Englisch verboten? Sprachwandel und Sprachregulierung in China
In China wird der Gebrauch der englischen Sprache in öffentlichen Publikationen stark reguliert. Wie kommt es zu dieser Angst vor einem Sprachwandel? Sind die Einschränkungen wirklich sinnvoll? Besteht tatsächlich die Gefahr, dass in China das Englische die chinesische Sprache verdrängt? Die Linguistin Jean Aitchison beschreibt zwei Typen von Menschen, die neue Elemente in eine Sprache bringen. Zum einen gibt jene, die eine neue Sprache lernen oder bilingual sind und somit, oft unbemerkt, Elemente der Syntax und der Betonung bzw. Aussprache übertragen. Und dann gibt solche, was in Bezug auf Anglizismen und für den Fall China wohl bedeutsamer ist, die Vokabeln aus der Fremdsprache in die eigene übernehmen.
Ausleihen von Vokabular im Prozess des Sprachwandels
Bei der Übernahme von Vokabular wird, in der Linguistik, gern der Begriff des „Ausleihens“ benutzt. „Ausleihen“ meint aber nicht wörtlich geliehen, sondern eher kopiert. Im Prozess des Sprachwandels, wie wir ihn von Anglizismen, aber auch von französischen Wörtern zum Beispiel im Deutschen kennen, werden nur Wörter kopiert, die sich gut in die eigene Sprache, integrieren lassen, ohne die restliche Struktur zu verändern. Außerdem werden selten Wörter aus dem Grundwortschatz beziehungsweise häufig vorkommende Wörter, übernommen. Das geliehene Vokabular wird ebenfalls oft an die leihende Sprache angepasst, so dass man es kaum noch als Fremdkörper wahrnimmt. Einige chinesische Beispiele wären für diese „Ausleihen“: shāfā 沙发 = sofa, Bàibài 拜拜 = Bye bye! (Tschüss!), kāfēi 咖啡 = coffee (Kaffee), qiǎokèlì 巧克力 = chocolate usw. Dies würde sich fast unbegrenzt fortsetzen lassen. Nicht umsonst heißt es von einem chinesischen Linguisten: „If we cleaned out all the borrowed words, less than half of modern Chinese will be left.“
Hier stellt sich natürlich auch die Frage, ob es wirklich etwas nützt, in diesem Stadium des Sprachwandels noch eingreifen zu wollen, da er scheinbar schon sehr weit fortgeschritten ist und viele Sprachlerner wahrscheinlich nicht mehr auf diese Worte verzichten wollen oder können, da die Alternativen fehlen oder ihnen diese einfach altmodisch vorkommen.
Fremdsprachliche Elemente zur Ergänzung der eigenen Sprache
Als weiterer Faktor beim Sprachwandel gilt, es kommen nur neue Wörter in die Sprache und bleiben dort fest verankert, wenn sie gebraucht werden. Wörter, die in einer Sprache an Bedeutung verlieren, weil die Gegenstände beispielsweise nicht mehr in Mode sind, verschwinden irgendwann. Es werden auch gern alte durch neue Wörter ersetzt, wenn die Alten zu häufig benutzt worden sind und etwas frische in die Sprache gebracht werden soll. Nicht nur, aber auch in der Werbung versucht man dadurch einfach Aufmerksamkeit zu erregen. Vokabular wird ebenfalls ersetzt, wenn Begriffe als nicht mehr „politisch korrekt“ gelten.
Warum aber möchten Menschen neue Vokabeln in ihre Sprache übernehmen? Wie gerade genannt sehnt sich die Gesellschaft manchmal nach Neuem und Frischem. Sprache dient aber auch der Abgrenzung, man nehme die Jugendsprache und die Cyberslangs. Selbst in China scheiden sich die Geister, was den Streit über den vermeintlich schlechten Einfluss auf die chinesische Sprache angeht. Es gibt auch Linguisten, die der Meinung sind, dass das so genannte „Ausleihen“ ein globales Phänomen sei, und ein Zeichen für kulturellen Austausches sowie der internationalen Anpassung. Diese Gruppe ist der Meinung, dass China sich dem Phänomen nicht entziehen kann. Nur weil die jüngere Generation amerikanische Produkte konsumiert, heißt es nicht, dass sie nicht mehr chinesisch sei.
Warum das Englische das Chinesische nicht verdrängt
Faktoren für einen Sprachwandel sind also bis hierhin Modeerscheinungen, ausländischer Einfluss und weitere gesellschaftliche Bedürfnisse. Allerdings ist auch entscheidend für den Sprachwandel, dass er sich nur vollzieht, wenn das Sprachsystem bereit dafür ist und/oder bereits Schwachstellen aufweist, die einer „Ausbesserung“ bedürfen. Man braucht auch keine Bedenken haben, dass eine Sprache von heute auf morgen zerstört wird, denn ein Sprachsystem lässt meistens keinen abrupten oder gar zerstörenden Wandel zu.
Für das Aussterben einer Sprache bräuchte es eine sehr dominante, oder sehr ähnliche Sprache – wie bei dem Prozess des von Aitchison beschriebenen sprachlichen „Selbstmords“. Beide Rollen sind wohl kaum der englischen Sprache in China zuzuschreiben. Da Englisch dort nur als Geschäftssprache angesehen wird und nicht auch im Alltag oder in der Schule permanent gebraucht wird. Gegen das Aussterben von Mandarin spricht auch die Tatsache, dass das Chinesische die meist gesprochene Muttersprache weltweit ist.
Berücksichtigt man die Faktoren des Sprachwandels, so kann man davon ausgehen, dass das „Chinesische“ weit davon entfernt ist, wirklich Schaden durch Anglizismen zu nehmen. Auch beziehungsweise gerade in China macht der Modernisierungsprozess zwar keinen Halt und auch dort findet aufgrund der internationalen Wirtschaft ein wachsender kultureller Austausch statt, durch den neue Vokabeln übernommen werden. Doch die chinesische Sprache ist zu einzigartig, dominant und zu verbreitet, um sich dem Englischen fügen zu müssen.
Politischer Einfluss durch Fremdsprachen
Wenngleich die chinesische Sprache in absehbarer Zeit keine Gefahr für die Existenz des Chinesischen darstellen wird, ist ein anderer Faktor für die politischen Maßnahmen vielleicht noch wichtiger: Fraglos ist die chinesische Regierung seit Jahren darum bemüht, den Einfluss „des Westens“ in China möglichst gering zu halten. Dass populärkulturelle Einflüsse aus Amerika stetig zunehmen, ist leicht ersichtlich. Diesen Prozess wenigstens in offiziellen Medien zu beschränken, hängt auch damit zusammen, dass die chinesische Kultur nicht ausgehöhlt werden soll. Dies ist natürlich auch besonders aufgrund der unterschiedlichen politischen Systeme in Ost und West von Bedeutung. Hierin liegt vermutlich auch der Grund, dass in China weiterhin der Einfluss der englischen Sprache kontrolliert werden will. Inwiefern dies eine weitere Verwestlichung verhindern kann, bleibt abzuwarten.
Quelle: www.interculturecapital.de