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„Ich habe zehn Jahre nach dem passenden Land für mich gesucht“

Die Ärztin Dr. Karin Freudenberg hat sich in Kenia einen Kindheitstraum erfüllt und führt ein spannendes Leben auf einer Modell-Farm. Im Interview erzählt sie von ihrer langen Suche und davon, wie sie schließlich ihre neue Heimat fand.

EXPAT NEWS: Sie haben 20 Jahre lang als Ärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde gearbeitet. Was hat Sie dazu bewegt, Ihre Zelte in Deutschland abzubrechen und nach Kenia zu gehen?

Freudenberg: Dem ging eine lange Findungsphase voraus. Ich war viele Jahre sehr glücklich in meinem Beruf als Ärztin. So arbeitete ich unter anderem in einer sehr großen Ambulanz, wo ich auch dank zweier erfahrener und kluger Arztkollegen dazu ermutigt wurde, mich dem Naturheilverfahren zuzuwenden. Bis ich 40 war, arbeitete ich wie besessen und habe zudem nach meiner Scheidung alleine meine drei Söhne großgezogen. Dann geschah mir etwas, das heute als Burnout bekannt geworden ist. Ich fühlte mich fürchterlich ausgebrannt, müde und irgendwie unglücklich. Jahrelang hatte ich im Akkord gearbeitet und funktioniert – irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich nahm mir ein Jahr Auszeit, in dem ich dank einer Freundin viele Kurse besuchte, die dabei helfen, sich selbst zu finden – also beispielsweise Meditationskurse, Yoga und so weiter. Nach einem Jahr eröffnete ich meine eigene Praxis für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde in Weinheim an der Bergstraße, weil ich nicht erneut in die Mühlen geraten und mir meinen Tag selbst einteilen wollte und langsam reifte der Gedanke, auszuwandern.

EXPAT NEWS: Wie kam es dazu?

Freudenberg: Da ist Vieles zusammengekommen, so auch mein Burnout. Ich hatte mich bis dato schon sehr lange nicht mehr in Deutschland heimisch gefühlt. Über die Gründe kann man spekulieren. Vielleicht lag es daran, dass meine Familie in meiner Kindheit häufig umgezogen ist und ich deshalb nie richtig Wurzeln schlagen konnte – wer weiß. Tatsache ist, dass ich Deutschland nicht als „mein“ Land empfand. Und dann begann meine zehnjährige Suche nach dem passenden Land für mich, in dem ich leben wollte.

EXPAT NEWS: Wie sah die Suche danach aus? Sind Sie viel gereist?

Freudenberg: Genau. Ich habe praktisch mit dem Finger auf die Landkarte getippt und habe mich auf die Reise zu diesen Orten gemacht. Da ich die Wärme mag und brauche, fielen schon einmal eine ganze Reihe Länder weg, etwa Kanada oder Finnland. Meine Reisen führten mich nach Sri Lanka, Mexiko, Guatemala, Portugal und Spanien, einfach nur der Intuition folgend. Ich habe allerdings keine Kurzreisen unternommen, sondern war schon mindestens drei Wochen am Stück in einem Land, um herauszufinden, ob ich dort leben möchte. Aber letztendlich habe ich in dieser Zeit einfach nicht das für mich bestimmte Land gefunden.

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EXPAT NEWS: Auf welcher Grundlage haben Sie entschieden, dass die von Ihnen bereisten Länder nicht für ein dauerhaftes Leben dort in Frage kommen?

Freudenberg: Ich habe das gefühlt. In der Findungsphase vor meinem Burnout hatte ich ein Leben nach außen geführt, ein Leben, das vorbeirauschte wie im Flug. Da gab es weder Zeit noch Muße auf sein Inneres zu hören, geschweige denn einfach innezuhalten und alles Äußere auf sich wirken zu lassen. Alleine unterwegs in diesen Ländern habe ich versucht, alle Eindrücke mit all meinen Sinnen wahrzunehmen, still zu sein und das Wahrgenommene zu erfassen. Es sind dann die Gerüche oder die Geräuschkulisse eines Landes, die bei mir nachgehallt haben. Nach drei bis vier Wochen habe ich gespürt, ob ich in diesem Land noch länger leben wollte oder nicht. Klar war mir von Anfang an, dass ich kein urbaner Mensch bin und in keiner internationalen Metropole leben möchte. Ich liebe die Einfachheit und Natur und wünschte mir vor allem ein neues Leben ohne dieses Gehetztsein, den Leistungsdruck und Status – ein Leben ohne die große Aufwertung des Materiellen.

EXPAT NEWS: Und wie kam es, dass schließlich Kenia die neue Heimat für Sie wurde?

Freudenberg: Das passierte im Grunde in einer Zeit, in der ich weniger fokussiert, weniger auf der Suche danach war. In dem Gemeindeblatt, in das ich sonst nie hineinsah, las ich im Jahr 2005 einen Bericht über ein Hilfsprojekt in Tansania, das mich irgendwie faszinierte. Ich rief die angegebene Nummer an und es ging die Projektleiterin ans Telefon, die sich gerade in Deutschland aufhielt. Sie sagte mir, ich könne gemeinsam mit ihr direkt nach Tansania fliegen und mir das Projekt ansehen. Das habe ich tatsächlich getan und mich vom ersten Moment an sehr wohl in Tansania gefühlt. Später erfuhr ich, dass mein Ur-Urgroßvater nach Tansania ausgewandert war und dort sehr glücklich war.

Ich hatte dann mehrmals längere Aufenthalte in Tansania und mir gefiel es dort sehr gut. Nur leider stellte sich das Hilfsprojekt als undurchführbar heraus. Ich war ziemlich enttäuscht darüber. Zu meinem neuen Leben gehörte auch der Wunsch, etwas Nützliches für die Gemeinschaft zu tun – am liebsten vor dem Hintergrund der Naturheilkunde. Dann kontaktierte mich eines Tages ein entfernter Verwandter, der in Kenia lebte. Wir trafen uns schließlich und so lernte ich meine heutige Heimat kennen.

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EXPAT NEWS: Dort haben Sei eine Art Modellfarm – Miti Milele – zum Anbau von Hartholzbäumen und medizinischen Pflanzen gegründet. Wie kam es dazu?

Freudenberg: Ich war lange auf der Suche nach einem sinnvollen Projekt, bei dem ich mich engagieren wollte. Aber es ist wirklich schwer, eine wohltätige Organisation in Kenia zu finden, die den eigenen Vorstellungen entspricht. Und dann muss auch noch die Chemie zwischen allen Akteuren stimmen. Ein eigenes Projekt aufzubauen, scheiterte bei mir an den ungeheuer langwierigen Formalitäten. Ich werde nächstes Jahr 60 Jahre alt und habe einfach nicht mehr die Kraft und den Langmut, einen solchen Prozess voranzutreiben. Eines Tages hatte ich so eine Art Eingebung. Im Gespräch mit meiner Vermieterin sagte ich: „Jetzt habe ich endlich mein Land gefunden und fühle mich so wohl hier, sollte ich nicht auch kleines Stück Land kaufen?“ Und das tat ich dann. Ich sah dieses Stück Land und dachte wirklich: „Mein Gott, hier will ich einmal leben!“

Da dieses Stück Land nicht brach liegen sollte, beschloss ich dort Kasuarinen-Bäume zu pflanzen. Dies sind Harthölzer, die sehr zügig wachsen und unter anderem für den Bau von Häusern verwendet werden, also einen hohen Nutzwert haben. Beim Bepflanzen der etwa 7.000 Setzlinge halfen mir damals etwa 100 Leute aus der Nachbarschaft. Während dieser Arbeit bin ich so richtig in Liebe zu diesem Land verfallen. Sicherlich hatte es auch etwas mit dem Umstand zu tun, diese anstrengende physische und mentale Arbeit innerhalb einer Gemeinschaft zu verrichten.

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Später entwarf ich mein erstes eigenes Haus, das inzwischen auf diesem Land steht. Bevor ich Ärztin wurde, wollte ich Innenarchitektin oder Goldschmiedin werden – auf jeden Fall etwas Kreatives tun. Ich schätze, meine kreative Ader habe ich beim Hausbau ausleben können. Das Haus ist als Kleeblatt angelegt und auch sonst ganz nach meinen Vorstellungen gestaltet, wenngleich es unheimlich viel Arbeit war, alles so zu errichten, wie ich es wollte. Anfangs gab es hier noch nicht einmal Strom geschweige denn fließendes Wasser.

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EXPAT NEWS: Wie finanzieren Sie Ihre Modellfarm?

Freudenberg: Die Kasuarinen-Bäume liefern mittlerweile einen Ertrag und ich habe auch weiteres Land erworben, dessen Wert sich inzwischen vervielfältigt hat. Im Großen und Ganzen lebe ich allerdings von meinem Ersparten. Neben den Bäumen ziehe ich auch Heilpflanzen wie Aloe Vera, Moringa und viele andere heran und schule meine Angestellten in Naturheilkunde. Ich habe zwar eine Arbeitserlaubnis als Ärztin in Kenia, aber in den Krankenhäusern der Umgebung herrschen desolate Zustände und ich weiß nicht, ob ich mich noch einmal so sehr aufreiben könnte. Mein Sohn plant, auf einem Stück von meinem Land im Rahmen eines Pilotprojektes ein Earthbag-Haus zu errichten. Dabei handelt es sich um organische, nachhaltige Häuser, die außerordentlich stabil gegenüber Wärme, Kälte, Erdbeben und Hochwasser sind. Vorgesehen ist außerdem eine Art Gemeindezentrum, wo beispielsweise Versammlungen für den Frieden abgehalten werden können und Unterricht, etwa zum Anbau von Heilkräutern, stattfinden kann. Vielleicht habe ich dann auch die Möglichkeit, in irgendeiner Form wieder dort als Ärztin zu arbeiten.

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EXPAT NEWS: Was haben Sie von den Menschen in Kenia lernen können und was glauben Sie, haben die Menschen an Ihnen als Deutsche bisher zu schätzen gelernt?

Freudenberg: Seitdem ich hier lebe, habe ich vor allem gelernt, die Gegenwart stärker zu schätzen und wahrzunehmen, also im Hier und Jetzt zu leben. In Afrika weiß man nie, was morgen sein wird, denn dieser Kontinent ist sehr unsicher. Der Tod ist hier ein ständiger Begleiter. Dieses Bewusstsein hat die Menschen gelehrt, den Augenblick zu genießen. Umgekehrt haben meine kenianischen Freunde und Angestellten von mir gelernt, dass es dennoch sinnvoll sein kann, vorauszuschauen und zu planen. Eine meiner Angestellten hat kürzlich ein Kind bekommen und denkt viel an dessen Zukunft – so sehr, dass ihr Mann belustigt feststellte, sie hätte ja einen richtig deutschen Kopf.

EXPAT NEWS: Was raten Sie Menschen, die es beruflich oder privat nach Kenia zieht, insbesondere in punkto Vorbereitung?

Freudenberg: Afrika ist sicherlich nicht Jedermanns Sache. Wer hier leben möchte, sollte sich zunächst Informationen von anderen Auswandern holen und mehrere Probereisen machen. Man sollte nichts überstürzen, sondern Schritt für Schritt vorangehen. Wer Land erwerben möchte, sollte dies nur mit einem empfohlenen und offiziell zugelassenen Anwalt tun. Zudem sollte man die Lebenshaltungskosten und seine eigenen Einkommensverhältnisse kennen sowie rechnen, rechnen, rechnen. Besonders wichtig ist es, eine Exit-Strategie zu haben, für den Fall, dass Krieg herrscht oder eine Naturkatastrophe alles zerstört. Es sollte stets genug Geld da sein, um das Land zu verlassen und woanders wieder von vorne anfangen zu können.

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EXPAT NEWS: Sind Sie zufrieden mit Ihrer Entscheidung, nach Kenia auszuwandern oder gab es schon Momente, in denen Sie bereut haben, hier Wurzeln zu schlagen?

Freudenberg: Nie. Nicht einmal, als ich vor drei Jahren an Malaria erkrankte, habe ich meine Entscheidung bereut. Auch die vielen Enttäuschungen, die ich erlebt habe, konnten mich nicht davon abhalten, in Kenia weiterzumachen. Ich fühle mich heimisch, bin raus aus meinem Hamsterrad gekommen, habe zu mir gefunden und Verantwortung für einige Menschen und für die auf meiner Farm lebenden Tiere übernommen. Eine Kleinigkeit ist vielleicht noch bemerkenswert. Als junges Mädchen und Frau wollte ich immer einmal auf einem Bauernhof leben. Nun lebe ich auf meinem afrikanischen Bauernhof mit vier Kühen – eine ist schwanger –, vier Ziegen und ein paar Hühnern, ein kleiner Gemüsegarten ist auch dabei. Gottes Wege sind schon wundersam.

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Miti Milele bedeutet in Swahili „Bäume für die Ewigkeit“ und steht für die Nachhaltigkeit von Dr. Karin Freudenbergs Handeln. In Seminaren und Gemeindearbeit trägt sie das ganzheitliche Wissen des ökologischen Waldfeldbaus, der kombinierten Forst- und landwirtschaftlichen Nutzung, weiter und will dadurch den Menschen ermöglichen, ohne Hunger gesund und glücklich zu sein. Gleichzeitig werden die natürlichen Bedingungen berücksichtigt und nachhaltig genutzt.

http://www.mitimilele.com

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