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Wohnen in São Paulo

“Vagas para rapazes” – Diese oder ähnliche Anzeigen prangen an Straßenlaternen oder Strommasten. Nie hatte ich darüber nachgedacht, was diese drei Worte eigentlich bedeuten. Bislang hatte ich den kleinen Klebezetteln, die günstige Krankenversicherungen, Wohnungen oder Dienstleitungen anpreisen, wenig Beachtung geschenkt.

Ein Mitarbeiter meines Mannes, selbst auf der Suche nach einem Zimmer, setzte mich schließlich ins Bild: „`Vagas para rapazes` sind Schlafplätze in einem Zimmer, das sich mehrere Bewohner teilen. Diese Zimmer seien in der Regel mit Doppelstockbetten ausgestattet. Gemietet würden die Schlafplätze meist von Arbeitern, Berufsanfängern oder Studenten, die fernab Ihres Heimatorts studierten. Die gleiche Wohnform würde auch für Frauen angeboten, als “vagas para moças“. Ob für “rapazes” oder “moças”: Die engen Wohnräume seien stets streng nach Geschlechtern getrennt, in der Regel handele es sich um voneinander getrennte Häuser. In São Paulo sei ein solches Bett ohne jede Privatsphäre ab R$ 400,00 (€ 174,00) zu bekommen. Wenn nicht explizit “vagas” annonciert seien, würde der Suchende auch unter dem Stichwort “Pensionatos” oder “Hopedarias” fündig.

Nachdem ich diese Art der Zimmerteilung im ersten Moment für Deutschland ausgeschlossen hatte, kam mir der Berufszweig der Monteure in den Sinn. In Berlin, so erinnerte ich, hatte ich in der Tat ähnliche Aushänge gesehen.

Beliebter, so der Kollege meines Mannes, sei der “fundo de quintal”, wörtlich übersetzt Hinterhof. Gemeint ist damit der Bereich, der für das Personal vorgesehen ist, das so genannte “quarto de empregada”, das Dienstmädchenzimmer. Nachdem Empregadas heute nur noch selten in den Familien leben, stehen diese Zimmer häufig leer, werden als Stauraum genutzt oder eben vermietet.

Online Wohnungssuche gleicht Dating-Plattform

Mancher Zimmersuchende, so meine Recherche, fahndet auch per Internet nach einem oder höchstens zwei Mitbewohnern. Häufiger noch verläuft die Suche jedoch andersherum. Die beiden Internetportale, die entsprechende Angebote vermitteln, gleichen Dating-Plattformen, denn hier präsentieren sich Männer und Frauen attraktiv in Wort und Bild. Diese edlere Form des geteilten Wohnens, die gern auch von internationalen Nachwuchskräften gewählt wird, kann durchaus schon einmal an die 2.000 real (865 Euro) pro Person oder mehr kosten.

Irgendwann stieß ich auf die klassischen Wohngemeinschaften, die sich in Europa nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen. Wer hätte auch gedacht, dass die als “Repúblicas” bezeichnet werden. Doch bei genauerer Betrachtung macht dies durchaus Sinn, denn diese Wohnform zeichnet sich schließlich allgemeinhin durch demokratische Strukturen aus. Preislich liegt ein Zimmer mit individueller Nutzung bei 600 Real(260 Euro).

Gefragt bei Wohnraumsuchenden mit niedrigerem Budget ist die Kitchenette, ein Zimmer mit integrierter Küchenzeile, in São Paulo auch unter den Namen “kitnet” oder “Quitinete” gehandelt, das, da es sich gleichsam um ein eigenes Apartment handelt, allerdings ungleich kostenintensiver ist.

Junge Leute wohnen bei Eltern zu Hause

Junge Menschen mit höherem Bildungsabschluss, die aus Familien mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von über 9.000 Real (3.895 Real) stammen, ziehen es vor, zuhause zu wohnen. Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2009 leben 62 Prozent der 25- bis 29- Jährigen im Elternhaus. In der Altersgruppe der 30- bis 34- Jährigen sind es immer noch 30 Prozent.

Befragt, warum die als „Jovens Cangurus” die elterliche Wohnung nicht verlassen würden, gaben sie an, ihr Studium fortsetzen zu wollen und nicht auf den Komfort und den Lebensstandard, der ihr Leben ausmache, verzichten zu wollen. Die Eltern, so wurde ebenfalls angeführt, würden den nötigen Freiraum gewähren, Freunde und Partner seien im Elternhaus willkommen. Auch deutlich jenseits der 30er Marke, im Alter zwischen 35 und 39 Jahren, leben ganze 15 Prozent noch in der Ursprungsfamilie. Verdenken kann man es den jüngeren Studenten nicht, denn neben den Mietpreisen für attraktive Wohnräume, die noch dazu schwer zu finden sind, sind die Kosten für ein Studium an einer guten Universität immens.

Wohnungssuche mit Abreißzettel

Ich unterstützte den Kollegen meines Mannes bei der Zimmersuche. Wir sprachen mit Geschäftsleuten in der Umgebung, klebten sorgfältig gestaltete Anzeigen mit Abreißzetteln an Strommaste und Straßenlaternen. Zusätzlich schaltete er Anzeigen in zwei verschiedenen Wochenzeitungen.

Zu zwei Besichtigungen begleitete ich ihn, denn ich wollte mir einen Eindruck verschaffen. Eine Vermieterin ganz in der Nähe bot erst ein Zimmer an, das an ihr Schlafzimmer angrenzte, und, als sie unser Zögern spürte, schließlich den “fundo de quintal”, der höchstens vier Quadratmeter groß und ebenfalls ausschließlich über den Privatbereich zu erreichen war, zum Preis von 800 Real (344 Euro).

Wenige Tage später besichtigte der Kollege einen weiteren “fundo de quintal”, dieses Mal mit separatem Eingang. Das Zimmer, so berichtete er, sei allerdings kleiner als das gemeinsam besichtigte gewesen und hätte, anders als das zuvor gesehene, nicht einmal einen Einbauschrank.

Einen Glückstreffer landeten wir am darauffolgenden Wochenende. Bereits die schöne, alleenartige Straße ließ hoffen. Wir hielten vor einem geräumig anmutenden Haus, in dessen Vorgarten eine prächtige Palme wuchs. Unser Eindruck setzte sich fort, als ein sympathischer, zurückhaltender Mann das Tor öffnete, der uns sogleich an seine quirlige Ehefrau weiterreichte, mit der wir das großzügige Grundstück und das zur Vermietung stehende Zimmer besichtigten. Einfach toll, ein separates Haus mit einer großen Wohnung im ersten Stock, angemietet von einer amerikanischen Schriftstellerin, und, im Erdgeschoss, zwei einander gegenüberliegenden, abschließbaren, großen und geschmackvollen Zimmern mit Wohnungscharakter und Ausblick auf einen wunderschönen Garten mit Maulbeerbaum, jeweils mit komplett neuen Bädern, zum Preis von 850 Real (366 Euro).

Die Autorin:

Esther K. Beuth-Heyer (44) ist freie Journalistin und PR-Expertin. Sie lebt mit ihrem Mann seit Februar 2011 in São Paulo und schreibt eine regelmäßige Kolumne über ihren Auslandsaufenthalt.

Foto: © michelfotografo – Fotolia.com