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„Mit deutschen Auswanderern gehen Kompetenzen verloren“

Dr. Friedrich Poeschel verbrachte bereits seine Studienzeit im Ausland, arbeitete dann sowohl in Deutschland als auch im Ausland und ist seit 2013 bei der OECD tätig. Im Juni 2015 erschien der vom ihm verfasste Bericht „Talente im Ausland: Ein Bericht über deutsche Auswanderer“. Im Interview erläutert er spannende Details – so auch, warum es viele Deutsche ins Ausland zieht.

Expat News: Ihr Bericht liefert umfassende Informationen über deutsche Auswanderer, beispielsweise zu deren Bildungsniveau, Destinationen und Arbeitssituation. An wen richtet sich diese Publikation und zu welchem Zweck?

Poeschel: Der Bericht wendet sich an die allgemeine Öffentlichkeit. Man wusste lange Zeit wenig über deutsche Auswanderer, ihre Qualifikation und ihre Berufe. Auf der Grundlage des Berichts lässt sich nun viel besser einschätzen, welches Potenzial die deutschen Auswanderer gerade auch für den Arbeitsmarkt in Deutschland darstellen.

Expat News: Woher gewinnen Sie Ihre Erkenntnisse beziehungsweise woher stammen die gelieferten Ergebnisse.

Poeschel: Die Schwierigkeit besteht ja darin, aus aller Herren Länder Informationen zusammenzutragen über die deutschen Auswanderer, die dort wohnen, und dabei noch die Vergleichbarkeit der Informationen sicherzustellen. Das ist der OECD jedoch gelungen, indem man von den Statistikämtern der OECD-Mitgliedsländer die wichtigsten Angaben abgefragt und systematisiert hat – zu Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Beruf und zur Dauer des bisherigen Aufenthalts im Gastland.

Expat News: Warum wohnen Deutsche im Ausland?

Poeschel: 3,4 Millionen Personen, die in Deutschland geboren sind, wohnten 2011 in anderen OECD-Ländern – das ist die Einwohnerzahl Berlins. Damit stellen deutsche Auswanderer die fünftgrößte Gruppe von Emigranten in OECD-Ländern nach den Mexikanern und Briten, aber nur knapp hinter Indern und Chinesen. Eine Reihe von Untersuchungen deutet darauf hin, dass die deutschen Auswanderer in erster Linie für die Karriere ins Ausland gehen. An zweiter Stelle stehen familiäre Gründe. Ein wichtiger Grund ist auch das Studium: Die 140.000 Studenten aus Deutschland sind die größte Gruppe internationaler Studenten aus einem OECD-Land.

Deutsche Auswanderer

Expat News: Wie viele Auswanderer wollen nach Deutschland zurückkehren?

Poeschel: Für diejenigen mit deutscher Staatsbürgerschaft lassen sich die Bewegungen nachvollziehen: Zuletzt kehrten Jahr für Jahr etwa 120.000 von ihnen zurück, aber gleichzeitig wanderten etwa 140.000 aus – im Saldo setzt sich die Auswanderung also fort. In Umfragen können sich zwischen einem Viertel und der Hälfte aller deutschen Auswanderer vorstellen, aus ihrem Gastland fortzuziehen, und dann würden sie vor allem wieder nach Deutschland zurückkehren.

„Für die meisten Auswanderer sind Freunde und Familie Grund für die Rückkehr“

Expat News: Was sind die Hauptgründe für die Rückkehr?

Poeschel: Im Vergleich zu den Auswandernden zeigt sich bei Rückkehrern das umgekehrte Bild: Hier sind Familie und Freunde die wichtigsten Beweggründe, erst danach kommt die Karriere. Damit es wirklich zur Rückkehr kommt, braucht es aber meist ein Arbeitsangebot aus Deutschland – auch wenn es sich nicht um einen Aufstieg handeln muss.

Expat News: Laut Ihrer Erhebung gibt es mehr Frauen, die aus Deutschland ausgewandert sind als Männer. Sind Frauen anders spezialisiert als Männer?

Poeschel: 2011 waren 55 Prozent aller deutschen Auswanderer Frauen, 2001 waren es noch 57 Prozent. Die Zahl der Frauen mit tertiärer Bildung ist in diesem Zeitraum aber gestiegen, stärker als die der Männer. Frauen haben also besonders dazu beigetragen, dass die Qualifikation der deutschen Auswanderer insgesamt zugenommen hat.

Expat News: In welche Länder gehen Auswanderer mit hohem Bildungsniveau und in welche Länder gehen Auswanderer mit niedrigem Bildungsniveau?

Poeschel: Deutsche Auswanderer mit hoher oder mittlerer Qualifikation gehen vor allem in die USA, in die Schweiz und nach Großbritannien. Geringqualifizierte Auswanderer bevorzugen ebenfalls die USA, sind in großer Zahl aber auch in Italien und Spanien zu finden.

Expat News: Durch die Medien gewinnt man den Eindruck, dass vor allem Personen mit niedrigem Bildungsniveau ins Ausland gehen. Können Sie dies bestätigen? Wenn ja, warum?

Poeschel: Das kann ich so nicht bestätigen. Gerade auch Menschen mit guter Ausbildung gehen ins Ausland, denn sie wollen aus ihrer Ausbildung etwas machen und finden die passendsten Angebote eben manchmal im Ausland. Dementsprechend ist die Auswanderungsrate höher unter denen, die eine tertiäre Bildung haben. Ein Vergleich zwischen Auswandernden und Rückkehrern zeigt außerdem, dass Hochqualifizierte unter den Rückkehrern unterrepräsentiert sind – das deutet darauf hin, dass Hochqualifizierte eher im Ausland bleiben.

Education emigrants

Expat News: Welche Berufsgruppen sind in welchen Ländern besonders gefragt?

Poeschel: In der Schweiz beispielsweise leben besonders viele Naturwissenschaftler, Ingenieure und Mathematiker aus Deutschland, aber auch Betriebswirte und Mediziner. Eine beträchtliche Zahl von Lehrkräften aus Deutschland arbeitet in der Schweiz, in Österreich und in Kanada. In den Vereinigten Staaten gibt es viele deutsche Ingenieure und Krankenpflegekräfte.

Expat News: Gibt es bestimmte Berufsgruppen, die sich von dem Rest abheben?

Poeschel: In den Gesundheitsberufen nimmt die Zahl der Auswanderer besonders schnell zu. 2011 zählten 25.000 Ärzte zu den deutschen Auswanderern, mehr als aus irgendeinem anderen OECD-Land. Die Zahl der ausgewanderten Krankenpflegekräfte war sogar doppelt so hoch.

Expat News: Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem Zahlenwerk zu beschäftigen? Wo ist Ihr persönlicher Auslandsbezug?

Poeschel: Dieses Projekt ist mehr oder weniger zufällig bei mir gelandet, so dass ironischerweise ein deutscher Emigrant den Bericht über deutsche Emigranten geschrieben hat. Schon mein Studium habe ich in England angetreten, und seitdem habe ich außer in Deutschland auch in Italien und Frankreich gearbeitet. Wie bei vielen anderen ging es mir nicht darum, aus Deutschland wegzuziehen, sondern darum, mehr von der Welt und ihren Möglichkeiten zu entdecken.

Expat News: Der erste Band dieser Publikationsreihe ist Deutschland gewidmet. Sollen weitere Länder folgen und wenn ja, welche?

Poeschel: Inzwischen steht fest, dass der nächste Bericht Auswanderer aus Marokko behandelt. Starkes Interesse besteht auch in osteuropäischen Ländern, die ja in den letzten Jahren eine hohe Auswanderung erlebt haben. Ein Ziel dieser Berichte wird sein, herauszufinden, wie man die Erfahrungen und Kompetenzen der Auswanderer nutzen kann, selbst wenn sie nicht wieder dauerhaft in ihr Heimatland zurückkehren. Ein lebendiger Austausch kann zum Beispiel zu Investitionen, Handel und Wissenschaft beitragen.

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Buchtipp:

Dr. Friedrich Poeschel: „Talente im Ausland: Ein Bericht über deutsche Auswanderer“

OECD Publishing

ISBN 978-9264234048

156 Seiten; 45 Euro

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