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„Die kulturellen Unterschiede zwischen Engländern und Deutschen sind klein, aber fein“

Dr. Jonna Struwe begleitete als frisch gebackene Mutter ihren Mann auf eine mehrjährige Entsendung nach England. Wie sie sich dort einlebte und was sie anderen potenziellen Expat-Familien für den Schritt in die Ferne rät, erzählt sie im Interview.

EXPAT NEWS: Ihr Mann wurde vor ein paar Jahren nach England entsandt und Sie begleiteten ihn als so genannte trailing spouse, also Expat-Partnerin. Wie kam es dazu?

Struwe: Ich arbeitete bei einer Unternehmensberatung in Hamburg, war hochschwanger und kurz davor, meine Doktorarbeit zu beenden, als das Angebot für meinen Mann kam. Zu diesem Zeitpunkt habe ich einen Umzug ins Ausland so dringend gebraucht wie ein Loch im Kopf, um ehrlich zu sein. Bis zur Geburt meiner Tochter waren es nur noch vier Wochen, die Dissertation war in der Abschlussphase, da wollte ich alles andere, aber nicht in dieser Situation ins Ausland. Andererseits war ich auch sicher, dass ich nach der Geburt erst einmal Elternzeit nehmen wollte. Und meinem Mann eine Chance zu verbauen, nur um die Elternzeit daheim zu verbringen, kam nicht in Frage. Also dachten wir, diese weitere Herausforderung bekommen wir auch noch bewältigt. Im Nachhinein würde ich es jedoch nicht noch einmal so machen wie damals.

EXPAT NEWS: Weshalb?

Struwe: Schlussendlich waren es doch zu viele Veränderungen auf einmal. Es gab so viele Parameter, die auf Null gesetzt waren. Und wir haben unsere Rolle als frischgebackene Eltern etwas unterschätzt. Allein dies wirft bereits so vieles um, aber dann auch noch in einem fremden Land zu leben, mit einem völlig neuen Umfeld und einem neuen Job, damit gab es immens viel zu bewältigen. Wir mussten uns als Paar und Eltern neu sortieren und uns in die neue Heimat integrieren. Hinzu kam, dass wir nicht etwa in einer Metropole wie London lebten, sondern auf dem Land in den Midlands, weit ab jeder Expat-Community. Die Midlands, das ist im Bilderbuch-England zwischen London und Birmingham in der Nähe von Northampton. Hügel, Hecken, Schafe. In dem Dorf, in dem wir lebten, gab es nichts, nicht mal einen für England so typischen Pub! Besonders schwierig war es für mich, sich mit der medizinischen Infrastruktur zu arrangieren. In England gibt es keine niedergelassenen Kinderärzte. Mit einem drei Monate alten Kind kann das ganz schön beängstigend sein. Wenn meine Tochter krank war, musste ich also jedes Mal den weiten Weg in ein Krankenhaus aufnehmen. Einerseits war es reizvoll, mitten unter Briten zu leben, nicht in einer Expat-Welt,  wir wollten ja das „echte“ Leben kennenlernen, aber wir waren in etwa so abgeschnitten wie in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb.

EXPAT NEWS: Inwieweit hat die Firma Ihres Ehemannes Sie als Expat-Partnerin bei den Vorbereitungen des Auslandsaufenthaltes unterstützt? Was haben Sie vermisst?

Struwe: Der Umzug fand sehr kurzfristig statt. Um alles vorzubereiten, bekam ich von der Firma Unterstützung, eine Tagesmutter zu finden. Dennoch wäre mehr Anlaufzeit besser gewesen. In England engagierte ich eine Nanny, die über eine Allowance – also einen finanziellen Zuschlag des entsendenden Unternehmens – finanziert wurde. So konnte ich alles regeln und weiter an meiner Doktorarbeit schreiben.

Jonna Struwe mit Familie
Jonna Struwe mit Familie

Was es nicht gab, war etwa eine länderspezifische interkulturelle Vorbereitung. Möglicherweise, weil die Unterschiede zwischen Briten und Deutschen nicht so offensichtlich sind wie beispielsweise im Vergleich zu Chinesen. Eine Relocation-Agentur half uns bei der Wohnungssuche. Dabei blieb es allerdings. Hilfe bei der Integration bekamen wir leider nicht. Was mir fehlte – auch weil es noch keine sozialen Online-Netzwerke zu dem Zeitpunkt gab – war der Erfahrungsaustausch mit anderen. Dadurch war ich ziemlich auf mich gestellt.

EXPAT NEWS: Sind Sie aufgrund der interkulturellen unterschiede auch mal in Fettnäpfchen getreten?

Struwe: Mein Mann und ich haben es uns so ähnlich wie einen Erasmus-Aufenthalt vorgestellt. Einen solchen hatten wir beide während des Studiums absolviert. Aber ein studienbedingter Aufenthalt ist dann doch nicht mit einem langfristigen Aufenthalt im Ausland vergleichbar. Unterm Strich sind die kulturellen Unterschiede zwischen Engländern und Deutschen nicht groß, aber dafür fein.

„Engländer verfassen zu jedem Anlass Einladungskarten“

 

Wir wussten zum Beispiel nicht, dass es in England üblich ist, für alle denkbaren Einladungen offiziell Karten zu schreiben, selbst für ein zwangloses Barbecue beispielsweise. Wir luden zum Anfang einmal Kollegen meines Mannes zum Abendessen bei uns ein – formlos per E-Mail. Es kam nur ein deutscher Kollege. Weil wir keine offizielle Einladungskarte verschickten, nahm niemand unser Angebot ernst. Später fiel mir dann auf, dass es sogar einzelne Geschäfte gibt, die nichts anderes im Sortiment haben als Einladungs-, Genesungs- und Glückswunschkarten für alle nur denkbaren Anlässe.

Zudem mussten wir uns zunächst an die feinen Gepflogenheiten und äußerst dezent-höflichen Hinweise der Einheimischen gewöhnen. Als wir das erste Mal bei Briten zum Abendessen eingeladen waren, sind wir prompt zu lange geblieben. Beim dritten Angebot, ob wir nicht Kaffee möchten, ist dann auch bei uns Kontinentlern der Groschen gefallen und wir haben den geordneten Rückzug angetreten. Gott sei Dank war unsere Begriffsstutzigkeit ohne Folgen – im Gegenteil. Wir wurden gute Freunde im Laufe der vier Jahre.

Ein weiteres Missverständnis erlebte ich in Bezug auf das Nationalgetränk der Briten. So bin ich im Heimatland des «Afternoon Tea» einmal für meinen losen Tee belächelt worden. Als eine meiner englischen Freundinnen mein Teedosen-Sortiment sah und mich beim Abmessen und Aufbrühen beobachtete, siegte ihr ungläubiges Staunen über jede englische Zurückhaltung. Ich hab mich augenblicklich wie ein altmodischer Snob gefühlt, der sich fortschrittlichen Erfindungen wie dem Teebeutel verweigert und den sogenannten «Builders‘ tea» als Unterklassengebräu verachtet. Teeblätter in der Kanne aufbrühen, statt einfach jedem einen Beutel in die Tasse zu hängen! Meine Exzentrik wurde immerhin mit einem Lachen quittiert und zwei Tage später hat sie mir ein Tee-Ei für die Tasse geschenkt, damit ich wenigstens nicht mehr aus der Kanne einschenke.

EXPAT NEWS: Wie sind Sie mit Ihrer Rolle als Expat Frau umgegangen und wie haben Sie Anschluss an Einheimische gefunden?

Struwe: Im Dorf selbst, in dem wir lebten, fand ich keinen Anschluss, sicherlich auch aufgrund der fehlenden Infrastruktur. Man ist schlichtweg niemandem begegnet, weil es keine Begegnungsstätten gab.

Als meine Tochter sechs Monate alt war, nahm ich sie mit in alle erdenklichen Babygruppen, beispielsweise zum Babyschwimmen. So entstand nach und nach ein Netzwerk mit anderen Müttern. Interessant ist, dass wir irgendwie ausschließlich mit Briten Freundschaften schlossen, die auch mal im Ausland gelebt haben. Offenbar verbindet die ähnliche Lebenserfahrung und solche Menschen sind Ausländern gegenüber offener.

Meine Rolle als Expat-Frau habe ich nicht als unangenehm empfunden, es wäre wahrscheinlich schwieriger gewesen, wenn ich schon mit Kind im Berufsleben gewesen wäre. Somit war die Entwicklung zur „trailing spouse“ ein schleichender Prozess. Außerdem hatte ich durch das Schreiben meiner Dissertation eine weitere anspruchsvolle Rolle. Natürlich fehlte der Austausch mit Kollegen, aber diese Veränderung hätte es aufgrund meiner Elternzeit auch in Deutschland gegeben. Wenn ich mich während das Auslandsaufenthaltes mal nicht so gut fühlte, konnte ich auch nie einem bestimmten Umstand die Schuld geben – sei es Muttersein, neue Umgebung oder das Dasein als Expat-Frau. Die Veränderung war so komplex, die Stellschrauben so zahlreich, dass die Ursache für Unbehagen schwer zu definieren war.

Jonna Struwe mit ihren Kindern
Jonna Struwe mit ihren Kindern

Rückblickend hätte ich aber mit der Auslandserfahrung noch ein halbes Jahr gewartet, denn mit Neugeborenen kann man noch nicht so viel unternehmen. Andererseits ist es auch toll anhand seiner Kinder zu erleben, wie das Aufwachsen von der ersten Minute an woanders ist. Unser Sohn wurde in England geboren, so dass ich von der Schwangerschaft bis zu seinen ersten Lebensjahren alles in einem völlig anderen Umfeld erlebte. Somit erhielten unsere Kinder eine völlig neue Art der Sozialisation. Wenn man beispielswiese mit einem Schulkind ins Ausland geht, hat das alles schon stattgefunden.

EXPAT NEWS: Inwiefern unterscheidet sich die Sozialisation von der in Deutschland?

Struwe: Im allgemeinen Umgang mit Kindern ist das sehr gut ersichtlich. Engländer sind ja so höflich und freundlich, sagt man. Wir empfanden das genauso. Wenn man schließlich sieht, wie sie mit ihren Kindern umgehen, versteht man auch warum. Sie richten immer das Augenmerk auf das Positive, haben stets ein nettes Wort für die Kleinen übrig, auch wenn einiges nicht in Ordnung ist. „Good girl, good boy, well done“, hört man ständig, selbst für kleinste Kleinigkeiten. In Deutschland ist das nicht so. Das erste, was wir im Kindergarten hörten, als wir unsere Tochter dort vorstellten, war: „Was hast du denn für komische Gummistiefel an?“ In England begegnet man den Kindern extrem wohlwollend und integrativ. Dort würde ein solcher Spruch nicht fallen. Stattdessen würde man so etwas wie „Oh, what lovely shoes!“ hören. Es sind solche Gesten, die die britische Kultur prägen. Die Menschen leben vielmehr nach dem Motto: Ich kenne dich nicht, also bin ich erstmal nett zu dir. Wenn ich in Deutschland beispielswiese in eine Turngruppe gehe, werde ich wahrgenommen, aber nicht unbedingt herzlich begrüßt. Das persönliche Kennenlernen passiert erst mit der Zeit und dann auch recht beiläufig.

„Expats sollten sich vorab über die medizinische Versorgung im Ausland informieren“

 

EXPAT NEWS: Viele Familien stehen vor der Entscheidung, ob Sie für den Job ein paar Jahre ins Ausland gehen oder nicht. Nach welchen Kriterien sollten Sie Ihrer Erfahrung nach abwägen und die Entscheidung treffen?

Struwe: Meiner Erfahrung nach sollte die medizinische Versorgung bei der Entscheidung für einen Auslandsaufenthalt an oberster Stelle stehen. In dem Zusammenhang empfehle ich, unbedingt eine private Auslandskrankenversicherung abzuschließen, die auch in Deutschland gilt. Somit kann man beispielsweise Vorsorgeuntersuchungen in Deutschland machen. Selbst innerhalb Europas sind in diesem Bereich die Unterschiede groß, auch wenn sie bei Therapien und Medikationen weniger deutlich sein mögen.  Viele Vorsorgeleistungen, die wir kennen, sind woanders unbekannt.

Ohnehin habe ich im Ausland gelernt: Es gibt keinen Anlass, über das deutsche Gesundheitssystem zu mosern. Unser Prinzip der Fachärzte und der freien Arztwahl ist schon super. In England läuft alles über den Allgemeinarzt, der einen dann an einen Facharzt seiner Wahl oder direkt ins Krankenhaus überweist. Selbst als Privatversicherter kann man dieses System nicht umgehen.

Ein weiteres Kriterium ist die Infrastruktur des Ortes, in dem man eventuell leben möchte. Hätten wir damals mehr Vorbereitungszeit gehabt, hätten wir einen größeren und belebteren Wohnort gewählt. Ohnehin kann ich nur dazu raten, sich nicht hetzen zu lassen, auch wenn die Firma einen unter Druck setzt. Man sollte sich vor dem Schritt ins Ausland genau überlegen, in welchem sozialen Umfeld man leben will. Möchte ich unter Einheimischen oder in einer Expat-Community leben? Brauche ich die Metropole oder ein naturbelassenes Umfeld? Wer mit Kindern im schulpflichtigen Alter ins Ausland geht, muss sich natürlich auch darüber informieren, ob es eine passende Schule vor Ort gibt. Und auch da kann es unterschiedliche Bedürfnisse geben. Soll mein Kind auf eine internationale oder deutsche Schule oder auf die staatliche Schule gehen?

EXPAT NEWS: Wie gestaltete sich insbesondere für ihre bis dato in England aufgewachsenen Kinder die Rückkehr nach Deutschland?

Struwe: Das war auch eine dieser Situationen, die ich völlig unterschätzt hatte. Meine Tochter bekam einen Kulturschock, denn sie kannte Deutschland ja nur von unseren Besuchen. Ich habe mir das damals nicht klargemacht, was das für sie bedeuten würde. Für meine Kleine war der Schritt zurück in unsere Heimat zu kommen, so wie ins Ausland zu gehen. Für sie war es ein absoluter Ausnahmezustand, der sich in Wutanfällen manifestierte. Ich war froh, dass ich damals noch Elternzeit hatte, so konnte ich für meine Kinder ganz intensiv da sein. Dinge, die auf der emotional-psychischen Ebene ablaufen, brauchen nun mal viel Zeit und Energie.

EXPAT NEWS: Sie haben mit Expatmamas.de ein Portal geründet, das Müttern wichtige Tipps rund um das Thema „Mit Familie ins Ausland“ gibt. Welche mittel- und langfristigen Ziele verfolgen Sie mit dieser Webseite?

Struwe: Expatmamas soll eine Anlaufstelle für Mütter im Ausland werden, wo sie konkrete Tipps bekommen, beispielsweise zum Thema Elterngeld, Schule, Umzug oder Arztbesuche. Dinge, die man die Freundin fragen würde. Es soll ein weltumspannendes Netzwerk entstehen und mit den gesammelten Infos eine Art Wissensdatenbank von Müttern für Mütter. Das Portal soll eine Austauschmöglichkeit für Expat-Mütter im Ausland bieten. Ich freue mich besonders über die Mamas, die bloggen oder über Kommentare ihre Erfahrungen mitteilen. Mein Erfahrungsschatz beschränkt sich ja nur auf ein Land, aber auf diese Weise kann expatmamas die verschiedensten Winkel der Welt abbilden.

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Über Expatmamas

Expatmamas.de ist die erste deutschsprachige Seite für Frauen, die mit ihren Familien im Ausland leben oder bald dorthin umziehen werden. Ihr Ziel ist es, Expat-Müttern mit vielen praktischen Tipps zu helfen und ihnen eine Plattform geben, um voneinander zu profitieren – egal wo auf der Welt. Die Website umfasst viele Lebensbereiche: von Kindergarten über Berufstätigkeit im Gastland bis hin zu Gesundheitsfragen. Kein mühsames Zusammensuchen mehr im Internet sondern alles auf einen Blick.

www.expatmamas.de[/dropshadowbox]

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