Arbeitslos nach Auslandsaufenthalt
Fast zwei Millionen Deutsche arbeiten laut einer Studie der OECD im Ausland – häufig in höherqualifizierten Jobs als Deutsche im Inland. Deutsche mit hoher oder mittlerer Qualifikation gehen vor allem in die USA, in die Schweiz und nach Großbritannien. Geringqualifizierte Auswanderer bevorzugen ebenfalls die USA, sind in großer Zahl aber auch in Italien und Spanien zu finden.
Auch M. Heller zog es wegen einer neuen beruflichen Herausforderung nach Großbritannien. Als er nach seinem Jobverlust in England zurückkehrte und bei der Bundesagentur für Arbeit erfuhr, dass er kein Arbeitslosengeld bekommen würde, war er zunächst schockiert.
Anderthalb Jahre zuvor hatte er in London einen Job als angestellter Storemanager in einem Sportbekleidungsladen angenommen. Der damals 32-jährige wollte sein Englisch aufpolieren und Auslandserfahrung sammeln. Als er aufgrund einer Verletzung für längere Zeit krankgeschrieben ist, verlängert der englische Arbeitgeber seinen Vertrag nicht.
Heller sucht zunächst in London einen neuen Job. Da er nicht fündig wird, kehrt er nach Deutschland zurück, um dort eine neue Beschäftigung zu finden. Die einkommenslose Zeit will er mit Arbeitslosengeld I überbrücken. Schließlich hatte er jahrelang Pflichtbeiträge in die Arbeitslosenkasse eingezahlt. Doch er sollte kein Geld bekommen.
Der Grund: Er hatte beide vom Gesetzgeber geregelten Möglichkeiten, Arbeitslosengeld nach einem Auslandsaufenthalt zu bekommen, verspielt. Seine erste verpasste Chance: Heller hatte die sogenannte Rahmenfrist, die grundsätzlich und auch bei einer Beschäftigung in einem anderen EU-Land erfüllt sein muss, nicht eingehalten. Denn grundsätzlich gilt: Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nur, wer vom Tag der Antragstellung an gerechnet, in den vergangenen zwei Jahren – das ist die Rahmenfrist – mindestens zwölf Monate am Stück in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Heller jedoch war in den 24 Monaten vor seinem Besuch beim Arbeitsamt 15 Monate versicherungspflichtig in London beschäftigt. Davor hat er – ebenfalls im Angestelltenverhältnis – mehrere Jahre in Deutschland gearbeitet. In die Rahmenfrist fallen also nur neun Monate versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland (15 Monate England + 9 Monate Deutschland = 24 Monate). Für den Anspruch auf Arbeitslosengeld fehlen damit drei beitragspflichtige Monate. Die Ironie dabei: Wäre Heller drei Monate früher arbeitslos geworden und hätte sofort Arbeitslosengeld in Deutschland beantragt, so wäre seinem Antrag wohl stattgegeben worden (12 Monate England + 12 Monate Deutschland = 24 Monate).
Versicherungspflichtige Zeit in Deutschland entscheidend
Als die Sachbearbeiterin der Bundesagentur für Arbeit feststellte, dass der arbeitslose 32-jährige die rechtlichen Voraussetzungen für diese Möglichkeit, Geld zu bekommen, nicht erfüllte, erläuterte sie die Alternative: Falls er unmittelbar nach seiner Rückkehr aus England in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt gewesen wäre – sogar ein einziger Tag würde reichen – so bekäme er doch noch Arbeitslosengeld I. Hintergrund: Der Anspruch auf Arbeitslosengeld richtet sich grundsätzlich nach der anzurechnenden Beschäftigungszeit des Arbeitnehmers. Bei Arbeitslosigkeit in einem der Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) kann der Betroffene sich die dort erworbenen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten anrechnen lassen. Dafür ist das so genannte Formular PD U 1 erforderlich. Diese Liste führt auf, wo dieser Vordruck im jeweiligen EU-Land angefordert werden kann. Das Formular muss vom ehemaligen ausländischen Arbeitgeber ausgefüllt werden.
Die entscheidende Bedingung lautet jedoch, dass ein Rückkehrer noch vor der Beantragung der Arbeitslosenunterstützung mindestens einen Tag in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein muss (so genannte Zwischenbeschäftigung). Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, verfallen die bisher angesammelten Beitragszeiten für die Arbeitslosenversicherung. Wer freiberuflich, also ohne eine Festanstellung, ins Ausland geht, hat diese Möglichkeit im Falle der Arbeitslosigkeit im Übrigen nur in Ausnahmefällen.
In dem entsprechenden Merkblatt 20 – Arbeitslosengeld und Auslandsbeschäftigung der Arbeitsagentur (Stand Januar 2022) heißt es dazu konkret:
„Ausländische Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten können für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder zur Erhöhung der Anspruchsdauer nur dann berücksichtig werden, wenn zwischen der Auslandsbeschäftigung und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit und Antragstellung in Deutschland eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde. Die Dauer dieser Beschäftigung ist nicht vorgeschrieben.“
Für Heller kam jedoch auch die zweite von der Sachbearbeiterin angesprochene Variante nicht infrage, denn bevor er beim Arbeitsamt Unterstützung beantragte, hatte er keinen Anstellungsvertrag in Deutschland gehabt. Im Ergebnis wird er – solange bis er einen neuen Job hat – von Hartz IV leben müssen.
Sonderregelung für Grenzgänger
Die Regelung zur Zwischenbeschäftigung gilt nicht für so genannte „echte“ und „unechte“ Grenzgänger. Echte (deutsche) Grenzgänger haben ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in Deutschland, üben ihre Beschäftigung aber in einem anderen EU- oder EWR-Staat aus und kehren für gewöhnlich mindestens einmal pro Woche an ihren deutschen Wohnsitz zurück. Damit unterliegen diese in der Regel der Versicherungspflicht desjenigen Landes, in dem sie ihre Beschäftigung ausüben. Im Falle der Arbeitslosigkeit erhalten sie aber Geld von der Arbeitsbehörde desjenigen Landes, in dem sie ihren Wohnsitz haben (Wohnsitzgrundsatz). Bei „echten“ Grenzgängern ist dies Deutschland. Die beitragspflichtigen Versicherungszeiten aus dem Ausland werden dann ebenfalls mittels des Formulars PD U1 für den Anspruch auf das deutsche Arbeitslosengeld herangezogen.
„Unechte“ Grenzgänger behalten ihren Lebensmittelpunkt komplett in Deutschland und überqueren täglich die Grenze ins Ausland, um dort ihrer Tätigkeit nachzugehen. Auch sie haben im Falle der Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosengeld bei der Arbeitsagentur.
Sonderregelung für Entsandte
Arbeitnehmer, die im Rahmen eines deutschen Beschäftigungsverhältnisses von ihrem Unternehmen für eine Tätigkeit für maximal 24 Monate ins EU-Ausland entsandt werden, unterliegen in der Regel weiterhin den Vorschriften der deutschen Versicherungspflicht. Dafür müssen Arbeitgeber jedoch die nötigen Voraussetzungen laut der EG-Verordnung 883/2004 erfüllen. Wird der Arbeitnehmer nach Ende der Entsendung und Rückkehr nach Deutschland arbeitslos, so kann er regulär Arbeitslosengeld I beziehen.
Bei der Entsendung außerhalb der EU muss geklärt werden, ob mit dem Entsendeland ein so genanntes Sozialversicherungsabkommen besteht, das den Zweig der Arbeitslosenversicherung erfasst. Des Weiteren gibt es so genannte vertragslose Länder, bei denen keine Fristen hinsichtlich der Weitergeltung der deutschen Vorschriften in punkto Arbeitslosigkeit bestehen. Dort muss der Arbeitgeber genau prüfen lassen, was zu tun ist.
Sollten Unternehmen für ihre entsandten Mitarbeiter nicht die Voraussetzungen für eine Weitergeltung der deutschen Vorschriften zur Arbeitslosenversicherung erfüllen, sind sie dazu verpflichtet, ihre Arbeitnehmer entweder freiwillig in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung anmelden (per Antrag auf Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a SGB III) oder privat abzusichern, was derzeit nur über den Expat Job der BDAE Gruppe möglich ist. Ein entsprechendes Dossier erläutert Vor- und Nachteile beider Varianten.
Übrigens: Inwieweit Deutsche, die in Großbritannien arbeiten, nach dem Austritt des Landes aus der EU („Brexit“) in Zukunft überhaupt Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben, bleibt abzuwarten.
Vor dem Job im Ausland gründlich informieren
Wie der Fall Michael Heller und die Praxis zeigen, ist es insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten unrealistisch, unmittelbar nach dem Jobverlust im Ausland sofort in der Heimat wieder eine neue Beschäftigung zu finden. Umso mehr sind die Heimkehrer auf Arbeitslosenunterstützung angewiesen. Das bedeutet im Klartext: Trotz der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die in der EU und im EWR gilt, sollte jeder Deutsche, der Joberfahrung im Ausland sucht, sich vorher genau überlegen, wie lange er dort einer Beschäftigung nachgehen will und ob er im Falle der Arbeitslosigkeit wenigstens für kurze Zeit nahtlos ein Angestelltenverhältnis in der Heimat eingehen kann. Denn davon hängt ab, ob er im Fall der Fälle überhaupt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Merksatz: Auslandserwerbstätige sollten sich noch vor ihrer Rückkehr in die Heimat bei einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit zur Sicherheit die Beitragszeiten nachweisen lassen.
Unternehmen wie die BDAE Consult beraten deutsche Arbeitnehmer sowie deren Arbeitgeber im Ausland hinsichtlich der Risiken eines möglichen Jobverlustes und bieten Absicherungsmöglichkeiten.
Grafiken: Mihai Tufa für BDAE