stadtteil. Insgesamt war die Vorbereitung super.

EXPAT NEWS: Was war ihr erster Eindruck von Sao Paulo?

Ebersold: Unmittelbar nach meiner Ankunft empfand ich es als wahnsinnig chaotisch und vor allem viel zu klein für all die vielen Menschen. Außerdem regnete es, alles war grau in grau. Vom Flughafen ging es direkt ins Büro und zu allem Überfluss war Rush Hour und ich steckte erst einmal ein paar Stunden im Stau. Ich erinnere mich außerdem daran, wie hoch die Temperaturen waren und wie anders es in der Stadt roch. Mir war schnell klar: Brasilien ist ein Land der Extreme.

EXPAT NEWS: Wie haben Sie sich in der Niederlassung in Sao Paulo verständigt?

Ebersold: In den Lebensläufen der brasilianischen Mitarbeiter stand zwar, dass alle über ein verhandlungssicheres Englisch verfügen, doch in der Praxis bevorzugten sie Portugiesisch. Bei meiner Ankunft konnte ich mich zwar grundsätzlich auf Portugiesisch verständigen, aber für das Arbeitsleben hatte es noch nicht gereicht. Also nahm ich Privatunterricht und unternahm in meiner Freizeit möglichst viel mit Einheimischen. Dabei half wie so oft der Sport; über das Tennis lernte ich viele Freunde und Bekannte kennen.

EXPAT NEWS: Welche interkulturellen Herausorderungen gab es innerhalb des Arbeits-Teams?

Ebersold: Zunächst war meine Aufgabe an sich nicht so einfach, denn ich musste viele Leute entlassen. Es gab viele traurige Momente, etwa wenn ich Mitarbeitern kündigen musste, die mir auch persönlich ans Herz gewachsen waren. Eine besonders große Herausforderung war, mich in Geduld zu üben. Selbst für deutsche Verhältnisse bin ich schon sehr ungeduldig. Diese Eigenschaft kollidierte das eine oder andere Mal mit der südamerikanischen Lässigkeit.

EXPAT NEWS: Wie haben die brasilianischen Mitarbeiter auf Sie als deutschen Chef reagiert?

Ebersold: Da es sich um ein deutsches Unternehmen handelte, hatten die meisten Personen in meinem Team Erfahrung mit Vertretern unseres Landes gemacht und wussten wie »wir« ticken. Dabei haben sie sich schon sehr raffiniert gezeigt. Beispielsweise versuchten sie, mich auf der persönlichen Ebene für sich zu gewinnen. Ich bekam Einladungen zum Essen nach Hause oder zum Fußballspiel. Außerdem setzten sie ihren Charme ein, lachten viel und erwiesen gerne mal eine Gefälligkeit oder setzten kulinarische Mittel ein wie beispielsweise ein Grillabend mit viel Caipirinha. Das war schon ein großer Konflikt für mich, da es nun mal meine Aufgabe war, für die Hälfte der Mitarbeiter Entlassungen auszusprechen. Deshalb habe ich stets nach der Devise gehandelt, hart in der Sache vorzugehen, aber den Menschen gegenüber immer empathisch zu handeln.

Ohnehin erwarten die Brasilianer trotz aller Herzlichkeit eine gewisse Autorität von ihrem Chef. Der Boss soll auch entscheiden. Bemerkenswert war zudem, wie viel Kommunikation erforderlich ist. 70 Prozent der Arbeitszeit besteht aus Gesprächen und Meetings. Brasilianer wollen gerne bei allen Gesprächen dabei sein; wenn man sie nicht einlädt, fühlen sie sich schnell ausgeschlossen. Ich habe dann lieber einen »unnötigen« Mitarbeiter zu viel bei Besprechungen dabei gehabt als einen »wichtigen« zu wenig. Ähnliches gilt auch für Anweisungen: besser einmal öfter als zu wenig wiederholen.

EXPAT NEWS: Was haben Sie noch aus Ihrer Zeit in Brasilien gelernt?

Ebersold: Vor allem Flexibilität. Und eine andere Art von Kommunikation, nämlich die aus dem Kontext heraus. Lateinamerikaner sind nicht so direkt wie wir, deshalb muss man auf Gestik und Mimik achten und zwischen den Zeilen lesen. Ansonsten habe ich einen großen Kampf um meine innere Gelassenheit ausgefochten. Vor Kurzem erlebte ich wieder eine typische Situation: Ich hatte bei der Botschaft in Berlin einen Termin für mein Arbeitsvisum für meinen neuen Job in Kolumbien vereinbart. Der ist kurz vorher gecancelt worden und ich kann nun wieder alles neu organisieren.

EXPAT NEWS: Wie war Ihre Ankunft in Deutschland nach ihrem fünfjährigen Aufenthalt in Berlin?

Ebersold: Eine Sache war besonders toll: Es lief alles wie am Schnürchen! Während es eine Ewigkeit gedauert hatte, mich in Sao Paulo abzumelden, dauerte meine Registrierung beim deutschen Einwohnermeldeamt ganze fünf Minuten. Es war unglaublich! Der Abschied in Brasilien war toll, aber auch wehmütig. Innerhalb kürzester Zeit organisierten Freunde und Kollegen eine Abschiedsparty, zu der 55 Leute kamen – so viele hätte ich spontan in Deutschland nicht zusammenbekommen. Ich vermisste schnell die Geselligkeit und Spontaneität der Menschen. Hierzulande sind die Leute insbesondere was kurzfristige Verabredungen angeht ziemlich unflexibel. Doch zunächst war mir klar, dass es nicht wieder so schnell ins Ausland gehen würde.

EXPAT NEWS: Was haben Sie dann gemacht?

Ebersold: Ich habe meine eigene Firma gegründet und Unternehmen beim Markteintritt in Lateinamerika beraten. Außerdem habe ich die Zeit zur »Selbstkonsolidierung« genutzt und unter anderem mein Buch »Sao Paulo ungeschminkt« geschrieben. Während meiner Zeit dort habe ich alles an Zeitungsartikeln gesammelt, was mir spannend erschien und in einer Kiste aufbewahrt und außerdem viel fotografiert. Das war mein Material. Es hat sich im Rahmen meiner Unternehmensberatung dann die Möglichkeit ergeben, wieder in Lateinamerika zu arbeiten. Für die Firma Keuco, Marktführer in Bad-Accessoires, Armaturen, Bad-Möbeln und Spiegelschränken, gehe ich als Regionalleiter Lateinamerika nach Kolumbien. Lateinamerika wächst seit einiger Zeit stark und vor allem nachhaltig. Es entsteht eine neue Mittelschicht, die auch in Konsumdingen aufholen will. Und: Deutsche Unternehmen sind gefragt und werden geschätzt.

EXPAT NEWS: Welche Tipps geben Sie potenziellen Expats für ihren Auslandseinsatz in Südamerika?

Ebersold: Gute Vorbereitung ist schon die halbe Miete. Wenn es um Arbeitsverträge geht, rate ich dazu, einen Anwalt zu konsultieren. Bei den Südamerikanern haben schriftliche Verträge mehr Gewicht als das gesprochene Wort. Ein legales Fundament ist wichtig. Für die persönliche Entwicklung hilft es, sich mit Land und Leuten zu identifizieren. Doch dabei sollte man sich niemals verstellen, sondern immer aufrichtiges Interesse zeigen und authentisch bleiben. Grundsätzlich darf man sich auch mal über etwas aufregen.

 

 

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