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„Oft zu arrogant, um sich vorzubereiten“

Was tun, wenn ein Expatriate aus einer Krisenregion wie Libyen nach Hause geholt werden muss? Wie finden Unternehmen den idealen Mitarbeiter für Risikoländer?

Diese und weitere Fragen in Sachen Reisesicherheit beantwortete uns Oliver C. Fein, erfahrener Sicherheitsexperte und Mitglied der Organisation ASIS International.

Expat News: Ab wann kann ein Entsendeland als Risikogebiet eingestuft werden?

Fein: Das hängt von der Betrachtungsweise ab. Das Auswärtige Amt zum Beispiel geht immer sehr schnell auf Nummer Sicher und stuft Regionen, in denen es brenzlig zu werden scheint, schnell als gefährlich ein. Es ist auch nicht immer so, dass ein ganzes Land Krisengebiet ist, sondern lediglich einzelne Gebiete. Bei meiner persönlichen Einstufung orientiere ich mich unter anderem an den Hinweisen der Außenministerien von Großbritannien und den USA, aber an denen von Dienstleistern wie Clayton, die oft auf die Stunde genau Warnungen herausgeben.

Zudem unterscheide ich in drei Risikokategorien: kriminelles, terroristisches und Kriegsrisiko. Ein kriminelles Risiko ist beispielsweise gegeben, wenn es in den Regionen vermehrt zu Diebstählen, Körperverletzungen, Entführungen, Erpressung, Betrug oder staatlicher Einwirkung auf Unternehmen kommt. Solche Gefahren herrschen beispielsweise in den lateinamerikanischen Ländern, darunter besonders Mexiko und Kolumbien. Wenn Sie etwa in Juarez, einer mexikanischen Metropole, die regelmäßig einen Spitzenplatz in der Rangliste der kriminellsten Städte der Welt einnimmt, an einen Geldautomaten gehen, werden Sie nicht lange etwas von Ihrem abgehobenen Geld haben.

Expat News: Ab wann besteht ein terroristisches Risiko?

Fein: Ein terroristisches Risiko gibt es beispielsweise in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion oder im Irak. Indizien dafür sind unter anderem Konflikte zwischen unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen, instabile politische und wirtschaftliche Verhältnisse oder fundamentalistische religiöse Strömungen. Unter die Kategorie kriegsbedingtes Risiko fallen nach meiner Definition Länder und Regionen, in denen aktuell Krieg herrschte, sich ein solcher anzubahnen droht oder erst kürzlich beendet wurde. Je nachdem, ob ein kriminelles oder terroristisches Risiko besteht, variieren auch die Handlungsempfehlungen. In einer Stadt mit einem zum Beispiel hohen Entführungsrisiko rate ich immer dazu, in einer großen, anonymen Masse unterzutauchen und sich nicht in weniger belebten Gegenden aufzuhalten. In Ländern mit Terrorgefahr gilt das Gegenteil, dort sollte man Menschenansammlungen – etwa in beliebten Einkaufspassagen – meiden. In Kriegsgebieten sind es vor allem strategische Orte wie das Regierungszentrum, ein Hafen oder wichtige Fabriken, die bevorzugte Ziele von Angreifern sind.

Expat News: Worauf sollten Unternehmen bei der Mitarbeiterauswahl für potenzielle Krisenländer achten?

Fein: Immens wichtige Punkte bei der Auswahl sind die mentale und physische Verfassung, also Charakter und Gesundheit. So können Krankheiten des Mitarbeiters ein großes Risiko in sich bergen. Beispielsweise sind Diabetiker auf spezielle Medikamente angewiesen. Was aber ist, wenn es diese im Gastland nicht gibt und die Arzneien beim Hinflug oder auf anderem Wege verloren gehen? Eine Medikamentenabhängigkeit kann auch bei Entführungen fatal sein, etwa weil die Kidnapper die erforderlichen Medikamente nicht beschaffen können oder der Entführte gar nicht in der Lage ist, sein Problem mitzuteilen. Arbeitgeber sollten zudem hinterfragen, ob ein Mitarbeiter mit zu hohem Blutdruck und Übergewicht wirklich der richtige Mann für ein subtropisches Land ist.

Expat News: Welche Rolle spielen charakterliche Eignung und soziales Umfeld?

Fein: Eine extrem große. Expatriates in kritischen Regionen sollten mit genügend Selbstbewusstsein und vor allem Lebenserfahrung ausgestattet sein. Sie müssen Charakterstärke besitzen, dürfen nicht erpressbar und sollten resistent bei Betrugsversuchen sein. In manchen Ländern gehört nach erfolgreichem Geschäftsabschluss durchaus ein Bordellbesuch dazu. Verheiratete Expatriates könnten mit dieser Gepflogenheit besonders Probleme haben. Ich habe beobachtet, dass vor allem sexuelle Geschichten zu einem großen finanziellen- und Imageschaden eines Unternehmens führen können. In Etablissements osteuropäischer Staaten werden die Besucher gerne mal gefilmt. Die Aufnahmen dienen häufig als Erpressungsgrundlage. Hinzu kommt, dass jeder Besuch einer pornografischen Seite im Internet über die IP-Adresse verfolgt und dokumentiert werden kann. Was viele Manager nicht wissen: In manchen Ländern, gibt es Dienstleister, die sich darauf spezialisiert haben, ausländische Nutzer auf den Besuch einschlägiger Seiten festzunageln und zu erpressen. Etliche Länder sind diesbezüglich alles andere als liberal und verhängen dafür Geld- oder Haftstrafen

Expat News: Klingt nach mangelnder Vorbereitung der Expats durch das Unternehmen.

Fein: Das kann ein Grund sein. Oft ist es aber die Arroganz der Manager, die glauben, sie hätten alles im Griff. Viele sind Berufsexpatriates und denken, sie hätten keine Vorbereitung mehr nötig. Die waren in den USA und in Indien erfolgreich und gehen davon aus, dass in China auch alles bestens laufen wird. Die Routine frisst ihre Kinder Oft ist ihnen auch nicht bewusst, dass es in Ländern wie zum Beispiel Thailand ein viel stärker ausgeprägtes Toleranzgefälle von Stadt zu Land gibt. Was in Bangkok toleriert wird, kann in ländlichen Gebieten wiederum fast ein Straftatbestand sein. In Europa geben sich die Bewohner von Großstädten zwar grundsätzlich auch toleranter als jene in den ländlichen Gebieten, aber es gib insgesamt doch einen stärkeren gesellschaftlichen Konsens. Ein wichtiges Entscheidungskriterium für den Expatriate sollte daher auch die interkulturelle Anpassungsfähigkeit sein. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Selbstreflexion und Empathiefähigkeit.

Expat News: Krisentrainings spezialisierter Dienstleister können Expatriates auf schwierige Aufenthaltsländer vorbereiten. Wie läuft ein solches Coaching ab?

Fein: Das ist stets abhängig davon, wie umfangreich es die Unternehmen wünschen. Konzerne nehmen oft das Komplettprogramm in Anspruch, das auch die Vorbereitung der mitreisenden Familienangehörigen einschließen kann. Kleine und mittelständische Unternehmen schauen stark auf die Kosten, was verständlich ist, aber sich auch als fatal erweisen kann. Ein umfassendes Training hat zwei wesentliche Bausteine: einen administrativen Teil und eine Art Verhaltenstraining. Ersteres wird immer wieder unterschätzt. Dabei geht es darum, dass alle erforderlichen Reisedokumente rechtzeitig organisiert und vor allem kopiert werden sollten.

Generell rate ich allen Geschäftsreisenden dazu, mindestens drei Reisepässe zu beantragen und mit sich zu führen. Zudem sollten mehrere Kopien davon angefertigt und unter anderem beim entsendenden Arbeitgeber zur Sicherheit hinterlegt sowie der Firma des Gastlandes werden. Das Gleiche gilt für Arbeitsvisa, Impfbescheinigungen und so weiter. Das Beste ist, ein ganzes Dossier in dreifacher Ausführung mit allen wichtigen Dokumenten anzulegen. Dies sollte im Heimatland, am ausländischen Standort und in der eigenen Wohnstätte aufbewahrt werden. Ein aktuelles Beispiel für eine mangelhafte administrative Vorbereitung ist der Fall der kürzlich freigelassenen Reporter im Iran.

Expat News: Die beiden Bild-Zeitungs-Reporter waren mit einem normalen Reisevisum zu investigativen Zwecken in den Iran geflogen.

Fein: Ich kenne den Fall nicht im Detail, aber ich weiß, dass Journalisten oft von jetzt auf gleich in ein anderes Land reisen müssen. Die Visumbeschaffung funktioniert aber nicht von heute auf morgen. Also heißt es: Man war vorher mir Reisevisum in Neu Dehli und es hat alles geklappt, dann sollte das bei der Einreise nach Teheran doch auch funktionieren. Eine andere Erklärung im Fall der Journalisten könnte sein, dass die Behörden ihnen das Arbeitsvisum abgenommen haben und einfach behaupteten, dass ein solches nicht existiert. Deshalb empfehle ich immer, Kopien von Pässen und Visa anzufertigen und im Heimatland zu hinterlegen.

In Staaten wie Iran spricht man häufig von der wrongful detention, also einer widerrechtlichen Beschlagnahmung unter dem Anschein von Rechtsstaatlichkeit. Das bedeutet, die Behörden nehmen Personen unter einem bestimmten Vorwand als vorübergehende Maßnahme in Schutzgewahrsam. Wer zumindest die richtigen Papiere nachweisen kann, bietet vom internationalen Standpunkt aus betrachtet, weniger Angriffsfläche.

Doch viele Unternehmen sparen schon an den Kosten für die dreifache Ausfertigung des Reisepasses. Dabei kostet einer nur 59 Euro. Der Schaden, wenn ein Mitarbeiter nicht ein- oder ausreisen kann, erreicht hingegen schnell einen fünfstelligen Betrag. Rentieren tut sich dies vor allem dann, wenn Expatriates in mehreren Ländern unterwegs sind. Wer beispielsweise in Israel war und dann in ein arabisches Land einreist, sollte definitiv nicht den Pass mit israelischem Stempel mit sich führen.

Expat News: Wie sieht das Verhaltenstraining aus?

Fein: Es gleicht in den Grundzügen einem Selbstverteidigungskurs, bei dem wir Tipps für den Alltag geben. Ich bevorzuge den lokalen Ansatz, wo die Teilnehmer auf die Bedingungen vor Ort vorbereitet werden. Dabei wird beispielsweise geübt, wie man sich verhalten sollte, wenn man überfallen oder entführt wird, wie man seinen Arbeitsweg variiert, um die Berechenbarkeit seiner Schritte zu verringern und so weiter. Ein solches Training kann aber nur sensibilisieren. So kann man aus einem Mauerblümchen keinen vor Selbstbewusstsein strotzenden Mensch machen. Deswegen appelliere ich an die Unternehmen, von vornherein geeignete Expatriates auszuwählen, die auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren.

Expat News: Was raten Sie Firmen, die Mitarbeiter in Länder entsandt haben, in denen der Aufstand geprobt wird wie aktuell etwa in Libyen?

Fein: Expatriates vor Ort sollten auf keinen Fall den Fehler begehen und sofort zum Flughafen laufen, wo bereits Tausende von Ausländern auf ihre Heimreise warten. Zum einen herrschen dort chaotische und unhygienische Verhältnisse, zum anderen könnte die Ansammlung ausländischer Gäste schnell ein Anschlagsziel sein. In einem solchen Fall plädiere ich für eine Über-Land-Lösung. Doch dafür sind Spezialisten gefragt. So gibt es paramilitärische Dientsleister mit einer sachkundigen Ortskenntnis, die Expatriates über Land zu einem anderen, mehrere hundert Kilometer entfernten Flughafen bringen können und so genannte „safe areas“ eingerichtet haben, in denen Ausländer zu ihrer Sicherheit vorübergehend untergebracht werden. Solche Dienstleister sollte man aber auch sorgfältig auswählen und auf Kompetenz sowie Erfahrung hin prüfen.