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Kulturkreiswechsel in Asien

Eine diffuse Vorstellung vom so genannten Kulturschock dürfte fast jeder haben. Doch was genau geht vor sich, wenn Geschäftsreisende und Entsandte den Kulturraum für eine gewisse Zeit wechseln? Und wie lassen sich psychische Umstellungsschwierigkeiten vermeiden oder zumindest abfedern? Die Erfahrungen ehemaliger Expats in Asien zeigen: Vorbereitung und das Bewusstsein deutscher Kulturstandards können helfen.

„Bestimmer“-Verhalten ablegen

„Wer als Ausländer in China geschäftlich etwas erreichen will, muss sich von der Vorstellung lösen, etwas bestimmen zu können.“ Diese simple, aber effektive Einstellung hat Diplom-Ingenieur Herbert Martin während seiner Entsendung nach China durch einen Automobilkonzern nicht nur den Kulturschock erspart, sondern auch seine Projekte zum gewünschten Erfolg geführt. Während Martin sich schnell in der neuen Umgebung zurechtfand, sah er viele seiner Kollegen scheitern und die Entsendung vorzeitig abbrechen. Die Gründe waren immer dieselben: Entweder sie unterschätzten die kollektive Intelligenz der chinesischen Mitarbeiter und legten einen unangemessenen Führungsstil an den Tag oder sie – und oft auch ihre mitgereisten Angehörigen – hatten erhebliche Integrationsprobleme aufgrund der kulturellen Unterschiede. Die Statistik untermauert die gängigen Erfahrungen: Laut einer groß angelegten Erhebung des Economist Verlags aus dem Jahr 2010 ist jede zweite vorzeitig abgebrochene Entsendung auf kulturelle oder nationale interkulturelle Konflikte innerhalb der Belegschaft zurückzuführen. Fast genauso häufig gaben die befragten Unternehmen die Unfähigkeit der ausländischen Manager, die lokale Kultur zu verstehen, als wichtigsten Grund für das Scheitern an. In einer ähnlichen Umfrage der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Deloitte aus 2008 nannte die Mehrheit als Hauptursache für den Abbruch des Auslandsaufenthalts Eingewöhnungsschwierigkeiten der begleitenden Familien.

Herbert Martin bestätigt diesen Punkt: „Eine wichtige Rolle spielt etwa, dass China noch nicht den gleichen Komfort und vergleichbare hygienische Bedingungen hat wie hierzulande. Viele Europäer unterschätzen das. Es fehlen Familie, Freunde, generell soziale Kontakte und Sie sprechen die Sprache nicht – eine Menge Frustrationspotenzial.“ Wenn sich die begleitenden Expat-Partner – in den meisten Fällen sind es Frauen – innerhalb der Community dann regelmäßig ihr Leid klagen, wachse der Frust und parallel dazu der Druck auf den Entsandten. „Ich habe Partnerschaften zerbrechen und Entsendungen vorzeitig beenden sehen, weil die Familie auf einer Rückkehr bestand. Auch für das entsendende Unternehmen ist das katastrophal“, so Martin weiter.

Auf Honeymoon folgt der Fremdkulturschock

Kulturwissenschaftler nennen dieses Phänomen der Krise Fremdkulturschock. Er folgt für gewöhnlich kurze Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland und einer so genannten Honeymoonphase (siehe Grafik). In dieser Periode sind die meisten Geschäftsreisenden und Expatriates noch euphorisch und fasziniert von all den neuen Eindrücken. Das Exotische wird von ihnen zunächst als Bereicherung und spannende Erfahrung wahrgenommen. Auch die Motivation, das Projekt zügig und erfolgreich umzusetzen, ist an diesem Punkt noch sehr stark ausgeprägt. Wie lange diese Phase anhält, lässt sich pauschal nicht beziffern – dies ist abhängig von der Aufenthaltsdauer und individuellen Faktoren. Auch die danach häufig einsetzende Frustration, das Gefühl völlig fremd und fehl am Platz zu sein – der Kulturschock – variiert je nach Menschentyp und interkultureller Kompetenz des Betroffenen.

Diese interkulturelle Kompetenz setzt sich Experten zufolge aus drei wesentlichen Dimensionen zusammen. Zum einen gibt es die kognitive Ebene: „Diese besteht beispielsweise aus dem erworbenen Wissen um eigen-, fremd- und interkulturelle Prozesse sowie aus der Fähigkeit, sich und sein Handeln selbst in Frage zu stellen“, erläutert Barbara Heyken, auf China spezialisierte interkulturelle Trainerin bei der BDAE GRUPPE. Zum anderen spielt die verhaltensbezogene Dimension eine ebenso wichtige Rolle. In dieser Ebene befinden sich unter anderem der Wille und die Fähigkeit zu kommunizieren, Konfliktlösungsstrategien sowie Vertrauen zu fremdkulturellen Interaktionspartnern aufbauen zu können. „Das bedeutet, wer bereits hierzulande große Schwierigkeiten hat, sich in ein Team zu integrieren oder dieses zu führen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einem asiatischen Arbeitsumfeld noch größere Probleme bekommen“, pointiert Heyken. Ähnliches gilt für die dritte, die affektive, Dimension. Diese beschreibt individuelle Eigenschaften wie Empathie, Vorurteilsfreiheit und Offenheit gegenüber anderen Kulturen sowie die interkulturelle Lernbereitschaft. Heyken rät Unternehmen bei der Auswahl des passenden Mitarbeiters, verstärkt auf dessen interkulturelle Kompetenz zu achten und dabei die Schlüsselmerkmale der drei Dimensionen als Grundlage zurate zu ziehen.

Entsendungen nach Asien nehmen zu

Tatsache ist: Auslandsprojekte und Geschäftstermine mit Partnern in China, Shanghai oder Hongkong stehen und fallen sowohl mit der fachlichen als auch der interkulturellen Qualifikation des entsandten Arbeitnehmers. Und die Konkurrenz ist groß. Asien ist für deutsche Unternehmen nach Europa die zweitwichtigste Entsenderegion, danach folgen Nordamerika und der Mittlere Osten. Dies hat dir Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in einer Studie herausgefunden. In dieser gaben mehr als 80 Prozent aller befragten Firmen an, sie würden Mitarbeiter in asiatische Länder entsenden. Das Riesenreich China ist in Sachen deutsche Expatriates unangefochtener Spitzenreiter. Nach Angaben der auf Entsendeberatung spezialisierten BDAE GRUPPE schickte 2011 jedes zweite deutsche Unternehmen, das in Asien aktiv ist, seine Arbeitnehmer nach China, 15 Prozent sind in Thailand tätig und zwölf Prozent in Singapur. Insgesamt erhöhte sich die Zahl der Entsendungen im Raum Asien in den vergangenen Jahren sichtlich.

Interkulturelle Vorbereitung mildert Kulturschock ab

In Asien aktive Unternehmen tun also gut daran, ihre Mitarbeiter auch in interkulturellen Belangen vorzubereiten, um den wahrscheinlichen Kulturschock abzumildern und so die Chancen für ein Gelingen des Auslandsaufenthalts entscheidend zu erhöhen. Dabei kann etwa ein interkulturelles Training helfen, das neben landestypischen Fakten vor allem für zwischenmenschliche Konflikte sensibilisiert. Kulturwissenschaftler sind sich inzwischen einig: Nur wer seine eigenen Kulturstandards kennt und verinnerlicht hat, dass diese nicht universell gelten, ist in der Lage die eigene kulturelle Brille abzunehmen und kann sich auf das neue Umfeld einstellen. Typisch deutsche Kulturstandards sind beispielsweise Individualismus (alle Menschen sind gleich und jeder ist für sich selbst verantwortlich), direkte Kommunikation (was wichtig ist, wird in Worte formuliert und der Sachverhalt wird klar und eindeutig benannt) und ein monochrones Zeitverständnis (Zeit muss effektiv genutzt werden und eine Aufgabe wird nach der anderen erledigt).

Die eigenen Standards nicht überstülpen

„Wer sich von diesen Vorstellungen nicht löst und versucht, die eigenen Standards etwa den chinesischen Geschäftspartnern überzustülpen, ist in der Regel zum Scheitern verurteilt“, sagt interkulturelle Trainerin Heyken. Herbert Martin hat während seines China-Aufenthaltes vieles intuitiv richtig gemacht – ohne ein Training, aber mithilfe seiner selbst erworbenen interkulturellen Kompetenz. Als entscheidenden Faktor betrachtet er seine vorurteilsfreie und neugierige Einstellung auf Land und Leute. „Meine Erfahrungen haben mir gesagt, dass ich unter keinen Umständen jemandem meine Meinung aufdrängen darf. Ich muss die Partner und Mitarbeiter vor Ort von einer Idee, einem Vorhaben überzeugen, wenn ich langfristige Projekte realisieren will“, erinnert er sich. Viele deutsche Manager-Kollegen hätten dies damals nicht verstanden und es mit einem äußerst autoritären Führungsstil versucht. Das schien zwar für kurzfristige Ziele funktioniert haben, aber bei entscheidenden Aufgaben nicht. Urlaub und Freizeit nutzte er, um mit seiner Familie die chinesische Republik zu bereisen. Auch das habe ihm sehr geholfen, sich in die Mentalität der Menschen hineinversetzen und deren Kultur verstehen zu können. Den klassischen Kulturschock hat er nie erlitten.

Text: Bund der Auslands-Erwerbstätigen e.V.

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