Skip to main content
Ad

„Heute wandern Menschen aus wirtschaftlichen Gründen aus.“

Auswandern ist seit vielen Jahrhunderten Traum etlicher Menschen. Volker Reimers, Geschäftsführer des Hamburger Auswanderer-Museums, erläutert im Gespräch ihre Beweggründe.

EXPAT NEWS: Was erwartet Besucher im Auswanderermuseum BallinStadt?

Reimers: In der BallinStadt erwarten die Besucher auf über 2.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche die spannenden Lebensgeschichten der mehr als fünf Millionen Auswanderer, die zwischen den Jahren 1850 und 1934 von Hamburg aus in die Neue Welt aufbrachen. Viele Träume, Hoffnungen, Wünsche haben die Menschen bewegt, eine für die damalige Zeit unglaubliche Reise über den Atlantik hinweg anzutreten. Diesem überaus interessanten und emotionalen Thema widmet sich die BallinStadt.

Unsere Ausstellung ist interaktiv konzipiert mit Audio- und Videoeinspielungen, aber auch mit über1. 500 historischen Dokumenten und Exponaten sowie einer originalgetreuen Kulisse. Die BallinStadt bestand unter anderem aus Hallen, die als Herberge für Auswanderer aus ganz Deutschland dienten, in der sie so lange unterkamen, bis sie ihr Ticket für das Schiff in die Neue Welt einlösen konnten. Jene Hallen, in denen sich auch unser Museum befindet, sind vor einigen Jahren aufwändig originalgetreu rekonstruiert worden.

EXPAT NEWS: Wer ist Ihre Zielgruppe? Sind viele ausländische Gäste darunter?

Reimers: Wir möchten das Thema Auswanderung nicht nur anhand historischer Fakten beleuchten, sondern als etwas Fortlaufendes und Vielschichtiges, in dem sich jeder Mensch wiederfindet. Zu unseren Besuchern gehören daher nicht nur Kulturinteressierte und Schulklassen, die aufgrund des Lehrstoffs zu uns kommen, sondern natürlich auch viele Touristen aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich sowie Familien und Besucher, die oft persönlich mit dem Thema Auswanderung zu tun haben. Darunter sind auch viele amerikanische Besucher, die etwa fünf Prozent unseres Publikums ausmachen. Unsere Ausstellung ist aufgrund ihrer Interaktivität für ein breites Publikum geschaffen und jeder Besucher kann bei uns selbst entscheiden, wie tief er in die Materie einsteigt. Man kann in 90 Minuten durch sein oder aber auch sehr viel mehr Zeit investieren.

EXPAT NEWS: Inwieweit haben sich die Beweggründe für das Auswandern in den vergangenen 150 Jahren verändert?

Reimers: Generell spricht man von drei Hauptmotiven, die Menschen zum Auswandern bewegten: religiöse, politische und wirtschaftliche Gründe. Die erste große Auswanderungswelle ab 1850 war vor allem wirtschaftlich begründet: Damals wanderten hauptsächlich Westeuropäer aus, da in der Alten Welt die Wirtschaft stagnierte, die Landwirtschaft und das Handwerk kaum mehr Erträge einbrachten und so Hunger und Armut den Alltag bestimmtem.

Zudem wanderten auch viele politische Flüchtlinge aus: 1848 war der Versuch, eine Demokratie in Deutschland zu errichten, gescheitert und die Monarchiegegner flohen in die bereits etablierte Republik der USA. Ab 1880 verlagerte sich die Auswanderung nach Osteuropa, denn nun wanderten vor allem Juden aus dem zaristischen Russland aus, die in ihrer Heimat wegen ihrer Religion verfolgt wurden. In den 1920er Jahren waren es dann wiederum Wirtschaftsflüchtlinge, in den 1930er Jahren durch das NS-Regime politisch und religiös Verfolgte, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben und Schutz auswanderten. Heute ist Emigration hauptsächlich wirtschaftlich motiviert, der Wunsch nach einem (besseren) Arbeitsplatz oder größerem wirtschaftlichen Erfolg treibt die Menschen an.

EXPAT NEWS: Was waren die beliebtesten Zielländer in den jeweiligen großen Auswanderungsbewegungen der vergangenen 150 Jahre?

Reimers: Beliebtestes Zielland der Emigranten waren während des gesamten 19. und 20. Jahrhunderts immer die Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders während der ersten großen Auswanderungswellen im 19. Jahrhundert zog es die große Mehrheit der Menschen, nämlich mehr als 90 Prozent aller europäischen Auswanderer, dorthin. Später wanderten die Menschen auch, jedoch nicht in allzu großen Massen, nach Südamerika aus. Dort waren die beliebtesten Zielländer die so genannten ABC-Staaten: Argentinien, Brasilien und Chile. Für die Zeit, in der die meisten Menschen auswanderten – Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts – lässt sich heute sagen, dass etwa 80 Prozent der europäischen Auswanderer in die USA und zehn Prozent nach Südamerika emigrierten. Weitere zehn Prozent zog es nach Kanada, Australien oder Afrika. Heute sind die beliebtesten Länder für deutsche Auswanderer übrigens die Schweiz, die USA und Österreich.

EXPAT NEWS: Ihr Museum bietet auch Familienforschung an. Wie können sich Interessierte den Ablauf vorstellen?

Reimers: In Haus 3 unseres Museums stehen Besuchern kostenfrei mehrere Computer-Terminals zur Verfügung, an denen online in den Datenbanken unseres Partners ancestry.com recherchiert werden kann. Ancestry.com ist das weltweit führende Netzwerk genealogischer Daten und gewährt Zugriff auf fünf Milliarden Namen. Vor allem die dort einsehbaren Hamburger Passagierlisten sind für Familienforscher ein besonderer Schatz, da sie fast vollständig erhalten sind und Ausgangspunkt für weitere Forschungen in entsprechenden Ortsarchiven sein können. Unser geschultes Personal bietet täglich zwischen 13.30 und 15.30 Uhr kostenlose Beratungen an. Auch Einzelberatungen für eine umfangreiche Familienrecherche können angemeldet werden. Diese sind dann kostenpflichtig.

Mehr zum Auswanderer-Museum:

  • Eröffnung: Juli 2007
  • Konzept: Ausstellung über die Auswanderung von Hamburg in die Neue Welt zwischen 1850 und 1934 mit multimedialen und interaktiven Elementen, über 500 Exponaten und Dokumenten und einer originalgetreuen Kulisse. Mit Museumsshop und Restaurant „Nach Amerika“
  • Auszeichnungen: Preis für das Konzept vom History Channel
  • Neben dem Mamburg Museum das erfolgreichste historische Museum Hamburgs
  • Rechtsform: privatwirtschaftlich betrieben; das Museum kommt ohne Förderung von staatlicher oder privater Hand aus
  • Internet: www.ballinstadt.de

Fotos: Auswanderer-Museum BallinStadt