Skip to main content
Ad

Als Expat-Frau nach Istanbul: Vorbereitungen in Sachen Konsumartikel

In weniger als 12 Stunden ist es so weit: das Ende meiner Komfortzone steht kurz bevor… und der Umzugscontainer vor der Tür. Und mit ihm heißt es Abschied nehmen von all meinen schönen Sachen, dem Gewohnten und Vertrauten: meinem super WMF-Smoothiewunder, meiner phantastischen Nespresso-Designmaschine… nicht zu vergessen meiner jahrzehntelang ershoppten Garderobe inklusive diverser Pencil Skirts, Heels in allen Farben und Formen, Schals, Hüte und und… Meine Kleine-Mädchen-Seele schreit, aber ich denke ich muss loslassen. Also… Ahoi und gute Reise, ihr Lieben. Ich hoffe, wir schließen uns in meinem anderen Leben in alter Frische und ohne bleibende Schäden wieder in die Arme…

Verzicht auf Lieblingskosmetikartikel

Der bevorstehende Verzicht auf meine materialisierte Weiblichkeit hat mich dazu veranlasst, mir ein paar Gedanken um die Beschaffungsmöglichkeiten weiterer überlebenswichtiger Dinge in meinem zukünftigen Gastland zu machen. Damit meine ich existenzielle Sachen wie Körperpflegeprodukte, Hygieneartikel, Make-Up, Styling-Kram… kurz gesagt alles, was ich derzeit hierzulande im perfekt sortierten Drogeriemarkt finde. Der Garant für Markenqualität zum absoluten Spottpreis ist für jede deutsche Frau ein wahrer Beautyhimmel. Leider gibt es ihn in vielen Entsendungsländern nicht oder nur bedingt – unter ihnen auch die Türkei. Was soll nur werden aus all meinen vertrauten und geliebten Fläschchen, Döschen und Tübchen: eine sich anbahnende Katastrophe…

Einerseits bin ich ein Gewohnheitstier und fühle den Drang, jedes einzelne meiner lieb gewonnenen Beautyprodukte als diskrete Dreijahresration zwischen den wenigen – ebenfalls sehr unauffälligen – Chicken-Korma-Konserven im Container zu bunkern. Damit würde ich glatt dem bevorstehenden Kulturschock einer fremden Drogerie-Hölle entgehen. Andererseits ist es als interkulturelle Bloggerin natürlich meine Pflicht, dem Kulturschock nicht nur auf die Spur zu kommen, sondern ihn bisweilen sogar zu provozieren. Das bringt mich also wieder mittenrein in die fremdkulturelle Drogerie-Hölle und zwar zum Wohle der Wissenschaft.

Was tun in einem Land ohne Balea, P2 und Co.?

Strategie 1 – Auf Nummer sicher gehen.

Maximaler Komfort bei minimalem Risiko! Ihr kauft vor Abreise alle eure Lieblingsprodukte vorsorglich in ausreichender Menge ein und könntet dann damit praktisch eine türkische Großfamilie versorgen. Tut ihr aber nicht…

Der Hauptvorteil dieser Methode ist, dass ihr euch damit nicht dem geringsten Risiko aussetzt, mit eurem Handeln ein unerwartetes Ergebnis zu erzielen (man denke nur an die gefährlichen Bleaching-Cremes in Japan oder die merkwürdige Nutella-Konsistenz in Frankreich). Das ist nicht nur komfortabel und super einfach, sondern:

IHR SPART ZEIT. Die Zeit, die ihr hilflos in lokalen Einkaufs-Höllen umherirren würdet.

IHR SPART NERVEN. Statt frustrierender Fehlkäufe habt ihr ein absehbares Ergebnis – garantiert.

IHR SPART GELD. Und könnt dieses guten Gewissens für echtes Shopping ausgeben (ein entscheidendes Argument.

IHR GEHT VERTRAUTEN GEWOHNHEITEN NACH. Dies vermittelt Sicherheit und Stabilität in einem anfangs unbekannten Umfeld (Für Newcomer: Ich hatte in meinem Beitrag Komfortzone auf Vorrat schon angesprochen, wie wichtig Vertrautes im Zusammenhang mit einer Entsendung ist).

Empfehlenswert ist diese Methode grundsätzlich dann, wenn es euch in eine wirklich andersartige Kultur verschlägt. Wenn Sprache und Schriftzeichen zunächst vollkommen fremd sind, wenn Infrastruktur oder Einkaufsmöglichkeiten, Lebens-oder Essgewohnheiten den hiesigen kaum ähneln. Dann kann es sinnvoll sein, z.B. Drogerieartikel, bestimmte Lebens- und Genussmittel, gerne auch Mädelskram wie Duftkerzen, Kirschkernkissen und andere vertraute Kuschelsachen in euer neues Leben mitzunehmen. Nur um für den bevorstehenden Kulturschock gerüstet zu sein und euch im Fall der Fälle eine kleine – aber unheimlich gemütliche – Komfortzone aus dem Hut zu zaubern.

Strategie 2 – No risk no fun.

Die Backpacker-Variante für Abenteurer. Hier gilt: je weniger ihr mitnehmt, desto größer der Effekt! Im Grunde benötigt hier hierzu nichts. Außer euren Reisepass und ggf. ein paar Formalitäten, die es im Vorab zu erledigen gilt. Den Rest gibt’s irgendwie vor Ort.

Der meines Erachtens größte Vorteil dieser Strategie ist der, dass es in dem Moment, wo ihr den ersten Fuß auf den fremdkulturellen Boden setzt, direkt losgeht mit der interkulturellen Schnitzeljagd. Sofern ihr anpassungsfähig seid, über ausreichend Improvisationstalent verfügt und Spaß an Situationen mit ungewissem Ausgang habt, ist diese Methode eine ganz ausgezeichnete Wahl:

EURE PROBLEMLÖSUNGSKOMPETENZ NIMMT ZU. Weil ihr Dingen begegnet, mit denen ihr nie gerechnet hättet.

EURE FLEXIBILITÄT STEIGT. Denn Unvorhergesehenes ist im Ausland die Regel, selten die Ausnahme.

IHR ERFAHRT, WAS AMBIGUITÄTSTOLERANZ BEDEUTET. Die Fähigkeit mit mehrdeutigen Situationen umzugehen.

IHR KONZENTRIERT EUCH AUF DAS WESENTLICHE. Ist zur Abwechslung auch mal ganz interessant!

C.Grunewald_FlohmarktSich wirklich zu 100 Prozent auf seine Gastkultur einzulassen ist praktisch Garant für einen gelegentlichen – mehr oder minder heftigen – (Kultur-)Schockzustand. Und höchstwahrscheinlich der effektivste Weg, auch von den positiven Aspekten seines interkulturellen Anpassungsprozesses zu profitieren. Denn diese unvermeidliche Reaktion eurer Psyche auf das Fremde ist keinesfalls schlecht. In erster Linie bedeutet er nämlich eine phantastische Möglichkeit zu lernen… über sich selbst und die Anderen, über die eigene Kultur und die Fremde. Und über die bereichernde Vielfalt dieser Erde…

No risk no fun schlägt Nummer sicher um Längen? Keinesfalls. Denn je nach persönlichen Lebensumständen sollten die Risiken gewissenhaft abgewogen werden. Bei Entsendungen mit Kindern z.B. würde ich persönlich davon abraten und auf Nummer sicher gehen und den Kulturschock zumindest etwas langsamer angehen.

FAZIT: Ein Minimum der Komfortzone mitnehmen

Ich persönlich habe lange mit mir gekämpft. Denn ich wollte mir beweisen, dass ich es schaffe, ohne auch nur ein einziges Konsumgut aus meiner Heimat zu verschwinden. Um den Kulturschock in seiner wildesten Form auf mich zukommen lassen, ihn zu leben, zu analysieren und meine Erkenntnisse mit Euch zu teilen. Andererseits sehe ich es im Gegensatz zu einigen Hardcore-Kulturwissenschaftlern nicht als meine Aufgabe in jeden letzten Winkel der Kulturschock-Psychologie vorzudringen. Vielmehr liegt es mir am Herzen, diesen Lebensabschnitt so zu erfahren, wie es die meisten Menschen tun. Und die meisten unter euch werden aufgrund ihrer Lebensumstände versuchen, ihr Schockrisiko (und häufig das ihrer Familie) einzugrenzen.

Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, das Beste für mich aus beiden Möglichkeiten herauszupicken. Das sind genau 2 Produkte (eins zum cremen, das andere zum essen)! 2 Produkte, die sicherstellen, dass ich meine Komfortzone auch in der Fremde zu einem gewissen Maß aufrechterhalten und so dem Kulturschock die Stirn bieten kann. Die aber gleichzeitig dafür sorgen, dass ich meiner Gastkultur die Chance gebe entdeckt, verstanden und wahrscheinlich am Ende sogar geliebt zu werden.

Die Lösung: kalkulierbares Risiko!

  1. Besorgt euch eure absoluten Lieblingsprodukte – und zwar wirklich nur die – in angemessener Menge (d.h. bis zum nächsten Heimatbesuch sollten sie reichen). Dies sollte als Stabilisator und Anti-Schockfallschirm für den Anfang genügen. Achtung: gleiches Recht für alle Familienmitglieder.
  1. Packt eine kleine Ration der allerwichtigsten Dinge direkt ins Gepäck um jederzeit Zugriff darauf zu haben. Da die meisten Übersee-Container mehrere Wochen brauchen bis sie über den Seeweg und den Zoll endlich den Weg zu euch finden, könnte sich die Wartezeit andernfalls zu einer nervenaufreibenden Zerreißprobe entwickeln.
  1. Versucht im Gastland potenzielle Nachfolger für Eure Lieblinge zu finden (ich spreche übrigens noch immer von Produkten). Der meiste Kram ist ohnehin fast überall irgendwie auffindbar, es sei denn ihr seid in Downtown Timbuktu – aber dann braucht ihr vermutlich auch kein korallfarbenes Rouge mit handgeschliffenen Glitterpartikeln.
  1. Seid mutig! Letztlich ist mein Chicken-Korma doch „nur“ ein Symbol für Vertrautheit. Geht in eurer neuen Umgebung auf die Suche nach neuen Orten, Dingen, Menschen. Nach Momenten, die Euch ein ähnliches Wohlgefühl vermitteln und ihr werdet sehen, wie schnell sich alte Gewohnheiten ändern.
  1. Viel wichtiger als jedes Leibgericht oder die geliebte Anti-Agingpflege ist es, sich vor Ort möglichst schnell ein intaktes Lebensumfeld zu schaffen, in dem ihr euch wohl fühlt. Lernt schnellstmöglich die Sprache – am besten startet ihr schon vor Abreise

Nehmt an einem interkulturellen Training teil um die Kultur eures Gastlandes besser kennenzulernen und einzuschätzen. Kontaktiert vorab Expat-Netzwerke vor Ort, die euren Interessen entsprechen. Verabredet am besten direkt nach eurer Ankunft ein Treffen

Denkt stets an Eure Work-Life-Balance und sucht Euch im Gastland ein interessantes Projekt. Vielleicht habt ihr schon immer davon geträumt, euch selbstständig zu machen, ein spannendes Ehrenamt auszuüben oder ein verrücktes Hobby auszuprobieren? Dann ist das der Moment!

In meinem nächsten Beitrag werde ich genauer darauf eingehen, was ihr konkret vor Abreise tun könnt, um Eure Ankunft und die ersten Wochen und Monate im Entsendungsland gezielt so angenehm wie möglich zu gestalten. Seid gespannt.

Es lebe der Kulturschock!

Die Autorin:

Constance Grunewald-Petschke betreibt den Blog www.what-about-my-pencilskirt.com, auf dem sie regelmäßig über ihr neues Leben als Expat-Frau in Istanbul berichtet. Sie ist außerdem Inhaberin der Agentur „Abroad [relocation.interculture.language]“, die Expats und ihre Familien berät.

E-Mail: c.grunewald@xpat-abroad.com

Mehr zum Thema:

Expat-Frau Über Rituale und Komfortzonen

Expat-Frau Erfahrungsbericht: Homefinding Horror

Expat-Frau Expat-Bericht: Auf nach Istanbul

Expat-Frau Mit der Roadmap für Onboarding im Ausland ankommen

Expat-Frau Was es heißt, eine Expat-Frau zu werden

Fotos: Michael Piesbergen  / pixelio.de; C. Grundewald-Petschke