Shoppen in Sao Paulo
Der typische Paulistano ist weiblich, zwischen 25 und 29 Jahren alt, weiß, hat den ensino médio, die Oberstufe, abgeschlossen, verdient gut, ist katholisch und hat eine große Leidenschaft: Shopping! Laut dem Wochenmagazin Veja ist der wöchentliche Besuch eines der gerade auf 54 angestiegenen Shoppings der Megacity für 62 Prozent der 11,2 Millionen Einwohner ein hábito, eine feste Gewohnheit.
So verwundert es kaum, dass der Satz “A praia do paulistano é o shopping” – „Der Strand der Paulistanos ist das Shopping“, der den Carioca, den Bewohnern Rio de Janeiros, zugeschrieben wird, in den allgemeinen Sprachgebrauch übergangen ist.
Auch wenn es nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Megacity ein wenig rauer und stets etwas kälter ist, als die entspannt daherkommende Sonnenstadt am Fuße des Zuckerhuts, regte sich, als ich von der Urheberschaft dieses Ausspruchs erfuhr, ein gewisser Lokalpatriotismus. Natürliche Gegebenheiten anzuführen, um sich vom Finanz- und Wirtschaftszentrum abzugrenzen, in dem das nächstgelegene Shopping natürlich schneller zu erreichen ist, als der stadtnächste Strand, machte mir die Carioca, die Kalifornier Brasiliens, nicht sympathischer.
Vielleicht spricht aber auch ein klein wenig Neid aus dem Carioca-Satz, denn die Stadt Rio de Janeiro zählt nur 31 Shoppings und liegt damit 23 Shoppings hinter der Megacity, die nicht nur in diesem Sektor einiges zu bieten hat.
Shopping-Mall Ersatz für Strand?
Kurios, dass sich ausgerechnet eine deutsche Doktorarbeit mit den Shoppings der Megacity beschäftigt: Die im Jahr 2001 am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Göttingen vorgelegte Arbeit setzt sich mit dem Thema Einzelhandel und Konsumkultur am Beispiel ausgewählter Shopping-Center in São Paulo auseinander. „Der Mangel an Stränden mag eine untergeordnete Bedeutung haben“, erkennt die deutsche Autorin, wohl aber erscheine es plausibel, dem Shopping vor dem Hintergrund der gegebenen städtischen Megastrukturen die Funktion eines Ersatzes für unterschiedliche Aspekte zuzuschreiben“.
Ähnlich betrachtet es auch Nabil Sahyoun, Präsident der Associação Brasileira de Lojistas de Shopping (Alshop). Heute sei ein Shopping nicht mehr nur ein schlichtes Einkaufszentrum. Dadurch, dass dort auch die Freizeitbedürfnisse bedient würden, sei es zu einer Art Naherholungsgebiet geworden, mit Öffnungszeiten bis in den Abend und an Sonn- und Feiertagen. Und vor allem bei jedem Wetter. Das hohe Maß an Sicherheit, das Paulistanos wie Touristen immer wieder betonen, ist vor dem Hintergrund der hohen Kriminalitätsrate der Megacity, sicher auch nicht zu vernachlässigen.
Konsum als Lebensgefühl
Mit Slogans wie “Completo como São Paulo” (Vollständig wie São Paulo), “Sofisticado como seu estilo” (Anspruchsvoll wie Ihr Stil),“Vem Viver Eldorado” (Leben Sie Eldorado), “Uma experiência única” (Ein einzigartiges Erlebnis) oder schlicht “Espetacular” (Spektakulär) transportieren die Konsumtempel eine große Portion Lebensgefühl. Ihr Angebot geht in der Tat weit über das klassische Shopping hinaus. Ob Theater, Kino, Spielparadies, Fitnesscenter, Restaurant oder Dienstleistungen und Services: Die Shoppings decken tatsächlich viele Lebensbereich ab. Im Shopping Eldorado besteht gar die Möglichkeit, sich durch die Polícia Federal vor Ort einen Reisepass ausstellen zu lassen.
Unsere erste Exkursion in der Megacity führte uns in ein Shopping, dessen regelmäßiger Besuch mittlerweile fest in unser Leben integriert ist. Das Morumbi Shopping ist zu „unserem“ Shopping geworden.
Im Shopping meiner Freundin, dem Eldorado, haben wir unseren Telefon-, TV- und Internetanschluss beantragt und alle Haushaltsanschaffungen erledigt, denn dort hat meine Freundin, die unsere Anfänge hier begleitet hat, ihre festen Ansprechpartner.
Erstes Shopping eröffnete 1966
In einzelne Shoppings haben wir Ausflüge gemacht, angefangen mit den „Naherholungsgebieten“ Shopping Iguatemi, dem bereits 1966 eröffneten ersten Shopping des Landes, und dem Shopping Pátio Higienópolis, „dem“ Hotspot der Bohème.
Wir besuchten auch das Shopping Cidade Jardim, auf der anderen Seite des Flusses, von dem wir die wildesten Geschichten gehört hatten. Nicht ganz zu Unrecht wird es als “enclave fortificado” (befestigte Enklave), “vitrine das desigualdades sociais” (Schaufenster der sozialen Ungleichheiten) oder als “ilha da fantasia” (Phantasieinsel) bezeichnet. Das ohne Auto nur schwer erreichbare Luxus-Shopping, das sich unweit eines sozialen Brennpunkts befindet, unterscheidet sich in seinem Angebot deutlich von den übrigen Shoppings und übertrifft selbst das elegante Iguatemi, das immerhin Edelmarken wie Tiffany & Co, Chanel und Christina Louboutin unter einem Dach vereint.
Vor zwei Wochen, kurz nach seiner Eröffnung, stand nun das JK Iguatemi auf unserer Ausflugsagenda, nicht zuletzt, da einer der Kunden des Unternehmens meines Mannes dort einen Flagship Store betreibt, den wir uns anschauen wollten. Das neue Aushängeschild der Megacity, das in Teilen noch nicht ganz fertiggestellt ist, kommt nicht ganz so abgehoben daher wie das Shopping Cidade Jardim. Es ist natürlich deutlich moderner als das traditionelle Iguatemi, aber eben auch nicht so „demokratisch“ wie das Morumbi Shopping. Wir flanierten, staunten und freuten uns über das ein oder andere Geschäft, bis wir an Ladurée vorbeikamen. Macarons würden unsere JK-Sightseeing-Tour noch mehr versüßen. Da dies offensichtlich auch einige andere Besucher dachten, mussten wir uns in eine lange Schlange einreihen. Während mein Mann wartete, studierte ich die Auswahl an bunten Gebäckköstlichkeiten – und auch die Preise. Die waren nicht süß, sondern gesalzen: Für vier Macarons feinster importierter Qualität zahlten wir R$ 36,00, knapp 15 Euro.
Die Autorin:
Esther K. Beuth-Heyer (44) ist freie Journalistin und PR-Expertin. Sie lebt mit ihrem Mann seit Februar 2011 in São Paulo und schreibt eine regelmäßige Kolumne über ihren Auslandsaufenthalt.
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