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Gefahrenanalyse
© Zerbor - AdobeStock

Wie eine Gefahrenanalyse mit Notfallkonzept Mitarbeiter im Ausland schützt

Wie Unternehmen ihre Geschäftsreisenden in Regionen mit Gefahrenpotenzial sinnvoll vorbereiten können und was sie jetzt für die Mitarbeitenden in den deutschen Zentralen tun sollten, damit diese auf Zwischenfälle während einer Auslandsreise handlungssicher und damit vertrauensbildend reagieren können, erläutert Benjamin Beutekamp, Geschäftsführer von Human Ressource Protection (HRP) in dem folgenden Beispiel zum krisengeschüttelten Land Venezuela.

Das deutsche Logistikunternehmen L. ist seit Jahren in Venezuelas Hauptstadt Caracas tätig. Mehrmals im Jahr ist der Mitarbeiter Martin K. für einige Tage vor Ort, um Projekte zu begleiten. Für die Aufenthaltsdauer wohnt er in einem Hotel unweit des Stadtzentrums. Aufgrund der angespannten gesellschaftlichen und politischen Lage hat das Logistikunternehmen das Team von Human Resource Protection (HRP) beauftragt, die bisherigen Entsende-richtlinien auf den Prüfstand zu stellen.

In einem zweiten Schritt sollte Martin K. in einer Schulung befähigt werden, Gefahren frühzeitig zu erkennen und lernen, wie er sich im Bedarfsfall verhalten muss, um weder physisch noch psychisch Schäden davonzutragen.

Gefahrenanalyse als Grundlage für Notfallkonzept

Die Arbeit der Sicherheitsexperten beginnt grundsätzlich mit der Gefahrenanalyse für das jeweilige Zielland. Hierbei fiel beispielsweise der Zeitunterschied von sechs Stunden ins Gewicht, die man in Deutschland „voraus“ ist. Es galt also, die Entsenderichtlinien so anzupassen, dass Martin K. unabhängig von der Erreichbarkeit der Unternehmensleitung weiß, welche Notfallvorsorge das Unternehmen getroffen hat.

Im konkreten Fall haben die Experten von HRP dem Unternehmen empfohlen, einen lokalen, zuverlässigen Mitarbeiter der Niederlassung in Caracas als Sicherheitspartner zu gewinnen. Gleichzeitig legten sie gemeinsam mit den Verantwortlichen Handlungsanweisungen für den Bedarfsfall fest. Daneben war es nötig, eine alternative Unterkunft vor Ort zu finden und dort eine Notfallausrüstung zu deponieren. Dafür kamen Räume in der Niederlassung infrage. Nach zwei Telefonkonferenzen mit dem Niederlassungsleiter Amando S., wurden die festgelegten Maßnahmen umgesetzt und der venezolanische Niederlassungsleiter konnte als Sicherheitspartner gewonnen werden.

Die Gefahrenanalyse und die Handlungsempfehlungen für das Unternehmen bildeten die Schwerpunkte der Reise-Sicherheitsschulung von Martin K. und des Personals der Zentrale in Deutschland.

Die nachfolgende Chronologie zeigt, wie die Schulungen und Beratungen zu Synergieeffekten führten, als es in Caracas darauf ankam:

22:07 Uhr lokale Zeit – Die Sicherheitslage spitzt sich zu

Regierungstreue Demonstranten verkünden mit selbstgemachten Plakaten, dass sie symbolträchtige Gebäude in Caracas besetzen wollen. Mit der Besetzung wollen sie ein Zeichen gegen eine fremde Intervention aus kapitalistischen Ländern setzen. Ohne es zu wissen, übernachtet Martin K. in einem Hotel, das zur Zielscheibe wird.

22:09 Uhr lokale Zeit – Anruf bei Martin K.

Der venezolanische Niederlassungsleiter Amando S., der in Caracas lebt und die Ankündigung mitbekommen hat, ruft Martin K. auf dessen Mobiltelefon an. Martin K. ist zu diesem Zeitpunkt bereits im Hotelzimmer und will schlafen gehen. Amando S. informiert Martin K. über die Bedrohungslage und bittet, ihn in 30 Minuten abholbereit in der Hotellobby auf ihn zu warten.

22:21 Uhr lokale Zeit- Letzte Vorbereitungen

Martin K. wartet in der Lobby und nutzt die Zeit, um sich weiter mit seiner Evakuierung zu befassen. Was er nun anwendet, hat er in der Sicherheitsschulung gelernt. Er blickt in den Stadtplan. Dort hat Martin K. nach seiner Ankunft die Kontrollpunkte der Polizei vermerkt, die ihm bis dato bekannt sind. An der Rezeption fragt er eine Hotelangestellte, aus welchem Grund und wo genau demonstriert wird. Daraufhin erhält er wichtige Informationen. Martin K. versendet eine vorgefertigte E-Mail an das Unternehmen, die Deutsche Botschaft in Caracas und an die Familie in Deutschland. Inhalt: Notfallplan ausgelöst. Alle E-Mail Empfänger sind in den Notfallplan eingewiesen und wissen, was zu tun ist. Amando S. erscheint.

22:27 Uhr lokale Zeit – Die Evakuierung beginnt

Amando S. und Martin K. sitzen im Wagen. Durch das Gespräch mit der Hotelangestellten weiß Martin K., dass die Demonstranten die nächstgelegene Straße, die zu der etwa 12 Kilometer entfernten Niederlassung führt, blockiert haben. Amando S. und Martin K. müssen den zuvor festgelegten Ausweichweg nehmen. Dieser führt beide an einem Kontrollpunkt der Polizei vorbei.

22:39 Uhr lokale Zeit – Zwischenfall am Kontrollpunkt  

Amando S. und Martin K. nähern sich dem Kontrollpunkt der lokalen Polizei. Martin K., der in der Sicherheitsschulung unter anderem auch gelernt hat, wie man sich jetzt verhalten sollte, erklärt Amando S. was nun zu tun ist. Am Kontrollpunkt angekommen, muss Martin K. aussteigen. Sein deutscher Reisepass ist für die Beamten Grund genug, ihn an Ort und Stelle zu verhören. Martin K. lässt sich von den Anschuldigungen nicht aus der Ruhe bringen. Nach 55 Minuten dürfen Amando S. und Martin K. weiterfahren.

00:04 Uhr lokale Zeit – Amando S. und Martin K. erreichen erschöpft die Niederlassung

In einem Lagerraum befinden sich Waschzeug, Lebensmittel, Wasser, Ersatzkleidung, ein faltbares Bett und ein Schlafsack samt Kopfkissen. Martin K. richtet sich für die Nacht ein und bedankt sich bei Amando S., der anschließend wieder in seine Wohnung zurückkehrt.

Martin K. informiert die vorherigen Empfänger via E-Mail darüber, gesund und wohlauf in der Niederlassung angekommen zu sein. An die Zentrale in Deutschland gerichtet, fügt er hinzu, sich gegen Mittag deutscher Zeit in der Personalabteilung zu melden, um das weitere Vorgehen abzustimmen.

08:10 Uhr deutscher Zeit – Frau W. öffnet die E-Mails mit den Ereignissen der vergangenen Nacht

Nach vorheriger Rücksprache mit der Geschäftsleitung holt Frau W., die Personalerin, die für Entsendungen zuständig ist, Informationen über andere Hotels in Caracas ein. Für den Fall, dass Martin K. wolle schnellstmöglich nach Deutschland zurück möchte, prüft Frau W. die Flugverbindungen. Sie ruft bei der Familie von Martin K. an, beruhigt diese und erklärt nochmals die nächsten Schritte im Notfallkonzept. Weiterhin schaut sie im Internet nach, welche psychologische Hilfe, falls erforderlich, in der Nähe des Wohnorts von Martin K. verfügbar wäre. Zu guter Letzt ruft sie im venezolanischen Hotel von Martin K. an und fragt, ob dessen Zimmer unversehrt geblieben ist.

13:20 Uhr deutscher Zeit – Martin K. meldet sich telefonisch bei Frau W.

Martin K. sieht keinen Grund, vorzeitig nach Deutschland zurückzukehren. Frau W. informiert ihn darüber auf, dass das Hotel intakt ist. Die Demonstranten hätten die Lobby zwar verwüstet, in die Wohnetagen seien sie aber nicht vorgerückt. Martin K. entscheidet sich wieder, ins Hotel zurückzukehren und dort die verbleibenden Nächte zu schlafen.

Rückkehr nach Deutschland

Drei Tage nach den Ereignissen kehrt Martin K. planmäßig zu seiner Familie zurück. Am nächsten Tag nimmt er seine Arbeit im Unternehmen wieder auf und erläutert der Geschäftsführung die Geschehnisse. Die angenehme Gesprächsatmosphäre, die man extra für den Rückkehrenden geschaffen hat, sorgt dafür, dass sich Martin K. wahrgenommen und wertgeschätzt fühlt. Alle Erkenntnisse werden auf Vorschlag von HRP durch ein Teammitglied des Sicherheitsdienstleisters protokolliert und fließen in die Entsenderichtlinien des Unternehmens ein.

Gefahrenanalyse
© Oleksii Sergieiev -AdobeStock

Fazit: Dieses reale Praxisbeispiel liefert einen Überblick, wie die Beratungen für ein substanzielles Notfallkonzept, eine Gefahrenanalyse und die Sicherheitsschulung des Reisenden ineinandergreifen können und für einen bestmöglichen, reibungslosen Ablauf in einem Krisenfall sorgen.

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Zu prüfende Punkte bei einer Gefahrenanalyse (Auswahl)

  • Schweregrad der Kriminalitäts- und Korruptionsrate
  • Höhe der potenziellen Gewaltbereitschaft aufgrund der Versorgungskrise
  • Häufigkeit von Gewalt- und Eigentumsdelikten
  • Sicherheit bewachter Wohnviertel
  • Gefahr der Gepäck-Manipulation durch Staatsbedienstete (nach Möglichkeit nur mit Handgepäck reisen)
  • Wahrscheinlichkeit von Express-Entführungen
  • Nutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel
  • Rückzug internationaler Firmen
  • Wahrscheinlichkeit der Zunahme von Unruhen
  • Wahrscheinlichkeit der Abriegelung der Häfen und Flughäfen
  • Potenzielle Gefahr für die psychische Gesundheit des Mitarbeiters beim Anblick grenzenloser Gewalt – verursacht etwa durch Sicherheitskräfte und die Bevölkerung

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Der Autor: 

Benjamin Beutekamp ist Gründer von Human Resources Protection. Der Sicherheitsspezialist bietet seit 2011 global agierenden Unternehmen oder Organisationen jeder Größe mit interaktiven Schulungen, einer Gefahrenanalyse und Beratungen verlässliche und anerkannte Lösungen für die Reiserisiken des 21. Jahrhunderts. Die etablierten Dienstleistungen sind für Mitarbeitende im Firmensitz und Reisende gleichermaßen hilfreich.