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Entsenderrichtlinien: Wer holt das meiste raus?

Unternehmen, die regelmäßig Mitarbeiter nach Asien entsenden, sollten eine verbindliche Entsende-Policy entwickeln. Andernfalls ist schlechte Stimmung unter Expats vorprogrammiert. Was zeitgemäße Richtlinien in der Praxis bringen können, zeigt folgender Fall: Vor seiner ersten Entsendung nach Macao trifft sich Bauingenieur Simon Heller zu einem Informationsgespräch mit seinem ehemaligen Kollegen Hendrik Krämer. Wie Heller war dieser ein paar Jahre zuvor als Bauingenieur in einem Projekt des neuen Las Vegas des Ostens beschäftigt. Das als gemütlicher Abend geplante Treffen bei einem Glas Bier hat allerdings ernste Konsequenzen: Bereits am Folgetag kommt es zu einem Eklat zwischen Bauspezialist Heller und seinem Arbeitgeber, in dessen Folge Heller sich weigert, nach Macao zu gehen. Was war passiert?

Entsende-Policy sollte transparent und verbindlich sein

Heller hatte von seinem Ex-Kollegen erfahren, dass dieser für sein zweijähriges Projekt nicht nur deutlich mehr Geld als er bekommen hatte – bei gleicher Qualifikation und nahezu identischem Aufgabenprofil – sondern auch diverse weitere Extras wie zum Beispiel die Finanzierung für die Schulausbildung seiner Kinder und Zulagen für eine ansehnliche Wohnung. Es kostete die renommierte mittelständische Baufirma zusätzliches Geld und vor allem viel Überzeugungskraft, um Ingenieur Heller doch noch zum Antritt der Entsendung zu bewegen. „Das Unternehmen hatte zum damaligen Zeitpunkt keine für alle Expats verbindliche und transparente Entsende-Policy, in der beispielsweise Auslandsgehalt und Gratifikationen definiert sind“, erläutert Andreas Opitz von der BDAE GRUPPE in Hamburg, die den Bauträger nach dem beinahe gescheiterten Auslandseinsatz in allen Entsendefragen beriet. Bis dato hatte der BDAE-Kunde lediglich einzelne Entsendeverträge gestaltet, bei denen galt: Wer sich am besten verkauft und am härtesten verhandelte, holte auch das meiste für sein Auslandsengagement heraus.

Grundsätzlich dient die Entsenderichtlinie der Fairness unter den international entsandten Mitarbeitern untereinander, aber auch dem Verhältnis der Kollegen im Heimatland. Zudem soll sie einheitliche Informationen über die Rahmenbedingungen eines Auslandseinsatzes gewährleisten, auf die sich Personalabteilungen wie Mitarbeiter berufen können (siehe auch Infokasten). In die Entsenderichtlinie sollte idealerweise auch stets die Unternehmenskultur einfließen. Zum Verständnis: Eine Entsenderichtlinie im beschriebenen Kontext ist kein gesetzliches Regelwerk, das sich an vorgegebenen Normen orientiert, sondern eine Art allgemeingültiger Rahmenvertrag, der den individuellen Arbeitsvertrag eines Expats flankiert.

„Rundum-Sorglos-Paket“ hat ausgedient

Inzwischen verzichtet kaum noch ein Unternehmen, das regelmäßig Auslandseinsätze für Mitarbeiter plant, auf die hilfreiche Policy. Allerdings: „Einige Gesellschaften beziehungsweise Personalverantwortliche verschlafen Entwicklungen und Trends im Expatriate-Management, was sie in der Praxis teurer zu stehen kommt, als es müsste“, erläutert Auslands-Experte Opitz. So habe das Rundum-Sorglos-Paket für Entsendungen ausgedient. Stattdessen vergüten Unternehmen ihre entsandten Mitarbeiter zunehmend zu lokalen Konditionen und packen lediglich ein zu verhandelndes Plus drauf. Eine Erschwerniszulage beispielsweise gibt es nur noch in Ausnahmefällen. Opitz bringt es auf den Punkt: „Eine Entsendung in Länder wie China, Shanghai und selbst Indien gilt längst nicht mehr als waghalsiges Abenteuer, geschweige denn als Härtefall, sondern ist eine großartige Chance für die Karriere.“

Diese Beobachtung bestätigt eine 2010 vom renommierten Economist-Verlag durchgeführte weltweite Expatriate-Studie*. Tatsächlich zahlen nur noch 58 Prozent der entsendenden Unternehmen einen Mietzuschuss, 56 Prozent einen Heimatflug, lediglich 39 Prozent steuern etwas zum Schulgeld der Kinder bei und weniger als jede dritte Firma (29 Prozent) zahlt noch eine Erschwerniszulage. Dafür sind Unternehmen eher bereit, ihren Expatriates Sprach- oder interkulturelle Trainings zu finanzieren (36 Prozent). Der Grund: Zahlreiche Studienteilnehmer betrachten die kulturelle Kompetenz als einen der wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Entsendung.

Radikale Einsparungen kollidieren mit Fürsorgepflicht

Wer seinen Expatriates zu wenig Zugeständnisse macht und allein auf den möglichen Karrieresprung hinweist, kann mit dieser Strategie jedoch auch auf die Nase fallen. Die Analyse eines Entsendevertrages des Expatriates eines Elektro-Unternehmens, das einen Techniker nach China entsenden wollte, bestätigte schnell, was die beratende BDAE Gruppe bereits ahnte: Der Elektronik-Spezialist hatte den Mitarbeiter fast ausschließlich zu lokalen Konditionen eingestellt. Kein Wunder, dass dieser nachverhandeln wollte und sich weigerte, unter diesen Umständen die Reise in die chinesische Niederlassung anzutreten. Hintergrund: Bei einer leichten Gehaltserhöhung, maximal 20 Urlaubstagen, keinem einzigen Heimatflug, musste der Expat sogar in das chinesische Sozialversicherungssystem eintreten. Zwischen letzterem und dem deutschen liegen jedoch (Qualitäts-)Welten. „Aus unserer Sicht war die Position des Unternehmens fast fahrlässig. Das A und O einer Entsenderichtlinie ist, dass Mitarbeitern kein finanzieller Nachteil entsteht“, betont Opitz und verweist auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers sowie auf den Grundsatz, nach dem ein entsandter Mitarbeiter nicht schlechter gestellt werden darf als sein Pendant im Heimatland.

Bausteinlösungen mit Zusatzpaketen sind gefragt

Eine überaus fortschrittliche Entsende-Policy hat vor einiger Zeit das Software-Haus SAP aufgelegt und diese im Global Mobility Report des FAZ-Instituts und Ernst & Young** vorgestellt. Bei SAP existieren zwei grundsätzliche Entsenderichtlinien. In der ersten ist das Heimatland der Ausgangspunkt und der Mitarbeiter erhält dort Gehalt und Benefits. Darüber hinaus bekommt er einen materiellen oder anders gearteten Ausgleich (zum Beispiel Finanzierung der Auslandsschule für die Kinder) für die Nachteile, die ihm durch den Auslandseinsatz entstehen. Für die zweite Richtlinie ist das Gastland die Basis, in dem der Expatriate einen lokalen Arbeitsvertrag erhält. Für den Schritt in die Ferne leistet der Arbeitgeber zusätzliche, aber zeitlich befristete Benefits wie Bezahlung eines Relocation-Unternehmens für den Umzug und den Hinflug für die Familie. Um dennoch eine Flexibilität zu gewährleisten, ergänzt SAP beide Modelle bei Bedarf um Zusatzpakete, in denen variable Bestandteile wie Lebenskostenausgleich, Wohnungszulage oder Schulgeld enthalten sind. Dies sei notwendig, um den unterschiedlichen hierarchischen Positionen und der jeweiligen Qualifikation der Mitarbeiter Rechnung zu tragen. Denn selbstverständlich habe ein langjähriger IT-Spezialist mit familiärem Hintergrund eine andere Verhandlungsbasis als etwa ein 25-jähriger lediger Berufsanfänger.

Regelmäßiges Überprüfen und Anpassen unerlässlich

„Entscheidend beim Anwenden von Entsenderichtlinien ist auch die Motivation eines Mitarbeiters. Es ist ein Unterschied, ob die Firma die Entsendung einer in der Auslandsniederlassung benötigten Fachkraft veranlasst oder ob der Wunsch vom Arbeitnehmer selbst ausgeht und diesen vor allem das Abenteuer beziehungsweise der Karrieresprung reizt“, weiß Auslandsexperte Opitz.

Haben Unternehmen eine passende und praktikable Entsende-Policy entworfen, dürfen sie vor allen Dingen eines nicht vergessen: Die Richtlinien sind dynamische Dokumente, sie bedürfen einer regelmäßigen Überprüfung und Anpassung an sich verändernde Umstände. Dazu ein abschließendes Beispiel: Nach der Katastrophe von Fukushima sollte kein Unternehmen seinem Expat weismachen, der Trip nach Japan sei eine Vergnügungsreise und eine Erschwerniszulage sei unangemessen. Und damit es keiner Personalabteilung geht wie der Baugesellschaft bei der Entsendung Simon Hellers nach Macao, ist es ratsam, die Entsenderichtlinien transparent zu kommunizieren und in der Praxis zu leben.

* Up or Out. Next moves fort the modern expatriate – A report from the Economist Intelligence Unit

** Global Mobility. Auslandsentsendung gut geplant. Gespräche mit Personalverantwortlichen aus global agierenden Unternehmen. (ISBN: 978-3-89981-698-3)

 

Welche Punkte eine Entsenderichtlinie klären sollte:

  • Was gehört zur Vorbereitung des Auslandseinsatzes und wer organisiert was (z.B. Arbeitserlaubnis, Visa, Pässe etc.)
  • Notwendigkeit von medizinischen Untersuchungen
  • Verhalten des Expats im Einsatzland (z.B. Ausschluss politischer oder religiöser Tätigkeiten, Produktionsordnungen)
  • Zahlungsquelle (entsendendes oder ausländisches Unternehmen) und Höhe der Vergütung sowie gesonderte Zulagen (z.B. Lebenshaltungsausgleich, Mietzulagen, Schulgeld)
  • Kosten für Sozialversicherung und ggf. für Steuerberater
  • Dauer des Auslandsaufenthaltes, Urlaub und Arbeitszeiten
  • Position des Mitarbeiters nach dessen Rückkehr ins Unternehmen

Foto: © Pakmor – Fotolia.com