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Wenn falsche Verträge Expatriates verärgern

Es sind oftmals kleine Fehler im Auslandsentsendungs-Management, die aus einem anfänglichen Sturm im Wasserglas einen Tornado entstehen lassen, der mühsam Aufgebautes schädigen kann. Solche Fehler entstehen oft aufgrund von Unkenntnis komplexer Bestimmungen im Sozialversicherungs- oder Arbeitsrecht in Kombination mit schludrigen Verwaltungsakten der Behörden. Ein reales Fallbeispiel zeigt, wie Versäumnisse korrigiert werden können.

Im konkreten Fall drohte die Entsendung des Mitarbeiters eines Maschinenbauunternehmens in die Niederlassung nach Israel vorzeitig zu enden. Der Grund: Wegen einer mangelhaften Vorbereitung der Auslandsentsendung waren Ansprüche in der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge des entsandten IT-Ingenieurs Markus B. in Gefahr. Hinzu kamen finanzielle Einbußen im fünfstelligen Bereich. Sein Ärger auf den Arbeitgeber war berechtigt: Dieser hatte bei der Entsendung nicht nur selbst Fehler gemacht, sondern schlichtweg das Pech, für die Beantragung der Entsendebescheinigung einen inkompetenten Mitarbeiter der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erwischt zu haben. Überdies hatte die Firma auch noch einem auf diesem Gebiet weniger erfahrenen Fachanwalt für Arbeitsrecht vertraut.

 350.000 Euro für Vorbereitung der Auslandsentsendung

Der renommierte Maschinenbauer hatte Ende 2008 in Israel einen sehr lukrativen Auftrag für den Bau einer Solaranlage erhalten. Mitarbeiter Markus B. ist einer von wenigen IT-Spezialisten im Bereich der Photovoltaik und für das Gelingen des Projektes in Israel unentbehrlich. Als B. von dem administrativen Schlamassel im Rahmen seines Auslandseinsatzes erfuhr, drohte er damit, die Entsendung umgehend abzubrechen – für die Personalabteilung ein absolutes Desaster. Nicht nur dass sich die gesamte Vorbereitung des Auslandseinsatzes als äußerst langwierig und komplex erwiesen hatte, es war überdies ein halber Kraftakt gewesen Markus B. davon zu überzeugen, Deutschland für mindestens vier Jahre den Rücken zu kehren. Den Ausschlag gab neben etlichen Anreizen wie mehreren Heimatflügen pro Jahr, einem Auslandszuschlag und der Finanzierung einer Wohnung schließlich die Aussicht auf eine Beförderung nach der Rückkehr. Grob überschlagen investierte die Firma rund 350.000 Euro in die Entsendung  nach Israel.

Entsendebescheinigung zu unrecht ausgestellt

Was war passiert? Als Markus B. einwilligte, Anfang 2009 für mindestens vier Jahre nach Israel zu gehen, beantragte die Personalabteilung bei der Krankenkasse des Mitarbeiters die Entsendebescheinigung ISR/D101 für die Tätigkeit in Israel. Gemeinsam mit Deutschland hat das Land ein Sozialversicherungsabkommen über die Weitergeltung der Vorschriften zur sozialen Sicherheit im jeweiligen Land abgeschlossen. Das Abkommen bezieht sich auf die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sowie auf die Renten- und Unfallversicherung. Sind alle Voraussetzungen für eine Entsendung erfüllt, verbleiben deutsche Mitarbeiter in Israel im deutschen Sozialversicherungssystem.

„Die Bestätigung über die Weitergeltung der deutschen Sozialversicherung in Israel niemals hätte ausgestellt werden dürfen.“

Tatsächlich erhielt die Firma für Markus B. für die ersten vier Jahre die Entsendebescheinigung. Nach Ablauf dieser Zeit stellte sie einen Antrag auf Verlängerung. Etwa zwei Wochen nachdem die Personalverantwortlichen den Antrag eingereicht hatten, bekamen sie vom zuständigen Sachbearbeiter einen Anruf, in dem dieser mitteilte, dass die Entsendung nicht verlängert würde und Markus B. in das israelische Sozialversicherungssystem übertreten müsse – und dies, obwohl das Abkommen keine zeitliche Befristung vorsieht. Zu diesem Zeitpunkt – so hieß es – dürften auch keine Beiträge mehr ins deutsche System abgeführt werden. Völlig verwirrt über diese Nachricht, schaltete das Unternehmen die BDAE Gruppe ein, um eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einzuholen.

Kriterien für Ausstrahlung der Sozialversicherungspflicht nach SGB IV:

1. Der Arbeitnehmer muss sich auf Weisung seines Arbeitgebers ins Ausland begeben, um dort für diesen eine Tätigkeit auszuüben.

2. Das inländische Beschäftigungsverhältnis muss fortbestehen. Dafür gilt folgende Definition:

  • Die Verantwortung für den Arbeitnehmer liegt beim entsendenden Unternehmen.
  • Der Arbeitsvertrag bleibt in vollem Umfang mit diesem Unternehmen bestehen.
  • Das Unternehmen kann den Arbeitnehmer entlassen sowie die Art und Weise seiner Tätigkeit bestimmen.
  • Die Arbeit im Gastland wird auf Rechnung des entsendenden Unternehmens ausgeführt.

3. Die Entsendung muss im Voraus zeitlich befristet sein. Dafür gibt es anders als bei der Entsendung in EU/ EWR-Staaten keine vorgegebene maximale Frist.

„Dass der Sachbearbeiter der Krankenkasse dennoch eine Entsendebescheinigung ausstellte, ist uns absolutes Rätsel.“

„Bei der Krankenkasse hatte es eine Prüfung gegeben, bei der stichprobenartig Entsendeanträge und deren Bescheinigung auf ihre Richtigkeit überprüft wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die Bestätigung über die Weitergeltung der deutschen Sozialversicherung in Israel niemals hätte ausgestellt werden dürfen“, sagt Sozialversicherungsexperte Omer Dotou von der BDAE Gruppe, der den Fall des Maschinenbauunternehmens übernahm. Tatsächlich hatte die Firma  niemals die Voraussetzungen einer Auslandsentsendung erfüllt. Die Gründe:

  • Neben dem fortbestehenden Arbeitsvertrag erhielt Markus B. einen weiteren lokalen Arbeitsvertrag von der Niederlassung in Israel.
  • Die Gehaltskosten für Markus B. wurden zwischen beiden Niederlassungen aufgeteilt.

„Dass der Sachbearbeiter der Krankenkasse dennoch eine Entsendebescheinigung ausstellte, ist uns absolutes Rätsel. Bei näherer Betrachtung weist das Beschäftigungsverhältnis bei einer israelischen Gesellschaft den Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Gestaltungsmerkmale aus. Diese Tatsache schließt eine Entsendung und somit den Verbleib in der deutschen Sozialversicherung aus, auch wenn die zeitlich begrenzte Beschäftigung auf Veranlassung oder mit Zustimmung der deutschen Gesellschaft zustande gekommen ist und eine Abrechnung von Personalkosten zwischen beiden Unternehmen stattfindet“, kommentiert Auslandsexperte Dotou.

Doppelversicherung trotz Sozialversicherungsabkommens

Bei der Prüfung des Falles tauchten noch weitere Fehler auf. So hatte die Personalabteilung sowohl in Deutschland als auch in Israel Sozialversicherungsbeiträge abgeführt – und dies obwohl das Sozialversicherungsabkommen eine solche Doppelversicherung doch vermeiden soll! Insgesamt rund 80.000 Euro an unnötigen Beitragssummen zahlte das Unternehmen, weil von Vornherein keine Versetzung des Mitarbeiters gewählt wurde, was die arbeitsrechtlich sinnvollste Konstellation gewesen wäre. Bei der Sichtung der Unterlagen entdeckte das BDAE-Experten-Team zudem einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, in dem die deutsche Gesellschaft als Verleiher von Markus B. und die israelische als Entleiher auftrat. „Das Unternehmen ist keine Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaft und verfügt über keinerlei Erlaubnisse zur Verleihung von Mitarbeitern. Dieser Vertrag, der als Entsendevertrag fungieren sollte, verleiht dem Unternehmen zudem eine risikobehaftete und ungewollte Rechtsform, die es hätte in Schwierigkeiten bringen können“, so Dotou weiter.

„Im Nachhinein stellte sich heraus, dass eine Versetzung nach Israel für alle Beteiligten der lukrativere Weg gewesen wäre.“

Als Markus B. von diesem rechtlichen Chaos erfuhr, wollte er umgehend nach Deutschland zurückkehren. Bei den Verhandlungen vor vier Jahren hatte er klar herausgestellt, was ihm wichtig war: Eine höhere und sichere gesetzliche deutsche Rente (dem israelischen Altersvorsorgesystem misstraute er) und das Fortbestehen seiner betriebliche Altersvorsorge (bAV). Deshalb war Möglichkeit, im deutschen Sozialversicherungssystem zu bleiben und die Entsendebescheinigung zu erhalten, so wichtig. Nur hatte ihm sein Arbeitgeber aufgrund falscher Verträge in dieser Sache einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch damit nicht genug: Ein Teil des Bruttogehaltes war aufgrund der fehlerhaften Konstellation nun in Israel belastet worden, wodurch sich das Nettogehalt von Markus B. erheblich dezimierte. Wäre die Entsendung ordnungsgemäß durchgeführt worden, hätte es keine Doppelversicherung und somit auch keine Gehaltseinbußen gegeben. „Im Nachhinein stellte sich heraus, dass eine Versetzung nach Israel für alle Beteiligten der lukrativere Weg gewesen wäre“, kommentiert Jurist Dotou.

Sollte B. das Photovoltaik-Projekt in Israel fortführen, dann nur unter folgenden Bedingungen, die er der Personalabteilung gegenüber stellte:

  1. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, weiterhin in die bAV einzuzahlen.
  2. Die Weiterzahlung in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.
  3. Der Arbeitgeber schließt für B. eine private Auslandskranken- und Arbeitslosenversicherung ab.
  4. Die Gehaltseinbußen der vergangenen vier Jahre werden B. in Form eines Bonus erstattet.

Die Forderungen waren nachvollziehbar, doch wie konnten diese rechtssicher umgesetzt werden? „Zunächst einmal haben wir den bestehenden deutschen Arbeitsvertrag in eine Ruhensvereinbarung umgewandelt. Dies ermöglicht es, dass die deutsche Muttergesellschaft weiterhin Beiträge in die bAV des Mitarbeiters einzahlen kann“, erläutert Spezialist Dotou. Da die  Weiterzahlung von bAV-Beiträgen trotz eines Auslandsaufenthaltes ein höchst ungewöhnliches Vorgehen ist, wurde dieser Punkt gesondert in die Ruhensvereinbarung aufgenommen.

Ablehnungsbescheid, um pflichtversichert zu werden

Nun galt es noch sicherzustellen, dass Markus B. weiterhin in der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung  zahlt. Dies ist aufgrund des bestehenden lokalen Arbeitsvertrages in Israel grundsätzlich nicht möglich, also galt es einen Weg zu finden, die Weiterzahlung dennoch rechtssicher durchzuführen. „In dieser Sache kam es uns zugute, dass die Krankenkasse von Herrn B. die vergangenen drei Aufenthaltsjahre in Israel bereits als Entsendung genehmigt hatte. Einen solchen rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt kann die Krankenkasse nicht ohne Weiteres zurücknehmen“, sagt Dotou.

Er empfahl der Personalabteilung den Ablehnungsbescheid über eine Verlängerung der Auslandsentsendung anzufordern. Diesen reichte die Firma zusammen mit einem Antrag auf Pflichtversicherung in der Rentenversicherung für Arbeitnehmer im Ausland ein. Der Ablehnungsbescheid über die verlängerte Entsendung galt als Nachweis darüber, dass Markus B. nicht weiter regulär in Deutschland sozialversicherungspflichtig ist. In einem weiteren Schritt schloss das Maschinenbauunternehmen für den IT-Ingenieur eine weltweit gültige private Auslandskrankenversicherung mit Krankentagegeld sowie eine private Arbeitslosenversicherung fürs Ausland ab. Letzter Zweig der Sozialversicherung ist nämlich vom deutsch-israelischen Abkommen nicht erfasst. Die Auslandskrankenversicherung erwies sich als notwendig, damit Markus B. einen gleichwertigen Gesundheitsschutz wie in Deutschland genießen kann und auch auf Dienstreisen in andere Länder abgesichert ist. Zudem ging sein Arbeitgeber auf die Forderung eines Bonus in Höhe der zu viel gezahlten Versicherungsbeiträge ein.

Erstattungsvereinbarung zwischen Stammhaus und Auslandniederlassung

Da B. aufgrund des ruhenden Arbeitsvertrages künftig seine Lohnbezüge nur noch von der israelischen Niederlassung erhält, setzten die Partneranwälte der BDAE Gruppe zudem eine Erstattungsvereinbarung zwischen Muttergesellschaft und der Tochtergesellschaft in Israel auf, in der vereinbart wurde, dass der israelische Arbeitgeber die Kosten für die privaten Versicherungen, für die gezahlten Rentenbeiträge und die bAV-Beiträge in voller Höhe übernimmt.

Nach all diesen Maßnahmen waren die Wogen zwischen dem Maschinenbau-Spezialisten und seinem IT-Ingenieur wieder geglättet, der nun weiterhin für das Photovoltaik-Projekt verantwortlich zeichnet. Markus B. hat zudem Bereitschaft signalisiert, noch weitere Jahre in Israel zu bleiben und Folgeprojekte zu betreuen – sehr zur Freude der Personalabteilung.

Dieses reale Praxisbeispiel zeigt, wie wichtig es ist, Entsendungen sorgfältig zu planen. Wenige administrative Fehler können den Einsatz hoch qualifizierten Personals im Ausland gefährden und unter Umständen Projekte zum Erliegen bringen, die deutschen Unternehmen Umsätze in Millionenhöhe bescheren. Und tatsächlich belegen Studien, dass nahezu jede zehnte Entsendung gescheitert ist, weil im Vorfeld sozialversicherungs- und steuerliche Fragen gar nicht oder nur unzulänglich geklärt wurden. „In diesem Fall konnten wir eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung herbeiführen. Aus Erfahrung wissen wir jedoch, dass dies nicht immer möglich ist“, sagt Sozialversicherungsexperte Dotou.

Fazit

Aufgrund der rechtlichen Komplexität von Auslandsentsendungen sollten sich Personalverantwortliche für den Planungsprozess grundsätzlich kompetente Unterstützung holen. Die Kosten, die durch externe Dienstleister verursacht werden, stehen in keinem Verhältnis zu dem Schaden, der droht, wenn Entsendungen vorzeitig abgebrochen werden.