Skip to main content
Ad

„Ich würde eher mein Leben lang Fahrradfahren als auf meine Weltreiseerfahrung zu verzichten“

Der Psychologe Dr. Martin Krengel war ein Jahr auf einer Weltreise. Im Interview erzählt er, was dieses Erlebnis mit seiner Persönlichkeit gemacht hat und warum Reisen erstens nicht teuer sein muss und das beste Selbst-Coaching überhaupt ist.

EXPAT NEWS: Eine aktuelle Studie hat ergeben, dass es der größte unerfüllte Traum der meisten Deutschen ist, eine Weltreise zu machen. Sie haben es getan, insgesamt 20 Länder bereist und sogar ein Buch darüber geschrieben, in dem Sie die Menschen motivieren, es Ihnen gleich zu tun. Wie kam es dazu?

Krengel: Davor führte ich ein Leben, wie wohl viele Durchschnitts-Deutsche in meinem Alter: Ich hatte Pläne, mit meiner Freundin ein Appartement in Berlin zu finanzieren, Nestbau und so. Wir waren ja beide Anfang dreißig und da wird es langsam „ernst“. Also wollte ich diese Reise machen, um danach „Erwachsen zu werden“ und ins geregelte, pflichtbewusste Leben zu gehen – ohne eben das Gefühl zu haben, ich hätte etwas verpasst oder nicht getan. Ich habe zunächst angefangen, kleine Testballons zu starten um zu sehen, wie es wäre wenn ich es wagen würde. So habe ich etwa einen Zeichenkurs in Florenz gemacht, Schauspielunterricht in Los Angeles genommen und probehalber in New York gelebt. Das waren jeweils nur 4 bis 6 Wochen, doch es hat mir gereicht, um diese Träume zu erfüllen. Ich musste nicht aus jedem Experiment gleich ein ganzes Lebensprojekt machen.

EXPAT NEWS: Wie haben Sie Ihre Weltreise finanziert?

Krengel: Das ist interessant, dass mir diese Frage immer wieder gestellt wird. Wenn ich 100 Personen von meiner Reise erzähle, fragen mindestens 90 als erstes: „Was hat es gekostet?“ Ich finde, das sagt viel über unsere Kultur aus. Man schaut zuerst auf das Hindernis. Viel wichtiger sind doch die Fragen: „Was hast du erlebt?“, „Was hat es dir gebracht?“, „Was hast du gewonnen?“ Für mich waren die Erlebnisse so intensiv, es kam mir gigantisch lang vor – ich fühle mich nun, als hätte ich zweimal gelebt. Aber zugegeben: Von dem Geld hätte ich mir einen schicken VW Golf mit sauberen Abgaswerten kaufen können. Aber lieber würde ich mein Leben lang mit dem Fahrrad fahren als auf diese Erfahrung zu verzichten.

EXPAT NEWS: Woher hatten Sie das Geld dafür?

Krengel: Ich habe neben meiner Doktorarbeit vier Bücher geschrieben und 30 bis 40 Seminare pro Jahr gehalten, so dass ich ein Stück weit vom Ersparten und von den laufenden Buchverkäufen leben konnte. Zudem habe ich immer mal wieder ein paar Zeilen getippt oder die Geschäfte in Deutschland mit Blick auf den Strand koordiniert. Auf diese Weise konnte ich recht luxuriös reisen. Der Luxus bestand allerdings für mich nicht in Exklusivität – also beispielsweise in besonders schicken Hotels zu übernachten, sondern in Flexibilität. Zum Beispiel war es mir wichtig, auch kurzfristig, etwa drei Tage vor Reiseantritt einen Flug zu buchen oder ich gönnte mir mal ein Einzelzimmer statt einer Übernachtung im Gruppenzimmer eines Hostels. Ich hab einmal in einem Hostel in Auckland geschlafen, es war aber so laut dass ich überhaupt nicht schlafen konnte. Ich habe 20 Euro gespart, aber einen ganzen Arbeitstag eingebüßt, an dem ich 200 Euro hätte verdienen können. Seitdem habe ich mir einfache Hotels geleistet, da gab es guten Schlaf, einen Schreibtisch, Internet und guten Kaffee, so dass ich dort gut schreiben oder arbeiten konnte.

Martin_Krengel_Osterinseln

Es ist ein Irrtum, dass Reisen sehr teuer sein muss. Ich konnte meine laufenden Kosten in Deutschland auf rund 200 Euro für Versicherungen runterfahren, habe mein Auto verkauft, die Wohnung vermietet. In Südostasien oder in den Anden kann ich bereits für circa 25 Euro am Tag recht gut leben. Wer langsam reist und Busse als Transportmittel vorzieht, kann damit auf Achse deutlich günstiger als in Deutschland seinen Alltag bestreiten.

EXPAT NEWS: Als so genannter digitaler Nomade?

Krengel: Genau. Inzwischen haben sich einige Netzwerke gebildet, die sich über das Leben und Arbeiten im Ausland austauschen. Es entwickeln sich zurzeit auch immer mehr Zentren von Freiberuflern oder Unternehmern, die sich an bestimmten Orten in Thailand, Kolumbien oder Bali rege austauschen und gemeinsam mit Blick auf den Strand oder die Berge „co-worken“.

EXPAT NEWS: Haben Sie durch die Weltreise eine Antwort auf die berühmte Frage nach dem Sinn des Lebens gefunden?

Krengel: Die Reise hat mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Aber es sind gute Fragen. Die richtigen. Ich habe erkannt: Ich werde wohl nie „fertig“ sein, sondern immer nur einen Schritt weiter gehen. Das Fazit meiner Reise lautet daher: Sich den richtigen Fragen im Leben zu stellen ist spannender, als alle Antworten zu kennen. Ich ging aber eindeutig gestärkt und verändert aus diesem Abenteuer hervor und habe drei essentielle Dinge für mich gelernt: Erstens: Erwachsen werden wird vollkommen überbewertet. Zweitens: Ich muss nicht in Deutschland sein, um Geld zu verdienen. Drittens: Ich brauche nicht immer zu wissen, wohin mich der nächste Schritt führt.

Jedes Land dieser Reise steht für mich für einen bedeutenden Lerneffekt, den ich manchmal klar und manchmal zwischen den Zeilen in meinem Buch nachempfinden lasse.

EXPAT NEWS: Was erwartet den Leser in Ihrem Buch „Stoppt die Welt – Ich will aussteigen“?

Krengel: Das Buch ist ein lebhafter Reisebericht, in dem ich meine kuriosen Abenteuer in einigen der spannendsten Städte wie Rio de Janeiro, New York oder Peking beschreibe und was ich im Kontrast dazu an den abgelegensten Orten dieser Welt erlebt habe – zum Beispiel, wie ich bei minus 17 Grad in einem mongolischen Jurtenzelt nächtigte, im Südseestaat Tonge gestrandet bin oder einen Kokusnuss-Wurm im brasilianischen Urwald vernaschte. Mir war es aber auch wichtig, eine Art Entwicklungsroman mit Tiefgang zu schreiben. Deshalb erzähle ich auch von meinen Rückschlägen, Überraschungen und Schwierigkeiten. In jedem Kapitel, hinter jeder Station, schwingt eine wichtige Lernerfahrung mit, die zu einem überraschenden Ende führt.

Außerdem soll das Buch andere Menschen dazu motivieren, ihre kleinen und großen Träume zu verwirklichen. Wir haben alle Wünsche, Träume, Geheimnisse. Das kann eine Reise betreffen, einen Jobwechsel, oder einen faszinierenden Menschen, den wir furchtbar gerne kennenlernen möchten. Doch anstatt anzupacken und uns das zu holen, von dem wir träumen, zögern, hadern und zaudern wir Es ist eine Form der Prokrastination und Selbst-Sabotage. Gerade jene Dinge, die wir uns am sehnlichsten wünschen, machen uns oft die größte Angst. Und so glauben wir, dass wir vorsichtig vorgehen müssen und wollen erstmal alle Informationen und Sicherheit haben, ob der Schritt der richtige ist, den wir gehen wollen. Damit beißt sich die Katze aber in den Schwanz. Denn wenn wir die Dinge nicht testen und probieren, fehlen uns die Erfahrungen um zu beurteilen, ob dieser Schritt in diese Richtung so gut ist.

EXPAT NEWS: Also ist Ihr Reisebericht auch ein Motivationsbuch?

Krengel: Eben nicht. Zu behaupten, ein großes Ziel zu erreichen und sich einen Traum zu erfüllen, sei einfach und man müsse nur daran glauben, ist nicht seriös. Sich Lebensträume zu erfüllen ist mitunter harte Entwicklungsarbeit – an sich selbst, an seinem Umfeld. Ich will zeigen, wie es sich anfühlt, mit den inneren und äußeren Widerständen zu verhandeln, um herauszufinden, was das Beste für einen ist. „Traue deinen Träumen!“ – diese Botschaft möchte ich all denen vermitteln, die in sich einen Wunsch hegen, sich aber nicht trauen ihn anzupacken. Jeder von hat etwas in sich, dass er verbirgt, weil es ihm unrealistisch erscheint, oder es ihm Angst bereitet. Als ich meinem Umfeld von meinen Weltreiseplänen berichtete, haben mich viele ungläubig angesehen, als sei ich ein Morgenmensch, der falsch abgebogen ist. Da kommst du selbst ins Zweifeln, was du tust. Ich möchte einfach Inspiration sein und nehme den Leser mit auf den Weg von der ersten Idee bis hin zur Rückreise.

EXPAT NEWS: Sie schreiben, das Reisen das beste Selbstcoaching ist, das Sie kennengelernt haben.

Krengel: Ja, absolut. Denn weit weg ist man verdammt nah an sich selbst dran. (Allein-)Reisen ermöglicht es einem, sich mit seinen Gedanken und Stimmungen tiefer auseinanderzusetzen. In den Stunden des aus-dem-Bus-Starrens oder in den Zeiten, in denen es einem auch mal schlecht geht, werden ganz wichtige Synapsenverbindungen neu gelegt, denn wenn wir auf Achse sind, wiederholen wir viele Prozesse, die für unser tägliches Leben entscheidend sind, schnell und durchleben sie immer wieder neu. Auf Reisen muss man sich täglich in Geduld üben, sich immer wieder neu entscheiden, flexibel sein und Unsicherheit aushalten, zudem lernt man immer wieder die unterschiedlichsten Leute kennen. Ich glaube, wir könnten die Ausbildung um ein Jahr verkürzen und die Menschen lieber in die Universität des Lebens schicken. Aber nicht jeder kann zu jederzeit eine solche Reise machen, das ist mir klar. Deswegen habe ich das Buch auch im Präsens, also in der Jetzt-Form geschrieben, damit der Leser meine Erlebnisse quasi live miterleben kann.

[dropshadowbox align=“none“ effect=“lifted-both“ width=“auto“ height=““ background_color=“#ffffff“ border_width=“1″ border_color=“#dddddd“ ]

Buchtipp:

Stoppt die Welt_neuMartin Krengel

Stoppt die Welt, ich will aussteigen!

Kuriose Abenteuer einer Weltreise. (Arschtritt inklusive.)

352 Seiten, 19,99 Euro

Eazybookz Travel; ISBN: 978-3-941193-22-2

Auch als eBook

http://www.martinkrengel.com/reisen/weltreise/

[/dropshadowbox]