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»Es ist sinnlos, Risiken zu verschweigen«

Warum Unternehmen weiter Mitarbeiter in Terrorgefährdete Gebiete entsenden und damit Risiken eingehen, inwieweit ein einseitig durchgeführtes Sicherheitstraining sogar noch schaden kann und weshalb auch in Krisenländern Alltag möglich ist, hat uns Expatriate-Forscher Professor Dr. Benjamin Bader im Interview erzählt.

Expat News: Warum entsenden Unternehmen Mitarbeiter überhaupt in Hochrisiko-Länder und setzen sie damit großen Gefahren aus?

Bader: Viele deutsche Produkte, insbesondere aus der Industrie, sind nun mal sehr stark nachgefragt – vor allem in Ländern, die aufgrund von Kriegen und langjährigen Krisen Aufbauarbeit leisten müssen. Staaten wie Afghanistan oder der Irak müssen ihre Infrastruktur von Straßen über Wasserwerke bis hin zu neuen Fabriken von Grund auf neu erschließen. Und die deutsche Wirtschaft ist vor allem in Sachen moderner Technologie und Fertigung an der Weltspitze. Deutsche Unternehmen, die in Risikostaaten aktiv sind, tun dies gewiss nicht aus Abenteuerlust, sondern aus einer gewissen Notwendigkeit heraus, um im Wettbewerb bestehen zu können. Wenn sie es nicht tun, bekommen andere Unternehmen den Auftrag.

Expat News: Wie können Arbeitgeber potenzielle Expats auf einen Einsatz in sicherheitsgefährdeten Ländern am sinnvollsten vorbereiten?

Bader: Wichtig ist zunächst, dass Unternehmen Risiken nicht verschweigen oder diese gar schönreden. Expats sollten genau wissen, welche Risiken sie bei ihrer Entsendung eingehen. An zweiter Stelle steht die Vorbereitung. Sinnvoll ist neben einem interkulturellen Training auch eine Sicherheitsschulung. Generell können Menschen mit Gefahren beziehungsweise mit der Aussicht auf Risken viel besser umgehen, als man denkt. Das war eine entscheidende Erkenntnis im Rahmen unserer Umfrage zum Thema Entsendungen in Hochrisikoländer.

„Jeder vierte Expat hätte sich eine Gefahrenschulung gewünscht“

Expat News: Wie meinen Sie das?

Bader: Im Zuge meiner Recherchen sprach ich unter anderem mit Mitarbeitern, die in Kriegs- und Krisengebiete entsandt wurden. Sie sagten, dass erstaunlich schnell ein Gewöhnungseffekt eintritt, der wie ein Schutzmechanismus wirkt. Außerdem passten sie sich an kritische Situationen an, gingen beispielsweise nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr alleine ins Freie und so weiter. Diese Verhaltensweisen werden irgendwann Teil des Alltags, so dass Gefahren weniger einschüchternd wirken. Dieses Verhalten muss aber auch „gelernt“ oder trainiert werden.

Expat News: Wie viele der Befragten haben vor ihrer Entsendung in ein sicherheitsgefährdetes Land ein entsprechendes Training erhalten?

Bader: Lediglich jeder Vierte. Tatsächlich hätten sich auch die anderen drei Viertel eine vorbereitende Gefahrenschulung gewünscht. Hinzu kommt, dass einige Trainings aus Sicht der Expatriates sehr unzureichend waren, weil sie lediglich darauf zielten, Verteidigungsstrategien zu vermitteln. Die Befragten wünschten sich aber auch, auf Verhaltensweisen bei interkulturellen Konflikten vorbereitet zu werden. Es sollte nicht das Ziel sein, sich in einer Gefahrensituation verteidigen zu können, in die man sich zuvor jedoch durch mangelnde interkulturelle Kompetenz selbst hineinmanövriert hat. So ist es beispielsweise schon vorgekommen, dass deutsche Bauingenieure in Arabien in Schwierigkeiten gerieten, weil deren Sicherheitsleute nach Feierabend in der Öffentlichkeit Alkohol tranken. Viele Ge- fahren entstehen durch einen Mangel an Kenntnissen.

„Wissen über politisch-kulturelle Verhältnisse ist hilfreich.“

Expat News: Was ist in punkto Vorbereitung weiter wichtig?

Bader: Unsere Studie zeigt, dass Wissen über die politisch-kulturellen Verhältnisse sehr hilfreich ist. Expatriates in risikoreichen Regionen sollten unbedingt  das Regierungssystem, die religiöse Ausrichtung und den kulturellen Background der Menschen des Gastlandes kennen. Dadurch können sie potenzielle Konflikte und Gefahren besser erkennen und einordnen. Wir wissen inzwischen, dass sich Terroranschläge in Krisenländern oft gegen die eigenen Landsleute mit anderen religiösen Wurzeln oder politischen Überzeugungen richten. Expats und ihre Familien sollten deshalb etwa Marktplätze, Kirchen oder bestimmte Pilgerstätten meiden, um sich nicht in Gefahr zu begeben.

Expats sollten sich in Netzwerken über Risiken in der Entsenderegion austauschen 

Expat News: Stichwort Familie: Sicherlich begleiten Partner und Kinder Entsandte deutlich seltener in gefährdete Staaten als anderswohin?

Bader: Erstaunlicherweise nicht zwangs- läufig. Vor allem bei Entsendungen ab einer Dauer von zwei Jahren reisen die Angehörigen relativ häufig mit. Oft überwiegt die Sorge, in Deutschland vor Angst um den Partner verrückt zu werden. Es erscheint deshalb als kleineres Übel, sich gemeinsam der potenziellen Gefahr zu stellen.

Expat News: Welche Möglichkeiten haben Expats, sich eigenständig über mögliche Unruheherde in den entsprechenden Ländern zu informieren?

Bader: Es gibt in den USA das National Counterterrorism Center (NCTC), das auf seiner Website umfassende Informationen und Jahresberichte über Terrorgefährdete Länder zur Verfügung stellt. Für einige Staaten rät das NCTC sogar explizit, die Familie nicht mitzunehmen. Suchende finden außerdem Jahresberichte über Terroranschläge auf der ganzen Welt. Und dann ist es ratsam, sich mit anderen Expats, die bereits vor Ort sind, auszutauschen. Netzwerke wie beispielsweise InterNations erleichtern den Austausch vorab. Ohnehin ist festzustellen, dass Netzwerke mit anderen Expats den Entsandten auch auf psychologischer Ebene helfen und zwar insoweit, dass derartige persönliche Beziehungen den Stress mindern.

Expat News: Wie ist der aktuelle Forschungsstand beim Thema Entsendung in Risikogebiete?

Bader: Am Lehrstuhl für Internationales Management der Universität Hamburg führen wir zurzeit eine groß angelegte Studie dazu durch. Wir haben mehr als 150 Entsandte in Risikogebiete befragt. Allgemein zeigt sich, dass deren Unterstützung gering ist. Viele Expats fühlen sich schlecht vorbereitet und wünschen sich eine intensivere Vorbereitung. Auch wird die Betreuung vor Ort oft als unzureichend empfunden. Die Folgen davon sind Stress und eine hohe Abbruchquote. Gemeinsam mit einigen Unternehmen arbeiten wir gerade daran, spezifische Vorbereitungstrainings für die Entsendung in Risikogebiete zu entwickeln und umzusetzen.

Zur Person:

Professor Dr. Benjamin Bader hat an der Universität Hamburg (Lehrstuhl Prof. Dr. Nicola Berg) promoviert und sich im Rahmen seiner Dissertation mit dem Arbeitstitel »Management in High Risk Countries« eine entsprechende Umfrage unter Expatriates in Ländern mit stark ausgeprägter Terrorismusgefahr durchgeführt.

Inzwischen ist er stellvertretender Leiter des Departments für Leadership, Work and Organisation an der Newcastle University in England. Die Forschungsschwerpunkte von Benjamin Bader umfassen primär Personalmanagement, Mitarbeiterführung, sowie Expatriate Management. Dabei steht insbesondere das Management von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Hochrisikogebieten (hostile environments) im Vordergrund.

Profil von Benjamin Bader

E-Mail: benjamin.bader@ncl.ac.uk